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Waldbrände - Vorboten einer neuen Ära

Mikhail Bushuev
2. August 2019

Die Waldbrände in Sibirien breiten sich aus. Soll man sie löschen oder nicht? Genau die richtige Frage, sagt der Feuerökologe Johann Georg Goldammer. Über eine neue Ära für die Menschheit spricht er im DW-Interview.

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Waldbrand im Krasnojarsk Region in Sibirien, 29. Juli
Bild: picture-alliance/AP Photo/Russian Federal Agency of Forestry

Waldbrände in Sibirien untersucht Johann Georg Goldammer seit über 25 Jahren. Seit 1993 sagt der Professor für Feuerökologie voraus, dass es Brände in der Größenordnung, wie sie jetzt zu beobachten sind, immer häufiger geben wird. "Viel zu lange hat die Politik unsere Warnungen ignoriert", beklagt er sich im DW-Interview. Der Wissenschaftler, der das Global Fire Monitoring Center (GFMC) leitet, eine Außenstelle des Max-Planck-Instituts für Chemie an der Universität Freiburg, gehört zu den am meisten gefragten Brandexperten weltweit.

In vier russischen Regionen ist der Ausnahmezustand ausgerufenworden. Begünstigt durch die anomale Hitze, breitet sich das Feuer aus. Die betroffene Fläche beträgt über drei Millionen Hektar, teilte die russische Forstbehörde am 1. August mit. Die Regierung in Moskau hatte das Problem zunächst ignoriert. Doch nun scheint die Entscheidung gefallen zu sein, aktiv gegen das Feuer vorzugehen. Da die Brände für Löschflugzeuge ungünstig gelegen, aber wegen ihrer Ausdehnung effektiv zu bekämpfen sind, plant man in Moskau, künstlich Regen zu erzeugen.

Nicht jeden Waldbrand bekämpfen

Doch man muss nicht unbedingt jeden Waldbrand löschen wollen, sagt Goldammer. Er nennt es ein "Dogma", dass man in der damaligen UdSSR versuchte, alle Brände in den Wäldern zu löschen. "In der UdSSR gab es noch große Kapazitäten. An einem durchschnittlichen Sommertag waren 500 Flugzeuge zur Entdeckung, Beobachtung und Bekämpfung von Bränden in der Luft."

Professor Goldammer beobachtet Waldbrände in Sibirien seit über 25 Jahren
Johann Georg Goldammer erforscht WaldbrändeBild: Philipp on Dithfurt

Heute gibt es dieses Dogma nicht mehr. Ein russischer Gouverneur nannte den Versuch, die weit entfernten Waldbrände zu löschen, "sinnlos". Diese Aussage sorgte in Russland für Empörung, da  schon mehrere Tausende Menschen unmittelbar von den Bränden betroffen sind. Der Wind weht aus ungünstigen Richtungen, mehrere Städte liegen unter dichten Rauchdecken. Doch es liege "ein wenig bittere Wahrheit" in der Aussage des Gouverneurs, sagt Goldammer, denn die nötigen Ressourcen zur Bekämpfung der Brände seien "einfach nicht vorhanden". Das sei in Russland nicht anders als beispielsweise in Nordamerika, wo die Wälder auch gerade brennen.

Auf dem Bild von 25. Juli - Rauch über die russische Großstadt Kemerowo
Rauchdecke über Kemerowo in Westen SibiriensBild: picture-alliance/dpa/Tass/D. Akin

Ein Beruf für eine neue Ära: Feuermanager

Große Waldbrände gab es schon immer: 1915, erzählt Goldammer, lag wochenlang Smog über sechs Millionen Quadratkilometern russischen Territoriums. Natur brauche einen gewissen Platz für Feuer. Waldbrände haben auch ein konstruktives Element, weil sie das natürliche Wachstum der Bäume fördern, erklärt er.

Doch aufgrund der nicht immer nachhaltigen Forstwirtschaft und des Klimawandels fehlt vielerorts die Zeit für natürliche Regeneration. Die beträgt in der nördlichen, sogenannten borealen Zone bis zur Erreichung eines stabilen, artenreichen und produktiven Zustands mehrere hundert Jahre. Die Antwort auf die Herausforderung "Waldbrand" soll es sein, Kräfte auszubilden, die auf wissenschaftlicher Grundlage entscheiden können, wie man Bränden begegnet, sagt Goldammer. Manchmal sei die Unterscheidung zwischen einem Feuer, das positive, und einem, das zerstörerische Auswirkungen hat, nur schwer zu treffen.

Satellitenaufnahme vom 25. Juli: in Rot - Waldbrände in Sibirien
Satellitenaufnahme vom 25. Juli: Waldbrände in Sibirien sind rot markiertBild: Reuters/NASA/GSFC

Zusammen mit seinen Kollegen schlägt der Wissenschaftler vor, einen neuen Beruf einzuführen: Der Feuermanager soll ökologisches Wissen mit dem über Technik und Technologien zur Feuerbekämpfung verbinden. "Das kommt übrigens auch auf uns in Deutschland zu. Denn Standardsituationen, die die freiwilligen und Berufsfeuerwehren sehr gut beherrschen, wie Verkehrsunfälle und Brände in Häusern und Siedlungen, erfordern nicht unbedingt dieses Spezialwissen." Und auch die Forstverwaltung wisse nicht immer, was zu tun sei.

Auswertungen von Satellitendaten zeigen, dass Landschaftsbrände jährlich 300 bis 600 Millionen Hektar Fläche betreffen. Sie schädigen Menschen nicht nur unmittelbar in ihrer Gesundheit, sondern sind auch langfristig für die Menschheit gefährlich, weil sie Landschaften dramatisch verändern.

"Das Zeitalter des Feuers"

Diese und andere Entwicklungen seien Vorboten eines neuen Erdzeitalters, sagt Goldammer. "Wir leben im Anthropozän (einer vom Menschen geprägten Erdepoche; der Begriff stammt vom niederländischen Wissenschaftler Paul Crutzen - Anm. d. Red.). Aber es neigt sich dem Ende zu. Wie nennen wir das nächste Zeitalter? Da gibt's noch keine Einigkeit. Wir in unserer Community wissen schon, wie das nächste heißt: Pyrozän, das Zeitalter des Feuers."

Wald nach dem Brand in Sibirien, 28. Juli
Dem Wald fehlt die Zeit für natürliche RegenerationBild: picture-alliance/dpa/Tass/Kosmicheskiye Resheniya Research and Technology Centre

Doch auf die neuen Herausforderungen durch Waldbrände sei man weltweit schlecht vorbereitet, sagt Goldammer. "In den letzten 40 Jahren war Waldbrand bei uns in Deutschland kein Thema. Die Brände im letzten und in diesem Jahr in Mecklenburg-Vorpommern waren fast schon traumatisch, obwohl absolut gesehen diese Flächen minimal waren. Aber sie haben gezeigt, dass wir hier in Deutschland wenig in der Hand haben, um mit dieser Situation angemessen fertig zu werden." Die Waldfläche in Deutschland beträgt insgesamt 10 Millionen Hektar, in Russland 1,3 Milliarden Hektar, also 130mal so viel.

Doch zumindest in der westlichen Welt ändere sich gerade etwas, sagt Goldammer. "Das hat auch was mit 'Fridays for Future' zu tun, das die Politik ein bisschen at gunpoint genommen hat (unter Druck gesetzt - Anm. d. Red.); und die Politik reagiert darauf, weil die Einsicht wächst, dass der Klimawandel da ist, und dass er gefährlich ist."