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Walter Lübcke - ein Mord erschütterte Deutschland

1. Juni 2024

In der Nacht auf den 2. Juni 2019 wurde der CDU-Politiker und Regierungspräsident von Kassel von einem Rechtsextremisten erschossen. Es war der erste Mord an einem Politiker in Deutschland seit dem Ende des Krieges.

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Der damalige Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) im Jahr 2012
Ermordet, weil er sich für Geflüchtete einsetze: Walter Lübcke im Jahre 2012Bild: Uwe Zucchi/Ihe/dpa/picture alliance

Dieser Mord schockte das ganze Land: Vor fünf Jahren wurde Lübcke auf der Veranda seines Hauses mit einem Kopfschuss aus geringster Entfernung ermordet. Schon bald stellte sich heraus, dass es sich bei dem Täter um einen Rechtsextremisten handelte, der als Motiv für seine Tat angab, dass der CDU-Politiker Lübcke sich für Geflüchtete eingesetzt hatte. Er wurde im Januar 2021 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Lübcke wurde 65 Jahre alt.

2015, als viele Menschen vor allem aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland kamen, hielt Lübcke in seinem Regierungsbezirk zahlreiche Informationsveranstaltungen ab, warb um Zustimmung und Empathie. Im Oktober des gleichen Jahres, gestört von hasserfüllten Zwischenrufen, rief Lübcke dann auf einer dieser Veranstaltungen: "Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Ein Satz, für den Lübcke zahlreiche Morddrohungen erhielt - und der ihm letzten Endes das Leben kostete.

Eine andere Wahrnehmung im Ausland

Lorenz Blumenthaler ist Mitarbeiter der "Amadeu Antonio Stiftung", die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagiert. 1990 war der Angolaner Amadeu Antonio, 28 Jahre alt, von Rechtsextremen ermordet worden, eines der ersten Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung. Über den Mord an Walter Lübcke sagt Blumenthaler der DW: "Im Grunde genommen haben wir so etwas seit der Nachkriegszeit in Deutschland nicht mehr erlebt. Und dennoch war das Echo darauf erstaunlich verhalten. Vor allem auch in der eigenen Partei. Man muss sich das ja noch mal vor Augen halten, dass hier ein Konservativer von einem Rechtsextremen mit einer Waffe ermordet wurde, und das absolut kaltblütig."

Mann mit Brille steht vor einem Banner mit der Aufschrift "Amadeu Antonio Stiftung"
"Es ist unsere Aufgabe, vor allem aber auch der Politik, diese Menschen besser zu schützen" - Lorenz BlumenthalerBild: Amadeu Antonio Stiftung

Als Regierungspräsident gehörte die Versorgung und Unterbringung der vielen Geflüchteten zu den Aufgaben Lübckes. Lorenz Blumenthaler erinnert sich, dass es nach dem Mord sehr unterschiedliche Reaktionen in Deutschland und dem Ausland gab: "Die Aufmerksamkeit in der internationalen Presse, auch das, was von unseren zivilgesellschaftlichen Partnern kam, war so viel höher. Auch die Einschätzungen gingen komplett auseinander. In Deutschland wurde es als eine rechtsextreme Tat von vielen abgetan, während für unsere internationalen Kontakte klar war: Hier wird rechter Terror gegen den Staat betrieben."

Die Familie ruft auf, sich nicht einschüchtern zu lassen

Lübcke hinterließ seine Ehefrau und zwei erwachsene Söhne. Jetzt, fünf Jahre nach der Tat, appelliert die Familie an Politiker, sich trotz weiter zunehmender Angriffe nicht einschüchtern zu lassen. In der Erklärung der Familie heißt es: "Bleiben Sie standhaft, weichen Sie nicht von Ihren Überzeugungen und Haltungen ab, Sie sind nicht allein." Die Familie fordert aber auch einen besseren Schutz für die Verantwortlichen.

Eine Frau und zwei Männer mit traurigen Gesichtern
Die Witwe und die Söhne von Walter Lübcke 2022 vor Gericht bei der Revision des Urteils gegen den TäterBild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Der Jurist und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, nennt das Schreiben der Familie ein aufrüttelndes Zeichen und fügt im Gespräch mit der DW hinzu: "Gleichzeitig brauchen die Menschen, die sich ehren- und hauptamtlich für unsere Demokratie und das Gemeinwohl einsetzen, mehr Unterstützung. Durch unabhängige Beratung, mehr Polizeipräsenz und eine Überprüfung bestehender gesetzlicher Regelungen sowie notwendiger Nachschärfungen, zum Beispiel bei der erleichterten Sperrung von Meldeadressen."

Mann mit Anzug und Schlips spricht in Mikrofon
"Als Demokratinnen und Demokraten müssen wir zusammenstehen" - Konstantin von NotzBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Blumenthaler: "Fast jeder kann zur Zielscheibe werden"

Angriffe auf politische Würdenträger sind in den vergangenen fünf Jahren immer häufiger geworden. Vor allem gegen gewählte Politikerinnen und Politiker in den Kommunen, die naturgemäß weniger geschützt sind als etwa Mitglieder der Bundesregierung. Ein extrem beunruhigender Trend, auch wenn nicht alle Übergriffe so schreckliche Folgen haben wie im Fall von Walter Lübcke.

Blumenthaler sagt: "Ich würde mittlerweile so weit gehen, dass jede Person, die demokratische Werte hochhält, betroffen sein kann, dass mittlerweile die Grenzen der Enthemmung komplett gefallen sind. Und jede Person, die sich für demokratische Grundwerte stark macht und in die Öffentlichkeit tritt, im Grunde eine wandelnde Zielscheibe sein kann."

Das ist dann auch ein Grund, warum es so schwer fällt, Menschen zu finden, die sich für ihre Kommunen engagieren wollen: "Gerade erst bei den Kommunalwahlen in Ostdeutschland kann man das schon beobachten, dass sich demokratische Parteien schwertun, überhaupt ihre Listen voll zu kriegen."

Das Bundeskriminalamt teilte jetzt mit, die Zahl von Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger habe sich in den vergangenen fünf Jahren auf inzwischen 5400 Delikte verdreifacht. Behördenchef Holger Münch sagte der Tageszeitung "TAZ", zum Glück seien davon nur ein Bruchteil Gewaltdelikte. Aber: "Solche Gewalt kann sich bis hin zu versuchten oder vollendeten Morddelikten steigern - wie wir es etwa im Fall Walter Lübcke erleben mussten."