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Politik

Warnung vor unkontrollierbarem Wettrüsten

22. Oktober 2018

Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen sieht jetzt die Bundesregierung gefordert. Das Auswärtige Amt hatte zuvor von einer verheerenden Entscheidung der USA gesprochen, den INF-Vertrag zu kündigen.

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Pershing II Raketen US Mittelstreckenrakete
Amerikanische Pershing-II-Raketen (Archivbild) Bild: Frank Trevino/US Department of Defense

Außenminister Heiko Maas hat mit Unverständnis auf die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump reagiert, den INF-Vertrag zur Kontrolle der Mittelstreckenraketen aufzukündigen. Er fügte hinzu: "Wir werben auch gegenüber den USA dafür, mögliche Konsequenzen zu bedenken". Maas wies darauf hin, der INF-Vertrag sei seit 30 Jahren "eine wichtige Säule" der europäischen Sicherheitsarchitektur. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Niels Annen, sprach von einer "verheerenden Entscheidung". Europa müsse jetzt eine neue Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen verhindern, twitterte Annen.

Die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Ulrike Demmer, machte deutlich, die westlichen Alliierten hätten Russland bereits vor längerem aufgefordert, "die schwerwiegenden Zweifel an seiner Vertragstreue auszuräumen, die durch einen neuen russischen Raketentyp aufgekommen" seien. Die Folgen der US-Entscheidung müssten nun im Kreis aller NATO-Partner beraten werden.

Für einen Sondergipfel der NATO plädierte der FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff. Im MDR warnte Lambsdorff, es drohe ein neues Hochrüsten zwischen den ehemaligen Feinden im Kalten Krieg. 

Infografik Zahl der Atomwaffen je Staat im Januar 2018 DE

SPD spricht von völlig falschem Weg

Der SPD-Außenpolitikexperte Nils Schmid warnte die USA davor, Russland durch eine atomare Aufrüstungsspirale in die Knie zwingen zu wollen. Dies sei ein "völlig falscher Weg", sagte Schmid im ZDF-Morgenmagazin. Das INF-Abkommen sei ein "ganz wesentlicher Grundpfeiler europäischer Sicherheit".

Alle Europäer hätten daher "ein riesengroßes Interesse" daran, dass der Vertrag aufrecht erhalten bleibe, fügte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion hinzu. Zwar müsse über "Lücken und Unstimmigkeiten" in dem Abkommen geredet werden - aber nur auf Grundlage des bestehenden Vertrags.

"Atomwaffen aus Deutschlang abziehen"

Die Grünen plädierten dafür, alle US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. "Die Bundesregierung, wenn sie jetzt ihre Appelle an die US-Regierung ernst meint, muss jetzt sagen: Wir beenden die deutsche nukleare Teilhabe", sagte die Parteivorsitzende Annalena Baerbock im ZDF-Morgenmagazin. Es sei "absolut fatal", dass US-Präsident Donald Trump aus dem INF-Vertrag aussteigen wolle. Baerbock sprach von einem der wichtigsten Abrüstungsverträge weltweit. "Und deswegen muss alles dafür getan werden, diesen Vertrag aufrecht zu erhalten."

Die 1987 zwischen den Vereinigten Staaten und der damaligen Sowjetunion geschlossene INF-Übereinkunft verbietet beiden Seiten Entwicklung, Stationierung und Tests von landgestützten, atomar bewaffneten Marschflugkörpern und Raketen mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern. Die Vereinbarung führte zu einer umfangreichen Abrüstung dieser Systeme.

INF-Vertrag zwischen den USA und der UdSSR
US-Präsident Ronald Reagan (l.) und der sowjetische Ministerpräsident Michail Gorbatschow stoßen am 8. Dezember 1987 in Washington auf den INF-Vertrag an Bild: picture-alliance/dpa

Gegenseite Vorwürfe

Doch schon seit längerem werfen sich die USA und Russland gegenseitig Verstöße gegen den INF-Vertrag vor. Die US-Regierung bezieht ihre Anschuldigungen auf neue russische Marschflugkörper mit dem NATO-Code SS-C-8 (Russisch: 9M729), die eine Reichweite von 2600 Kilometern haben sollen. Anfang des Monats übten die 28 NATO-Mitgliedsstaaten deswegen Druck auf Moskau aus und forderten Präsident Wladimir Putin auf, glaubwürdige Angaben zu dem Raketensystem vorzulegen. Putin behauptete im Gegenzug, von den Abschussrampen des NATO-Raketenschutzschirms in Rumänien könnten jederzeit auch atomar bestückte US-Marschflugkörper gestartet werden.

"Berlin muss vermitteln"

Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) appellierte eindringlich an die deutsche Regierung, im Streit zwischen den USA und Russland zu vermitteln. Zugleich kritisierte die Organisation Trumps Absicht. Damit öffne der Präsident die Türen für ein unkontrolliertes atomares Wettrüsten zwischen den USA und Russland, erklärte Johannes Mikeska, Mitglied im Vorstand von ICAN Deutschland, in Berlin. Das bedrohe massiv die Sicherheit der Menschen in Europa.

ICAN wurde 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Das Netzwerk mit Hauptsitz in Genf umfasst Organisationen in 100 Ländern.

"Problematik entwickelte sich über Jahre"

Nach Einschätzung von Friedensforschern ist die geplante Aufkündigung des Abrüstungsvertrags durch die USA kein alleiniges Resultat der politischen Agenda des Präsidenten Donald Trump. Die Problematik habe sich über Jahre entwickelt, sagte der Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI, Dan Smith, der Deutschen Presse-Agentur. Schon im Juli 2014 hätten die USA den Russen bescheinigt, den INF-Vertrag nicht einzuhalten. Und im vergangenen Dezember hätten sie dann erklärt, wie genau Russland den Vertrag ihrer Meinung nach verletzt. 

Der INF-Vertrag sei "ein besonders wichtiger Baustein in der Architektur der Rüstungskontrolle am Ende des Kalten Krieges" gewesen, erläuterte Smith. Ein weiterer sei der Atomwaffensperrvertrag New START zur weiteren Reduzierung und Begrenzung strategischer Offensivwaffen mit einer Laufzeit bis 2021. Bislang gibt es keine Gespräche über eine Verlängerung oder Erneuerung von New START.

se/mak (dpa, afp, rtr, ap)