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Politik

Warschau: Schulterschluss der Euroskeptiker

7. Dezember 2021

Marine Le Pen stellt sich auf Polens Seite im Rechtsstreit mit der EU. In Warschau haben Europas Rechtspopulisten über eine engere Kooperation beraten. Experten sehen eine langfristige Allianz eher skeptisch.

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Treffen der europäischen Rechtsextremisten in Warschau - Marine Le Pen und Viktor Orban
Marine Le Pen (re.) und Viktor Orban beim "Warschauer Gipfel", 4.12.2021Bild: Wojtek Radwanski/AFP

Vertreter von 16 rechten, nationalistischen und europaskeptischen Parteien haben vereinbart, künftig im EU-Parlament stärker gemeinsam zu agieren. Am "Warschauer Gipfel" am 4. Dezember haben neben Polens Premierminister Mateusz Morawiecki und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski auch der ungarische Premierminister Viktor Orban, die Chefin des französischen Rassemblement National, Marine Le Pen, und der spanische Vox-Chef Santiago Abascal teilgenommen. Vertreten waren unter anderem auch die italienische Lega und Fratelli d'Italia, Dansk Folkeparti, Die Echten Finnen, die Griechische Lösung und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ).

Der PiS-Chef Kaczynski sprach in seiner Eröffnungsrede vom Aufbau einer "Einheit zwischen den beiden rechten Fraktionen im Europäischen Parlament" und von einer notwendigen Veränderung des "Charakters" der Europäischen Union.

Ein Zusammenschluss der Rechten könnte "die zweite Kraft im Europäischen Parlament sein", argumentierte Le Pen enthusiastisch. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki schwärmte von einem "Wendepunkt in der Geschichte Europas". Es gelte, "der Usurpation, die die Macht in den Händen der europäischen Eliten konzentriert, einen Riegel vorzuschieben". Die FPÖ sprach von einem weiteren "Verzahnungsschritt patriotischer Kräfte in Europa".

Hofiert: Marine Le Pen

Ein besonders hofierter Gast während des Warschauer Gipfels war die französische Politikerin Marine Le Pen, deren Auftritt manchmal einem Staatsbesuch ähnelte. Sie wurde mit Blaulicht durch die Straßen gefahren und legte Kränze an Denkmälern nieder. "Der Empfang für Frau Le Pen war fast königlich", sagt Anna Materska-Sosnowska, Politologin an der Universität Warschau, der DW.

Dr. Anna Materska-Sosnowska
Dr. Anna Materska-Sosnowska, Politologin, Universität WarschauBild: privat

Dass die PiS aus der französischen Politikerin "plötzlich eine Heldin macht", solle den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel diskreditieren und habe direkt mit der Lage an der polnisch-belarussischen Grenze zu tun, über die in den letzten Monaten Tausende Migranten in die EU gelangen wollten, meint die Politologin. "Die PiS fühlt sich in der Grenzkrise umgangen. Das Problem wurde nicht dank der polnischen Regierung, sondern dank der Intervention von Macron und Merkel gelöst."

Die Außenpolitik sei eine große Schwäche der PiS-Regierung, deshalb wolle sie ihren Wählern das Gegenteil zeigen, nämlich, dass sie international nicht isoliert sei, so Materska-Sosnowska.

Wird Frankreich Polens Strafen decken?

Der "königliche" Empfang hatte seine direkten Folgen. Sollte sie die Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewinnen, würde sie Druck auf die Europäische Kommission ausüben, Polens Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds freizugeben, sagte Marine Le Pen im Interview mit der polnischen Zeitung Rzeczpospolita.

"Und nicht nur das", kündigte die Vorsitzende des Rassemblement National an. "Der EuGH hat gegen Polen wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit eine Geldstrafe in Höhe von einer Million Euro pro Tag verhängt. Nun, Frankreich wird diese Strafe für Polen zahlen. Wir sind Nettozahler in den EU-Haushalt und wir werden diese Kosten von unserer Überzahlung abziehen."

Russland kein Hindernis mehr

Die in Warschau versammelten rechten Parteien eint die Angst vor einem Souveränitätsverlust ihrer Länder gegenüber der EU. Auch in ihrer Ablehnung der Migranten und beim Umgang mit LGBTIQ-Personen liegen sie auf einer Wellenlänge. Was aber viele von ihnen spaltet, ist die Einstellung zu Russland.

Proteste - Treffen der europäischen Rechtsextremisten in Warschau
Menschen protestieren gegen das Treffen der europäischen Rechtspopulisten in WarschauBild: Aleksandra Szmigel/REUTERS

In Polen wird Russland als eine Bedrohung gesehen, sowohl politisch als auch militärisch. Deshalb wird die Einladung der Parteien, die als prorussisch gelten - und dazu zählt auch der Rassemblement National - heftig kritisiert.

"Putins faschistische Freunde werden in Warschau wie Helden begrüßt", kommentierte Borys Budka, der Fraktionsvorsitzende der Bürgerkoalition, der größten Oppositionsgruppierung im Sejm, dem polnischen Unterhaus. Das sei "ein weiterer Schritt zur Demontage der Europäischen Gemeinschaft" und "ein weiterer Schritt in Richtung Polexit".

Die PiS sucht also krampfhaft nach einer Erklärung. Andrzej Zybertowicz, ein Berater des nationalkonservativen Präsidenten Andrzej Duda, wirft dem gesamten Westen ein prorussisches Agieren vor, sieht aber in der Allianz mit Marine Le Pen offenbar ein kleineres Übel.

"Lasst uns zwei Formen des Pro-Putinismus vergleichen. Frau Le Pen, die einige Millionen an Krediten (in Russland - Anm. d. Red.) aufgenommen hat, und Frau Merkel, die Russland Milliarden am Gasverkauf verdienen lässt", so Zybertowicz im Polnischen Rundfunk. Dabei wies er auf die "zahlreichen deutschen, österreichischen, französischen und finnischen Politiker" hin, die für den russischen Energiekonzern Gazprom arbeiten würden.

Antideutsche Front, die eint

Aus Sicht der PiS gibt es hingegen keine Bedenken wegen der antideutschen Rhetorik der französischen Rechten. Wenn Marine Le Pen vor einer deutschen Dominanz in Europa warnt oder die "Scheidung" des deutsch-französischen Tandems (Artikel im Tagesblatt L'Opinion, Juli 2021) ankündigt, spricht sie Jaroslaw Kaczynski aus der Seele.

Marine Le Pen - Treffen der europäischen Rechtsextremisten in Warschau
Warschau, 3.12.2021: Marine Le Pen bei einer Kranzniederlegung am Denkmal für die Opfer des sowjetischen Überfalls auf Polen 1939Bild: Wojtek Radwanski/AFP

Beim "Warschauer Gipfel" der Rechten warnte der PiS-Chef erneut vor einer "großen Bedrohung durch die Deutschen". Die "neuen Deutschen" würden sich "von einer Politik der Selbstbeschränkung verabschieden" und die historische Erinnerung ausblenden.

Vor kurzem reagierte Jaroslaw Kaczynski heftig auf das im deutschen Koalitionsvertrag enthaltene Ziel, eine europäische Föderation anzustreben. "Deutschland hat seine Karten auf den Tisch gelegt und will das Vierte Reich errichten", soll er laut Medien in einer geschlossenen Fraktionssitzung gesagt haben.

Schon mehrmals hat Kaczynski Deutschland einer Hegemoniepolitik in Europa beschuldigt. Die Beziehungen zwischen Berlin und Warschau sind seit der Machtübernahme der PiS im Jahr 2015 deutlich kühler als in der Zeit der Regierungen von Donald Tusk (2007 bis 2015), der aus Kaczynskis Sicht deutsche Interessen vertritt.

Gemeinsam gegen die EU

Ob den Rechtspopulisten die Bildung einer starken politischen Front gelingt, sei fraglich, meint die Politologin Materska-Sosnowska. "Diese Parteien sind nationalistisch, das heißt, die Interessen der eigenen Nation sind für sie wichtiger als die Interessen anderer Nationen. Aus der Geschichte wissen wir, wohin die Nationalismen führen. Hier gibt es kaum Raum für eine Zusammenarbeit", betont sie.

Bartlomiej Biskup I Politologe
Bartlomiej Biskup, Politologe, Universität WarschauBild: Uniwersytet Warszawski

Der Warschauer Experte für politisches Marketing, Bartlomiej Biskup, betrachtet jedoch eine solche Allianz als realistisch, da es nicht um ein "langfristiges, strategisches Bündnis", sondern um eine "taktische" Zusammenarbeit der rechtspopulistischen Parteien gehe. "Sie werden sich gemeinsam für die Einschränkung der Macht der Europäischen Union, vor allem der Europäischen Kommission, einsetzen. Sie wenden sich ab von der politischen Gemeinschaft zugunsten einer Wirtschaftsunion, nach dem Motto, die EU soll sich nicht in die innere Politik der Mitgliedsländer einmischen", sagt der Politologe der DW.

In einer gemeinsamen Erklärung der Teilnehmer des "Warschauer Gipfels" am vergangenen Samstag (4.12.2021) heißt es, dass sich die Parteien bei Abstimmungen im Europäischen Parlament absprechen würden. Es gelang ihnen jedoch nicht, sich auf die Bildung einer gemeinsamen Fraktion zu einigen, ein Ziel, das sie schon im Juli angekündigt hatten.

Derzeit sind PiS und Vox Teil der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR). Die FPÖ sowie Le Pens Parteikollegen vom Rassemblement National und die italienische Lega gehören zur rechtspopulistischen Fraktion Identität und Demokratie (ID), der auch die deutsche AfD angehört. Orbans Fidesz hatte bis März 2021 der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört. Inzwischen sind die EU-Abgeordneten des Fidesz fraktionslos.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau