Warten wider Willen
7. Oktober 2004Er nennt sich Sir Alfred. Der gebürtige Iraner Mehran Karimi Nasseri lebt seit 16 Jahren auf dem Flughafen Charles de Gaulle, Roissy bei Paris, Terminal 1. Er sitzt dort fest. Wie es dazu kam?
Eine wahre Geschichte
1977 muss Mehran aus politischen Gründen aus dem Iran fliehen. Er reist durch mehrere europäische Länder, aber niemand will ihn. Überall das Gleiche: Verhaftung, Asylantrag, Ablehnung, Ausweisung. Fünf Jahre geht das so. Erst Belgien erkennt ihn als Flüchtling an. Mehran legt sich den christlichen Namen Alfred zu. Dann werden ihm die Papiere gestohlen. Als er nach England reisen will, um seine Mutter zu suchen, wird er erst in England und nach seiner Rückkehr auch in Belgien abgewiesen. So landet er schließlich in Frankreich, wo er wegen illegaler Einreise festgenommen wird. Da Sir Alfred keine Papiere besitzt, kann er nicht in sein Heimatland zurückgeschickt werden. Gleichzeitig weigern sich die Behörden, ihm ein Transit- oder Flüchtlingsvisum auszustellen. Sir Alfred sitzt zwischen den Staaten.
Noch heute wartet Sir Alfred auf eine Beglaubigung seiner Identität. Er hat den außerplanmäßigen Flughafen-Aufenthalt genutzt und ein 240 Seiten starkes Buch über sein Leben geschrieben. Sein unglaubliches Schicksal wurde bereits mehrfach verfilmt. In Alexis Couros "Warten auf Godot im CDG Airport" wird Sir Alfred als Opfer der Bürokratie gezeigt. 1993 entsteht die französische Komödie "Die vom Himmel Gefallenen" mit Jean Rochefort und 2001 die Dokumentation "Here to Where". Schließlich ist auch Hollywood auf Sir Alfreds Geschichte gestoßen. Die schräg gegenüber seiner Flughafenbank gelegene Apotheke nahm angeblich den Anruf von Spielbergs Produktionsfirma Dreamworks entgegen. Diese zahlte Sir Alfred 275.000 Dollar für die Rechte an seiner Lebensgeschichte - auf ein Konto, dass er sich auf der Postfiliale des Flughafens eingerichtet hat.
Eine erfundene Geschichte
Dabei dürfte sich der Ewig-Wartende in Steven Spielbergs "Terminal - life is waiting" wahrscheinlich kaum wieder erkennen. Nur sehr lose basiert der Film auf der wahren Geschichte des Iraners. Für seine Version verlegte der Regisseur den Handlungsort nach New York und machte aus dem Iraner einen freundlichen Osteuropäer. Eine Paraderolle für Tom Hanks, der mit Spielberg schon in "Catch me if you can" zusammenarbeitete. Hanks heißt hier Victor Navorski, der aus dem fiktiven Krakozhia stammend just in dem Moment auf dem Flughafen JFK landet, als seine Heimat durch einen Bürgerkrieg von der Landkarte radiert wird. Fortan ist Viktor staatenlos.
Was Victor Navorski von nun an erlebt, hat nichts mit der Realität zu tun. Denn Spielberg geht es weder um Gesellschaftskritik noch um eine bissige Satire. Er erzählt vielmehr ein Märchen. Das Märchen des sympathischen Zwangs-Gastes, der wegen seiner gutmütigen Art von allen geliebt wird und der den großen amerikanischen Traum im Kleinen erlebt. Victor Navorski, der Gutmensch, hilft wo er kann und wird zum Star des missachteten Multi-Kulti-Personals. Er ist ein leuchtendes Beispiel für mehr Menschlichkeit und Toleranz. Dem gemeinen Zuschauer geht das Herz auf. Und als der attraktiven Stewardess (Catherine Zeta-Jones), in die sich Navorski verliebt hat, ebenfalls das Herz aufgeht, spätestens da hat "Terminal" den Boden jeglicher Realität verlassen.
Product Placement der unfeinen Art
Für die Dreharbeiten ließ Spielberg einen kompletten Terminal nachbauen, mit Starbucks Coffee, Burger King, Hugo-Boss-Laden und allem was dazu gehört. Konkreter könnte Product Placement nicht sein und ebenso unangenehmer könnte es nicht auffallen. Doch die größte Marke, die hier beworben wird, ist eine andere: der American Way of Life. Vorgelebt von einem Immigranten mit wahren amerikanischen Werten.
Mehran Karimi Nasseri sagte kürzlich in einem Interview, er "möchte 'seinen' Flughafen solange nicht verlassen, bis man ihm auf den Namen Sir Alfred Mehran einen Pass ausstellt". Er träumt davon, in Amerika zu leben.
The Terminal, USA 2004, 129 Min. – Regie: Steven Spielberg, Kamera: Janusz Kaminski, Darsteller: Tom Hanks, Catherine Zeta-Jones, Stanley Tucci. Filmstart in Deutschland: 7. Oktober 2004