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Warum Afrika auf Atomkraft und nicht auf Solarstrom setzt

Martina Schwikowski
19. Oktober 2023

Viele afrikanische Länder liebäugeln mit der Atomenergie - und einige Projekte sind schon sehr konkret. Sie sollen den wachsenden Energiebedarf decken helfen, doch im sonnenreichen Afrika gibt es daran auch Kritik.

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Ein Atomkraftwerk in Südafrika ist hinter dem bewegten Meer zu sehen
Südafrika: Das einzige Atomkraftwerk in Afrika liegt nahe Kapstadt, aber viele Länder wollen künftig Reaktoren bauenBild: Esa Alexander/REUTERS

Burkina Faso ist eines der am wenigsten elektrifizierten Länder der Welt. Laut Daten der Internationalen Energie-Atomagentur (IEA) haben nur etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität. Dabei wäre Strom dringend benötigt und auch für die wirtschaftliche Entwicklung zentral. Die Militärregierung hat nun eine Absichtserklärung unterzeichnet, die in einigen Jahren für mehr Strom in Burkina Faso könnte: Der russische Staatskonzern Rosatom soll ein Atomkraftwerk errichten.

Seit dem Militärputsch im Herbst 2022 regiert Ibrahim Traoré das Land - mit 35 Jahren ist Traoré der jüngste Staatschef der Welt. Er kehrte der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich als Partner weitgehend den Rücken und wandte sich stattdessen Wladimir Putins Russland zu.

Sonnenenergie sollte die Lösung in Afrika sein

Für Kritiker wie Adrien Poussou, ehemaliger zentralafrikanischer Minister für nationale Versöhnung, ist ein Bau des Atomkraftwerks lediglich russische Propaganda: "Es ist ein Unding, dass der afrikanische Kontinent, der Sonne hat, Probleme mit Energie und Elektrizität haben kann", sagt der politische Analyst im DW-Interview. Sonnenenergie sollte die Lösung sein, und nicht ein Abkommen, um ein Atomkraftwerk zu bauen.

Zwei Techniker arbeiten am Hohlspiegel einer Solaranlage
Burkina Faso produziert auch Solarenergie, wie hier in DanoBild: Ute Grabowsky/photothek/picture alliance

Burkina Faso ist nicht das einzige Land, in dem Rosatom Fuß fasst und Moskaus Einfluss in Afrika ausbaut: Auch Mali will der Konzern bei der Nutzung ziviler Atomkraft unterstützen.

In der Stadt El Dabaa an der Mittelmeerküste in Ägypten baut Rosatom bereits seit 2022 an dem ersten Atomkraftwerk des Landes, das aus vier russischen Kraftwerksblöcken mit je 1200 MW bestehen soll. Und auch andernorts in Afrika schielt man auf Atomkraft als weitere annähernd CO2-arme Stromquelle neben den Erneuerbaren.

In Uganda soll Atomenergie bis 2031 für mehr Elektrizität sorgen, kündigte das Energieministerium im März dieses Jahres an. Die Vorbereitungen zur Evaluierung des Standorts Buyende für das erste Kernkraftwerk liefen. 120 Kilometer nordöstlich von Kampala sollen zwei Reaktorblöcke entstehen - Uganda hatte mit der chinesischen Atombehörde CNNC ein Abkommen über einen gemeinsamen Bau unterzeichnet.

Kenias Atom-Pläne

Nachbar Kenia will mit dem Bau eines Atomkraftwerkes 2027 beginnen - mit einer geplanten Bauzeit von rund zehn Jahren. Als mögliche Standorte sind die Bezirke Kilifi und Kwale nahe der Hafenmetropole Mombasa im Gespräch. Das Kraftwerk soll laut der kenianischen Atombehörde NuPEA nach seiner Fertigstellung mit einer Leistung von rund 1000 MW den wachsenden Energiebedarf des Landes decken helfen.

Sechs Windenergieanlagen stehen auf einem Hügel
Kenia ist Vorreiter in Sachen grüner Energie und will dennoch 2027 ein Atomkraftwerk bauen lassenBild: Zhao Yingquan/Photoshot/picture alliance

Für Analyst X.N. Iraki von der Universität Nairobi ergibt das keinen Sinn. Der Plan sei ein Prestige-Projekt, mit dem sich Politiker brüsten wollten: "Es ist überraschend, dass wir in Atomkraft einsteigen, obwohl wir so viel Energie haben", sagt er im DW-Interview. Mit seinem grünen Strom aus Sonne, Wind und Geothermie gilt Kenia als Vorreiter beim Ausbau erneuerbarer Energien in Afrika.

"Investoren wollen Geld mit AKW verdienen"

Iraki bleibt skeptisch: "Ich habe den Verdacht, dass Investoren Geld verdienen wollen, indem sie Atomkraftwerke nach Kenia und Ostafrika bringen. Sie werden an anderen Orten der Welt stillgelegt, weil die Kernkraft in vielen Industrieländern nicht sehr beliebt ist", sagt er und warnt vor Reaktorunfällen wie in Tschernobyl 1986 und in Fukushima 2011.

Die Zeitspanne von zehn Jahren mache den Plan ziemlich unrealistisch, meint der Analyst. In der Zeit könne viel politisch passieren und vor allem - "wer soll es finanzieren?", fragt sich Iraki. Laut NuPEA liegt das Anfangskapital bei mindestens 500 Milliarden kenianischen Schilling (derzeit rund 3,16 Milliarden Euro). Häufig werden langwierige Bauprojekte teurer als geplant.

Das Land gewinnt bereits rund 90 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen (vorwiegend Erdwärme und Wasser- und Windkraft). Im November 2022 haben Deutschland und Kenia im Rahmen der Weltklimakonferenz (COP27) in Sharm el Sheikh eine Klima- und Entwicklungspartnerschaft vereinbart. Die kenianische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 den gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen zu decken.

Bundeskanzler Olaf Scholz (Bildmitte) im Gespräch mit dem kenianischen Minister für Energie, Davies Chirchir (rechts) und Journalisten (links). Im Hintergrund sind grüne Berge und das Geothermiewerk Olkaria zu sehen
Deutschland ist Kenias Partner für die Energiewende - Kanzler Scholz besuchte das Geothermiewerk Olkaria 2023Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Bei allen bisher genannten Beispielen geht es um Reaktortypen, wie sie bereits dutzendfach in anderen Ländern stehen. Einen anderen Weg geht Ruanda: Dort soll das kanadisch-deutsche Unternehmen Dual Fluid Energy Inc. einen Testreaktor mit einer neuartigen Technologie bauen. Das Start-up habe einen innovativen flüssigen Brennstoff und ein Kühlmittel aus Blei entwickelt, wodurch weniger radioaktiver Abfall anfalle, erklärte die ruandische Atomenergiebehörde im September.

Das einzige laufende Atomkraftwerk des Kontinents steht in Südafrika

Laut Iraki drängen viele Investoren auf einen neuen Markt - und der sei nun mal in Afrika. Auch Länder wie Ghana, Nigeria, Sudan, Sambia und Simbabwe haben zumindest Absichtserklärungen mit Partnern unterzeichnet, im nächsten Jahrzehnt Einsatzmöglichkeiten Atomenergie zu erkunden. Nicht überall wurden diese weiter verfolgt, und auch schon in der Vergangenheit wurden Projekte wieder verworfen.

Bis dato hat nur Südafrika ein Atomkraftwerk ans Netz gebracht: Der einzige produzierende Meiler in Afrika steht in Koeberg nahe Kapstadt. 1984 ging der erste der zwei Reaktoren ans Netz. Seit Jahren wird in Südafrika überlegt, die Atomenergie zu verstärken. Aktuell stammt ein Großteil des Stroms aus klimaschädlicher Kohle, der staatliche Stromversorger Eskom ist in einem desolaten Zustand und kann Industrie und Bevölkerung nicht ausreichend mit Strom versorgen.

Das Kohlekraftwerk Ekurhuleni
Südafrikas Kohlekraftwerk in Ekurhuleni: marode Kohlemeiler sind immer noch unverzichtbarBild: AFP

Princess Mthombeni setzt sich für die Atomenergie in Südafrika ein - sie ist Mitbegründerin der Plattform Africa4Nuclear. "Es ist an der Zeit, dass wir als afrikanischer Kontinent das Rad nicht neu erfinden, sondern die Energietechnologien einsetzen, die sich in den entwickelten Ländern bewährt haben", sagt sie im DW-Interview.

Die junge Aktivistin hält dies für einen großartigen Schritt, denn die afrikanischen Länder müssten endlich der Industrialisierung Vorrang einräumen, um ihre Wirtschaft zu fördern und die dringend benötigten Arbeitsplätze zu schaffen. Sie hofft, dass Länder bei "der Einführung von Grundlasttechnologien wie der Kernenergie sowie der sozioökonomisch sinnvollen und verantwortungsvollen Mischung aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind- und Solarenergie standhaft bleiben."

Die Frage nach Risiken durch radioaktiven Atommüll wischt sie weg: Afrikanische Länder, die einen Einstieg in die Atomenergie erwägen, sollten mit internationalen Experten von Beginn an überlegen, was mit dem Atommüll passieren soll. Die Frage nach der Endlagerung der über Jahrtausende strahlenden Brennstäbe ist indes in fast allen Ländern mit Atomkraftwerken noch ungelöst.

Mitarbeit: Eric Topona