Mehr als nur ein Stück Wald
10. Oktober 2018Kurze Einordnung vorweg: Es gibt in Deutschland zwei große Abbaugebiete für Braunkohle. Eins liegt ganz im Osten in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg, das andere liegt im ganz westlich gelegenen Nordrhein-Westfalen. Rund ein Viertel der Energie in Deutschland stammt aus der sogenannten Verstromung, also der Verbrennung der Braunkohle. Langfristig sollen vor allem Erneuerbare Energien die Braunkohle ersetzen. Wann genau das sein wird, darüber berät seit diesem Sommer eine große "Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" unter Leitung der Bundesregierung.
Den Grünen in Deutschland geht das alles nicht schnell genug, weil sie den Klimaschutz in akuter Gefahr sehen und schnelle Handlungen sehen wollen. Die Ereignisse um den "Hambacher Forst" und der jüngste Bericht des Weltklimarates IPCC nahm die Partei wohl auch deshalb zum Anlass, im Bundestag eine sogenannte Aktuelle Stunde, eine Extra-Debatte, auf den Weg zu bringen.
Der Grünen-Politiker Oliver Krischer warf der Bundesregierung vor, seit zehn Jahren keine Klimaschutzpolitik mehr zu betreiben, sondern nur davon zu reden. Seine Parteikollegin Lisa Badum forderte dazu auf, den Klimaschutz endlich in die Verfassung aufzunehmen. Kritik auch dazu: Die Bundesregierung habe bei den Verhandlungen auf EU-Ebene über Emmissionsgrenzen für Kohlendioxid bei Autos in dieser Woche ein nur "armseeliges Ergebnis" erzielt.
"Unterschied zwischen einer Öko- und Volkspartei"
Das sei wieder nur reine Symbolpolitik, kritisierte Karsten Möhring von der konservativen Fraktion aus CDU/CSU. Seine Kollegin Marie-Luise Dött erklärte, was ihrer Meinung nach an der Sicht der Grünen falsch sei, nämlich ein gewisser "Tunnelblick". Den Grünen seien die Zukunft des Wirtschaftsstandortes, die Frage der Stromkosten, der Arbeitsplätze und der sicheren Energieversorgung egal oder zweitrangig, so Dött. "Uns aber sind die Menschen nicht egal, das sei der Unterschied zwischen einer Öko- und einer Volkspartei."
Dött verwies auf die eingesetzte Kommission und versprach einen guten Konsens. Dass die Grünen die illegale Besetzung des Hambacher Forstes unterstützten, sei nicht akzeptabel. Doch genau die Arbeit der Kommission ist im Zuge der Hambach-Diskussion zuletzt ins Rutschen gekommen. Umweltverbände hatten gedroht, den Verhandlungstisch zu verlassen, sollte der Wald gerodet werden.
Hambacher Forst - ein Waldstück wird zum Politikum
Es geht in diesem Streit um 200 Hektar Wald am Rand eines schon bestehenden Tagebaus in Nordrhein-Westfalen. Aktivisten hatten dort dutzende Baumhäuser errichtet und wollten das eigentlich geplante Abholzen verhindern. Juristisch ist ihnen das mit einem Trick gelungen. Da eine unter Naturschutz stehende Fledermaus dort beheimatet ist, liegt die Sache nun bei Gericht. Der Tagebau-Betreiber RWE, ein großer Energie-Konzern, rechnet mit zwei Jahren, bis die Sache entschieden sein könnte, und hat nun in der Tat zugesagt, dort weniger Braunkohle fördern zu wollen.
Hambach sei das neue Wackersdorf, sagte die Grünen-Politikerin Badum. In den 1980er-Jahren fanden dort in Bayern - letztlich erfolgreiche - Proteste gegen eine Atom-Anlage statt. Sie sei froh darüber, dass es jetzt wieder Protest auf der Straße gebe, die Grünen würden die Impulse der Zivilgesellschaft aufnehmen. Mit Hambach und dem Klimaschutz scheinen die Grünen wieder Bezugspunkte zu ihren ursprünglichen Zielen zu suchen.
Interessant ist die Rolle der deutschen Umweltministerin Svenja Schulze in dieser Diskussion. Wie mehrere Redner im Bundestag erinnerten, habe die Sozialdemokratin im Jahr 2016 in der damaligen Landesregierung aus SPD und Grünen die Abholzung des Hambacher Forstes gut geheißen. Nun sagte sie, die "Eskalation" hätte verhindert werden können - bei der Räumung der Baumhäuser kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Schon zuvor hatte Schulze ihr Umdenken formuliert, wonach der Protest und die symbolische Bedeutung des Hambacher Forstes ernst zu nehmend seien.
Der richtige Weg?
In der Diskussion um die deutsche Energiepolitik zeigt sich - generell und ganz konkret - ein besonders breites Meinungsbild. Dass Wald nicht gleich Wald sei, kritisierte die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" (AfD), größte Oppositionspartei im Bundestag. Schließlich würden andere Waldstücke abgeholzt, um dort Windturbinen aufzubauen. Dort würde niemand nach den Vögeln und Fledermäusen rufen, die getötet würden, sagte Rainer Kraft. Das sei doch "Heuchelei". Dass CO2 gar nicht schuld am Klimawandel sei, wiederholte die AfD dieses Mal nicht.
Die Liberalen mahnten an, beim Klimaschutz nicht "schwarzmalerisch hektisch" vorzugehen, so der FDP-Politiker Lukas Köhler, sondern marktorientiert. Klimaschutz sei nur international zu gewährleisten. Und dafür gebe es den Emissionshandel, also CO2-Budgets. Die Diskussion um Grenzwerte und die Zahl von Windrädern sei eine "fatale" Richtung, weil nicht an der Sache orientiert.
Bald kommt ein Klimaschutzgesetz
Das Thema Klimaschutz ist seit Jahrzehnten ein kontroverses, aber auch erfolgreiches Politikfeld. Redner erinnerten an die Umwelt-Technologien "Made in Germany", die weltweit gefragt seien. Hunderttausende Arbeitsplätze seien im Bereich der Erneuerbaren Energien entstanden.
Die Vorgänger-Regierung hat einen Klimaschutzplan 2050 verabschiedet. Die jetzige Regierung - aus den gleichen Parteien - will daran festhalten und zusätzlich noch in diesem Jahr ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen. Die Debatte wird also bleiben.