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Warum Cum-Ex-Geschäfte jahrelang möglich waren

4. September 2019

Cum-Ex-Geschäfte waren schon seit Jahren bekannt. Obwohl mehrere Staaten durch sie Milliarden verloren, gibt es erst jetzt einen Strafprozess. Ein DW-Interview mit dem Steuerexperten Christoph Spengel.

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Christoph Spengel, Universität Mannheim | Fakultät für Betriebswirtschaftslehre
Professor Christoph Spengel, Universität MannheimBild: 2015-2018 Fakultät BWL Uni Mannheim/Felix Zeiffer

An diesem Mittwoch (04.09.2019) begann am Landgericht Bonn der erste Strafprozess gegen mutmaßlich Beteiligte an Cum-Ex-Geschäften. Christoph Spengel ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und betriebliche Steuerlehre an der Universität Mannheim und war als Gutachter zum Cum-Ex-Skandal für das EU-Parlament tätig.

DW: Cum-Ex-Aktiengeschäfte soll es seit den 80er-Jahren gegeben haben. Wie kann es sein, dass sich Finanzakteure jahrelang auf Kosten des Staates bereichern konnten, ohne dass der Staat einschreitet?

Christoph Spengel: Dem Finanzministerium wurde 2002 mitgeteilt, dass es bei Cum-Ex-Geschäften mit Leerverkäufen zu einer mehrfachen Erstattung einer nur einmal bezahlten Kapitalertragssteuer gekommen ist. Man hat zehn Jahre nicht gehandelt, einfach weil man sich im Finanzministerium der Sache nicht angenommen hat.

Aber wie kann das sein? Es ging um Milliardenbeträge…

Das muss man die jeweiligen Finanzminister Hans Eichel, Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble fragen. Wer solche Hinweise als Chef eines Ministeriums bekommt, der muss der Sache auf den Grund gehen. Und es ist leider bis heute, September 2019, technisch nicht möglich, die Höhe der abgeführten und gezahlten Kapitalertragssteuer mit der Höhe der beantragten Steuererstattung abzugleichen.

Welche Rolle spielt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die die Finanzmärkte beaufsichtigen soll, in dem Skandal?

Die BaFin ist eine Behörde des Bundesfinanzministeriums, die auf Weisung des Bundesfinanzministeriums tätig wird. Die BaFin hat Kenntnis von jeder einzelnen Börsentransaktion. Sie hat sich aber bei Cum-Ex-Geschäften mit der Begründung aus der Affäre gezogen, dass sie nie einen Ermittlungsauftrag erhalten habe. Daher haben wir so eine Art Kollektivversagen. Der eine sagt nichts, der andere tut nichts. Man hat Kenntnisse darüber, was am Markt läuft, geht der Sache aber nicht auf den Grund.

Es scheint zudem ja auch noch Interessenkonflikte innerhalb der BaFin zu geben…

Die Vizepräsidentin der BaFin, Elisabeth Roegele, war bis vor kurzem Chef-Justiziarin einer Bank, die wegen Cum-Ex-Geschäften verklagt worden ist und das Urteil auch akzeptiert hat. Hier stellt sich die Frage nach der Unbefangenheit im Amt.

Wie kommt es, dass die Bundesregierung ihre europäischen Partnerländer erst Jahre, nachdem sie selbst von den Cum-Ex-Geschäften erfahren hat, informiert hat?

Die Bundesregierung hat erstmals im Jahr 2015 Cum-Ex-Geschäfte als steuerrechtlich illegale Transaktionen bezeichnet und hat dann informiert. Sie hatte vorher keine Kenntnisse über die Dimensionen dieses Skandals.

In Deutschland wurde diesen Geschäften 2012 durch den Gesetzgeber ein Riegel vorgeschoben. Wieso hat es so lange gedauert, bis sich die ersten Beteiligten vor Gericht verantworten müssen?

Bei Cum-Ex-Geschäften mit Leerverkäufen handelt es sich um sehr komplexe Finanztransaktionen, an denen mehrere Akteure beteiligt waren: Die Akteure, die das Ganze initiiert haben, die Investoren und die Banken - in ganz verschiedenen Rollen, als Leerverkäufer, als Lieferanten von Aktien, als Finanziers. Dann gab es noch zahlreiche Berater, die im Verborgenen agierten. Es ist eine akribische Kleinarbeit, über Zeugenaussagen und das Auffinden von Dokumenten die Geschäfte nachzuvollziehen und den beteiligten Akteuren nachzustellen.

Wie sieht denn inzwischen die Lage aus? Kürzlich hatte die europäischen Finanzmarktaufsicht bekannt gegeben, dass möglicherweise bis heute noch Cum-Ex-Geschäfte betrieben würden.

Die Hinweise der europäischen Finanzaufsicht haben gezeigt, dass die Aktientransaktionen in Deutschland um den Dividendenstichtag zwar zurückgegangen sind, aber es gibt weiterhin auffällige Transaktionsvolumen um den Dividendenstichtag. Das können seit 2012 aber keine Cum-Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen sein, die zu einer mehrfachen Erstattung der Kapitalertragssteuer führen. Es gibt aber andere Varianten, die sogenannten Cum-Cum-Geschäfte, bei denen eine Kapitalertragsteuer zu Unrecht erstattet wurde, aber nur einmal, nicht mehrfach. Die Untersuchungen in Europa haben aber auch gezeigt, dass nach Schließen des Schlupflochs in Deutschland Transaktionen in andere Länder verlagert wurden, zum Beispiel nach Dänemark, das auch hart getroffen wurde von Cum-Ex-Geschäften.

Welche Lehre sollte der Staat aus diesen Geschäften ziehen?

Mehrere Lehren sollte der Staat daraus ziehen. Einmal sollten die verschiedenen Bundes- und Landesbehörden so vernetzt werden, dass man relativ schnell einen Abgleich von Steuereinnahmen und Anträge auf Erstattungen vornehmen kann. Außerdem sollten Lobbyverbände weniger Einfluss nehmen können. Und man sollte vorgenommene Gesetzesänderungen auf ihre Wirksamkeit überprüfen. Man braucht also einen wirksamen Kontrollmechanismus - nicht nur innerhalb Deutschlands. Diese Geschäfte sind in ganz Europa gelaufen und hinter diesen Geschäften standen auffällig häufig die gleichen Personen. Das heißt, wir brauchen einen europäischen Informationsaustausch oder besser noch einen auf Ebene der OECD [Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ein Zusammenschluss von Industrieländern mit 36 Mitgliedern - d. Red.]. Sprich: Europäische Strafverfolgungsbehörden sollten EU-weit ermitteln und ihre Informationen europäischen Behörden zur Verfügung stellen dürfen.

Ist da schon etwas auf den Weg gebracht worden?

Es gibt eine Resolution des Europäischen Parlaments vom November 2018. Ein positives Ergebnis ist, dass die europäische Finanzaufsicht ihre Untersuchungen gestartet hat. Das war ein Bestandteil dieser Resolution. Des weiteren wird vom Europäischen Parlament gefordert, dass [die europäische Polizeibehörde] Europol auch in Sachen Einkommenssteuer ermitteln kann. Damit hätten wir eine Legitimierung einer europäischen Steuer-Strafverfolgungsbehörde. Im Moment darf Europol nur bei der Umsatzsteuer tätig werden.

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion