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Alt-Right-Bewegung beruft sich auf Jane Austen

Rachel Stewart jk
23. März 2017

"Stolz und Vorurteil" weißgewaschen: Mitglieder der rechtsextremen "Alt-Right"-Bewegung in den USA haben einen literarischen Klassiker aus England entdeckt. Was versprechen sie sich davon?

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Jane Austen
Bild: picture alliance/Heritage Images

Die "Alt-Right"-Bewegung in den Vereinigten Staaten, ein Zusammenschluss von vor allem im Internet vertretenen nationalistischen Rechten, liebt es, zu provozieren. Ihre Mitglieder verbreiten ihre radikalen Ansichten und ihre ideologisch oft rassistisch grundierten Meinungsäußerungen meist in den Sozialen Medien.

Die jüngste Debatte im Umfeld von "Alt-Right" dreht sich um die scheinbar intellektuelle Aneignung des literarischen Werks einer der populärsten britischen Schriftstellerinnen aller Zeiten: Jane Austen.

Intellektueller Überbau erwünscht

Wie ist das so plötzlich erwachende Interesse von Rechtsextremen an einem literarischen Klassiker zu erklären? Es könnte etwas mit dem Wunsch von "Alt-Right" zu tun haben, sich von unliebsamen rechtsradikalen Wurzeln zu distanzieren. Extrem rechts ausgerichtete Skinheads mit plumpen Ideologien, wie die von der Überlegenheit der "weißen Rasse", als geistige Urahnen zu haben, ist nicht gerade vorteilhaft. Ein wenig intellektueller Anspruch kommt da gut.

"Skinheads stehen im Großen und Ganzen nicht gerade für Bildung, eher für einen niedrigen IQ. Sie stehen für Uninformiertheit, für Gewalt und Hass auf alles", schrieb Milo Yiannopoulos, ein früherer Redakteur der publizistischen "Alt-Right"-Plattform "Breitbart News" im vergangenen Jahr: "Die Alternative Rechte sind eine viel cleverere und gebildetere Gruppe von Leuten. Dadurch sind sie richtig gefährlich. Das ist vielleicht auch die Erklärung dafür, dass sie von den Linken so gehasst werden."

Milo Yiannopoulos
Milo Yiannopoulos streitet für die Alt-Right-BewegungBild: picture-alliance/AP Photo/J. Papasso

Dass die äußerst Rechten vor kurzem auf den Geschmack gekommen sind, sich ausgerechnet mit der Schriftstellerin Jane Austen auseinanderzusetzen, wurde von Nicole M. Wright aufgegriffen. Wright lehrt Englisch an der Universität von Colorado. Sie war neugierig geworden, als sie von den Thesen Yiannopoulos über die Autorin aus dem 18. Jahrhundert hörte. Als sie sich dann mit weiteren Texten der "Alt-Right"-Bewegung im Internet beschäftigte, stellte sie fest, dass Yiannopoulos nicht der einzige war, der die Literatur und das Weltbild von Jane Austen mit der "Überlegenheit der weißen Rasse" in Verbindung brachte: "Zu meiner Überraschung begegnete mir der Name Jane Austen im Netz immer wieder in verschiedenen Alt-Right-Foren."

Jane Austen - von vielen für Ideologie missbraucht

Nicole M. Wright befasste sich daraufhin in einem Artikel für "The Chronicle of Higher Education" ausführlich mit dem Phänomen: "Ich fand heraus, dass es verschiedene Anknüpfungspunkte der Bewegung an Jane Austen und ihren Romanen gab. Erstens: Austen als Symbol für sexuelle Jungfräulichkeit. Zweitens: als Symbol für eine angeblich verschwundene traditionelle Kultur der Weißen. Drittens: Jane Austen als Ausnahme von der Regel, die besagt, dass das weibliche Geschlecht minderwertig ist." Ein Blogger habe von einer "Rückkehr zu einer Jane-Austen-Welt" geschwärmt, einer Gesellschaft mit traditionellen Eheanbahnungen und Hochzeiten wie in Austens Roman "Stolz und Vorurteil", so Wright.

Devoney Looser, Englischprofessorin an der "Arizona State University" glaubt, dass man die Texte Jane Austens missverstehen kann. Wenn es um Themen wie Heirat und Ehe gehe, dann könne man die Romane so lesen, als ob sie traditionelle, konservative Werte unterstützen würden.

England Manchester Suffragetten
Die englischen Suffragetten setzten sich für das Frauenwahlrecht einBild: picture alliance/akg-images

Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagte Looser: "Ich befürchte, man kann Jane Austen als Einladung für eine Flucht in eine Vergangenheit lesen, eine vermeintlich unkomplizierte Zeit, in der Frauen noch Frauen waren und Männer Männerrollen innehatten und jeder Teil einer bestimmten sozialen Klasse war. Der Grund dafür, sie misszuverstehen, ist dadurch zu erklären, dass man völlig ausblendet, dass Austen ihre Zeit damals kritisch sah, sie mit Ironie arbeitete und eigentlich die Zustände bloßstellen wollte," so Looser.

Vorbild mit untadeligem Ruf

Die "Alt-Right"-Bewegung weiß, wie wichtig eine kluge Vermarktung ihrer Anliegen ist. Warum soll man potenzielle Sympathisanten vergraulen, indem man plumpe Skinhead-Sprüche zitiert? Da ist es fürs Image viel vorteilhafter, sich auf Jane Austen, eine Schriftstellerin mit untadeligem Ruf, zu berufen. Nicole M. Wright ist überzeugt, dass die rechte Bewegung mit solchen Argumenten und Diskussionen viel besser mit "ganz normalen Leuten" ins Gespräch kommt.

Natürlich ist es eine ganz andere Sache, was Jane Austen mit ihren Romanen tatsächlich ausdrücken wollte. "Konservative und progressive Kräfte streiten seit über eineinhalb Jahrhunderten darüber, wie Austen richtig zu lesen ist", sagt Looser, die über die Beziehung von Jane Austen zu gesellschaftlichen und politischen Fragen für ihr im Mai auf Englisch erscheinendes Buch "The Making of Jane Austen" geforscht hat.

Um Austens Texte wird schon lange gerungen

"Die Suffragetten sind durch die Straßen Londons marschiert um Frauenrechte zu erstreiten, sie haben Jane-Austen-Fahnen vor sich her getragen. Zur gleichen Zeit beanspruchten elitäre Herrenclubs Jane Austen für sich. Sie behaupteten, das eigentliche Wesen der Autorin habe darin bestanden, dass sie für den Status Quo in Sachen Geschlechterrolle eingetreten sei. Das ist doch wirklich ein großer Unterschied!", so Looser.

Er ergänzt, dass es schon im Jahre 1872 einen richtigen politischen Schlagabtausch um das Werk von Austen gegeben habe: "Mitglieder des britischen Parlaments haben den Namen Jane Austen bemüht, als es darum ging für oder gegen das damals diskutierte Frauenwahlrecht Stellung zu nehmen. Ein konservatives Mitglied des Parlaments sagte damals, Austen hätte sich nie dafür ausgesprochen, weil sie einem traditionellen Rollenverständnis nahestand. Ein liberalerer Abgeordneter dagegen stellte die Autorin auf die Seite derjenigen, die sich ganz klar für das Frauenwahlrecht ausgesprochen hätten."

Golden Globe für Stolz und Vorurteil
Jane-Austen-Romane gehen auch im Kino gut: Keira Knightley als Elizabeth in dem Film "Stolz und Vorurteil" Bild: picture-alliance/dpa

Eine ausführliche Debatte gebe es darüberhinaus auch bei anderen Themen. So würden die Texte der Schriftstellerin auch im Zusammenhang mit Kolonialismus und Sklaverei debattiert: "Ich sehe allerdings wesentlich mehr Hinweise dafür, Jane Austen als liberale Kritikerin von solchen Erscheinungen zu interpretieren, als dass sie eine konservative Verfechterin dafür gewesen war."

Natürlich ist Jane Austen nicht die erste Schriftstellerin, die im Nachhinein für viel später stattfindende Debatten über Rassismus und Geschlechterrollen missbraucht wird. Werke der klassischen Literatur werden regelmäßig wieder ausgegraben, wenn es darum geht frühere Jahrhunderte durch die Brille von heute zu betrachten und zu interpretieren.

Es lohnt, Jane Austen heute zu lesen

Looser gibt außerdem zu bedenken, dass Jane Austen Romane geschrieben hat und nicht politische oder gesellschaftsrelevante Abhandlungen. "Auch wenn es dazu führt, dass Austens Texte politisch im Vagen bleiben, bin ich doch froh über diese Debatten", sagt die Wissenschaftlerin. Es sei doch sehr viel interessanter, Literatur zu lesen, die uns dazu bringt, darüber nachzudenken, wie wir heute denken und fühlen, als Literatur, die uns vorschreibt, wie wir zu denken und zu fühlen haben."

"Ein Fehler, den viele machen bei der Lektüre von Jane Austens Romanen, ist der, sie als Verteidigerin bestehender Wert misszuverstehen", sagt Looser. "Das ist sie keinesfalls. Ihr Werk und ihre Romane sind vielmehr ein eindeutiger Kommentar und eine scharfe Kritik an den Verhältnissen."