Warum ein Kamerun ohne Paul Biya so schwer vorstellbar ist
27. Oktober 2024Als der kamerunische Präsident Paul Biya nach wochenlanger Abwesenheit in Yaoundé landete, begrüßte ihn eine Schar von Menschen. Biya schüttelte viele Hände, Anhänger säumten die Straße und hielten Plakate mit Aufschriften wie "La force de l'experience" (Die Kraft der Erfahrung).
Wie außergewöhnlich der Auftritt jedoch war, zeigt die Reaktion eines Radio-Journalisten: "Es handelt sich nicht um ein Phantom, sondern um Präsident Paul Biya, der ein langes Gespräch mit Regierungsvertretern führt", sagte der Moderator des Staatsrundfunks CRTV.
In der Woche zuvor kursierten Gerüchte über die Gesundheit des 91-Jährigen, manche wähnten ihn bereits für tot. Die Regierung verbot den lokalen Medien, darüber zu berichten.
Biya hatte weder an der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York noch an einem Gipfel der französischsprachigen Länder in Paris teilgenommen. Bis zu seiner Landung in Kameruns Hauptstadt Yaoundé war Biya zuletzt bei dem China-Afrika-Gipfel in Peking Anfang September gesehen worden.
Die Herausforderungen nehmen zu
Biyas Regierung führte die Mehrparteiendemokratie in Kamerun ein - auch wenn die Politik stark auf die Regierungspartei RDPC zugeschnitten ist. Dies stärkte Beziehungen zu den westlichen Ländern, insbesondere Frankreich, das bis zur Unabhängigkeit rund 80 Prozent der Landesfläche im Kolonialstil als Treuhandgebiet verwaltete.
Der einst britisch dominierte Landesteil, der in zwei anglophonen Provinzen aufging, wird seit 2017 von gewaltsamen Separatistenkämpfen erschüttert, der Norden wird von Terrorgruppen wie Boko Haram destabilisiert.
Auf Dissens reagiert die Führung des Landes zunehmend mit Härte: Sie ging häufig gegen die politische Opposition vor und inhaftierte Hunderte von friedlichen Demonstranten.
Darunter auch Maurice Kamto, der Zweitplatzierte der letzten Präsidentschaftswahlen 2018. Er saß neun Monate ohne Anklage im Gefängnis.
Der Anwalt und Oppositionspolitiker Tamfu Richard findet, Biyas Alter habe seine Fähigkeit, all diese nationalen Krisen zu lösen, beeinträchtigt. "Er ist wegen seines Alters nicht mehr in der Lage, in diese Gebiete zu gehen, um den Druck wirklich zu spüren - ein Grund dafür, dass er diese Krise nicht meistern oder lösen kann", sagt Richard zur DW.
Die lange Abwesenheit Biyas beunruhigen auch die kamerunischen Oppositionellen wie den Rechtsanwalt Michele Ndoki. "Die Armee sollte unter der Führung des Präsidenten der Republik stehen, und der ist nirgendwo zu sehen", so Ndoki.
Biya ist seit über 41 Jahren Präsident - nur der 82-jährige Teodoro Obiang Nguema Mbasogo in Äquatorialguinea ist länger als er - seit 45 Jahren - an der Macht.
"Präsident Paul Biya hat den Kamerunern schon zu viel gegeben", sagt Tamfu Richard. "Ich denke, sein Alter und seine körperliche Leistungsfähigkeit erfordern, dass er in den Ruhestand geht."
Als Biya Kameruns Regierungschef wurde, war das Internet noch nicht erfunden, es gab keine Handys, Ronald Reagan saß im Weißen Haus und drei afrikanische Staaten (Namibia, Eritrea und Südsudan) existierten noch nicht.
Biyas anhaltende Popularität
Mehrere verbündete Parteien haben bereits ihre Unterstützung für eine Kandidatur Biyas bei den Wahlen 2025 signalisiert. Der Menschenrechtler Ndoki führt Biyas Langlebigkeit als Präsident auf einige seiner Vertrauten zurück, die die Macht konservieren wollten.
"Ich denke, es geht eher darum, dass die Leute, die derzeit an der Macht sind, weiter an der Macht bleiben", sagt er. Biya sei als "Marke" immer noch beliebt.
"Die Frage ist, ob er noch in der Lage ist, seine Pflicht als Präsident der Republik zu erfüllen oder nicht", sagte Ndoki der DW. "Und wir [die Opposition] sagen schon seit Jahren Nein."
Elvis Ngolle Ngolle sieht das anders. Er ist Mitglied von Biyas Demokratischer Volksbewegung Kameruns RPDC (englisch: CPDM) und war Minister für Forstwirtschaft und Wildtiere in Biyas Regierung. Er weigert sich, über ein Kamerun nach Biya zu spekulieren.
"Jedes Gerede über die Vorbereitung auf die Zeit nach dem Mandat ist wirklich verfrüht und läuft auf eine spekulative Analyse hinaus", erklärt er. Die RDPC bereite sich auf die Wahlen 2025 vor.
Auch der Anwalt Richard sieht Eigeninteressen als Grund für die Ermutigung Biyas zur erneuten Kandidatur: "Einige Leute fordern immer noch, der Präsident solle sich zur Wahl stellen, obwohl sie genau wissen, dass er das nicht kann", so Richard. Die letzte Kabinettssitzung von Biya habe 2019 stattgefunden.
Eine zersplitterte Opposition, die von Machtkämpfen geplagt ist, hat es ebenfalls versäumt, den Kamerunern eine klare Alternative zu bieten.
Überalterte Führung - junge Bevölkerung
In Kamerun steht der älteste Präsident der Welt einer der jüngsten Bevölkerungen weltweit gegenüber - das Medianalter beträgt laut CIA World Factbook 18,9 Jahre.
"Wir verstehen die Struktur der kamerunischen Bevölkerung. Jugendliche machen etwa 65 bis 70 Prozent der Bevölkerung aus", sagt dazu Ex-Minister Ngolle Ngolle. Das sei Realität, und die regierende RDPC berücksichtige dies.
Er ist zuversichtlich, dass die jungen Kameruner das Erbe Biyas fortsetzen werden: "Sie sind sehr kreativ und unternehmungslustig. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Zukunft des Landes mit diesen jungen Menschen großartig ist."
Der RDPC-Politiker bestreitet, dass in Kamerun eine Kultur der Angst herrsche - unter Präsident Biya habe das Land eine Kultur entwickelt, in der die Menschen Freiheit, Einheit und Zusammenleben schätzen.
Besorgte Blicke in Richtung Zukunft
Der Oppositionspolitiker Tamfu Richard sieht das anders - und sieht ein schweres Versäumnis darin, dass die Regierungspartei RDPC immer noch keinen Nachfolger für den 91-Jährigen Biya aufgebaut hat.
"Wenn Biya im Amt stirbt, kann das zu vielen Problemen führen, weil es Machtkämpfe gibt", sagt Richard und fordert einen ordnungsgemäßen Übergang unter seiner Aufsicht.
Laut Verfassung muss ein Interimspräsident ernannt werden, bis ein neuer Führer gewählt ist. Menschenrechtler Michele Ndoki befürchtet, dass die Nachfolge in Kamerun ungelöst ist und blickt auf die Nachbarstaaten.
"Im Tschad, in Gabun, und in der Zentralafrikanischen Republik gab es ein Staatsoberhaupt, das irgendwann nicht mehr als der Allmächtige galt." Das Volk habe seine Autorität zur Wahl eines Staatsoberhauptes eingebüßt, stattdessen übernehme die Armee oder eine Gruppe von mächtigen Leuten.
In Gabun putschte 2023 das Militär als Reaktion auf eine mutmaßlich zugunsten von Präsident Ali Bongo manipulierte Wahl; in der Zentralafrikanischen Republik arbeitet Staatschef Faustin-Archange Touadéra mit der russischen Söldnergruppe Wagner zusammen, um seine Macht gegen Rebellen zu behaupten.
Ndoki ist nicht der einzige Kameruner, der sich Sorgen macht, was seinem Land nach dem Ende der Ära Biya droht.
Aus dem Englischen adaptiert von Martina Schwikowski.