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Supraleiter-Erfinder im Interview

Fabian Schmidt28. Oktober 2014

Johannes Georg Bednorz wurde 1987 für die Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleitung mit dem Nobelpreis geehrt. Jetzt feiert eine Stromleitung nach seinem Prinzip ihr sechsmonatiges Betriebsjubiläum.

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Johannes Georg Bednorz vor dem supraleitenden kabel in Essen (Foto: DW/ Fabian Schmidt
Dr. Johannes Georg Bednorz vor dem supraleitenden, stickstoffgekühlten Kabel in Essen.Bild: DW/Fabian Schmidt

Deutsche Welle: Herr Bednorz, wenn Sie zurück an Ihre Studienzeit denken – können Sie sich an einen Moment erinnern, der Ihren Forschergeist besonders geprägt hat?

Johannes Georg Bednorz: Ich bin während meines Studiums in Münster einmal in der Lage gewesen für drei Monate im Forschungslabor der IBM In Rüschlikon in der Schweiz zu arbeiten. Da habe ich richtig Laborarbeit kennengelernt, als Laborant gearbeitet. Als junger Student hat man natürlich nicht so viel Erfahrung, aber da wurde mir klar: Ich kann selbstständig arbeiten. Man hat mir Freiheiten gelassen und mich auch Fehler machen lassen. Und wenn man Fehler macht, lernt man daraus – tunlichst! Durch diese Arbeit habe ich die Scheu verloren, auch ein ganz neues Gebiet anzugehen.

Stickstofftank für die supraleitende Stromleitung in Essen (Foto: DW/ Fabian Schmidt)
Dieser Tank sorgt dafür, dass immer genug Stickstoff für die Kühlanlage da ist.Bild: DW/Fabian Schmidt

Wie sind Sie dann auf die supraleitenden Materialien als Forschungsthema gestoßen?

Ich bin später, als ich in der Schweiz promoviert habe, zum IBM Forschungslabor gekommen und habe die Erfahrungen, die ich auf dem Gebiet der Oxide gesammelt hatte, mit meinem damaligen Physik-Professor, Karl Alexander Müller, teilen können. Der hatte eine lange Erfahrung auf dem Gebiet der nicht-leitenden Oxide.

Er kam aber eines Tages auf mich zu und sagte: 'Ich habe das Gefühl, wenn wir die Oxide entsprechend modifizieren – also chemisch abwandeln – dann könnten wir leitfähige Oxide erzeugen.' Die hätten zwar immer noch einen gewissen Widerstand gehabt, aber durch den Einbau von Fremdionen hätte man Verzerrungen im Molekülgitter stabilisieren können.

Die Idee dahinter: Findet ein Elektronentransport in die Gitterverzerrungen statt, und die Elektronen wandern von einem Gitterplatz zum nächsten, dann würden sie auch die Gitterverzerrung mit sich führen. Auf dieser Idee basierte damals der Mechanismus der klassischen, bereits bekannten Supraleiter aus intermetallischen Verbindungen, nämlich auf der Wechselwirkung von Elektronen mit der Gitterschwingung.

Der Mechanismus führt dazu, dass Paare von Elektronen sich zusammenfinden, die dann ohne Widerstand durch das Gitter fliegen. Und das Modell haben wir auf die Oxide übertragen. Das war zunächst ein Modell, aber niemand hatte es zuvor so aufgestellt. Mir war jedenfalls nicht klar: Ist das der Wahrheit letzter Schluss?

Aber Sie haben die Idee weiterverfolgt…

Bis zu dem Moment, wo ich in diesen Oxiden bei sehr tiefen Temperaturen einen Widerstandsabfall gemessen hatte, wußten wir nicht, ob das jemals klappen würde. Und ich weiß auch nicht, ob ich meine Forschungen länger als vier oder fünf Jahre durchgehalten hätte, wenn es nicht funktioniert hätte. Sie halten es nervlich nicht durch, jeden Tag mit einer Enttäuschung nach Hause zu gehen und zu sagen: 'Es hat wieder nicht geklappt und sieht auch nicht nach einem Erfolg aus.' Das war eine harte Zeit.

Hat man denn als Grundlagenforscher eine andere Grundeinstellung, als wenn man immer das Ziel der industriellen Anwendung vor Augen hat?

Als Grundlagenforscher ist man auch unter einem gewissen Druck: Sie müssen ja auch in der Grundlagenforschung Erfolge vorweisen in Form von Publikationen. Und wenn man nichts publiziert, sieht es düster aus – vor allem wenn sie in einem industriellen Forschungslabor arbeiten, wo hohe Ansprüche gestellt werden.

Der Herausforderung haben sie sich gestellt…

In der IBM war es so, dass man gewisse Freiheiten hatte.Ich hatte ein Hauptprojekt, das sich mit Isolatoren beschäftigte – das habe ich auch weiterhin. Dabei ging es um strukturelle Phasen- bzw. Gitterumwandlungen bei tiefen Temperaturen. Von daher war ich mit tiefen Temperaturen schon sehr vertraut. Neu war der Umgang mit leitenden Oxiden.

Mein Kollege Müller und ich haben das Projekt übrigens verdeckt gefahren und mit niemandem darüber gesprochen. Auch das Management wusste es nicht. Aber so zehn bis zwanzig Prozent meiner Arbeit konnte ich in das neue Projekt investieren. Alle analytischen Werkzeuge und Maschinen, die ich brauchte, standen mir zur Verfügung. Bei den neuen Materialien unterschied sich nichts im Arbeitsablauf mit den Arbeiten an den Isolatoren, nur dass die neuen Leiter-Materialien schwarz waren. Das ist niemandem aufgefallen.

Dann musste ich mir von Kollegen die Erlaubnis holen, an ihren Messapparaturen noch nach dem Feierabend meine Widerstandsmessungen zu machen. Und so wurde tagsüber das Hauptprojekt durchgezogen und Abends nach 18:00 Uhr, wenn die Kollegen nach Hause gingen, habe ich meine Messungen an den hoffentlich supraleitenden Verbindungen gemacht – und eine Enttäuschung nach der anderen mit nach Hause genommen. Bis zu einem gewissen Tag im Januar 1986, wo da die ersten Anzeichen da waren. Es war kein vollständiger Übergang von Widerstand auf Null, aber es deutete sich an, und da hatte ich es in der Nase: 'Das muss es sein!'

Verlegung Supraleiter-Kabel in Essen (Foto: RWE - Deutschland)
Arbeiter verlegen Anfang 2014 den Kabelstrang in EssenBild: RWE

War das Ziel da schon greifbar?

Wir haben ein paar chemische Veränderungen umgesetzt und so das System schon bei 35 Kelvin (-238 Grad Celsius) supraleitend gemacht. Das war damals ein Riesenerfolg. Es entsprach einem Unterschied von 50 Prozent im Vergleich zu dem, was damals im Bereich Supraleitung existierte. Die Rekordtemperatur damals lag bei 23 Kelvin (-250 Grad Celsius).

Auch das ist noch sehr kalt, verglichen mit den heutigen Supraleitern. Flüssiger Stickstoff mit einer Temperatur von 77 Kelvin (-196 Grad Celsius) reichte da zum Kühlen nicht aus…

…noch nicht! Das was unser Hauptbeitrag in dem ganzen Feld: Wir haben gezeigt, dass man mit den oxidischen Verbindungen - Kupfer, Sauerstoff und irgendetwas anderem - weitaus höher kommen konnte, als bislang bekannt. Etwa mit Metallen aus der Reihe der seltenen Erden.

Alles was dann folgte hatte als Kernelemente Kupfer und Sauerstoff. Es kam zu einer euphorischen Welle der Materialforschung, wo dann viele neue Materialen entdeckt wurden: Man hat Ytrium statt Lanthan genommen, Strontium statt Barium. Das sind alles verwandte Elemente. Es waren chemische Modifikationen, die den Fortschritt in Richtung Temperaturen weit oberhalb von flüssigem Stickstoff gebracht haben.

Was war die größte Hürde, die Sie zu überwinden hatten?

Die größte Hürde war nach zweieinhalb Jahren immer noch weiterzumachen. Ich habe später in meinen Aufzeichnungen gesehen, dass ich teilweise einen Monat Pause machen musste, weil es nicht mehr ging. Ich habe angefangen zu zweifeln und mir dann auch Zeit genommen zu sagen: 'Jetzt schaust Du mal zurück! Was hast Du bislang gemacht? Hast Du irgendwo einen Fehler gemacht?' Und dann – das darf man nicht verschweigen – gehört auch ein bisschen Glück dazu.

In diesen Zeiten bin ich dann einfach in die Bibliothek gegangen und habe mir angeschaut, was es auf dem Materialsektor Neues gibt – das wäre mir heute nie passiert mit der Online-Suche. Und beim Durchblättern stieß ich auf ein Material, das ähnlich aussieht wie diese Kupferoxide, die ich erforsche. Jetzt muss man wissen, dass es in diesen Verbindungen verschiedene Gitterpositionen gibt.

Ich hatte meine chemischen Variationen immer im Zentrum der oktaeder-förmigen Moleküle gemacht. Die anderen Forscher machten das auf einem anderen Gitterplatz und ließen den sogenannten Oktaederplatz unberührt. Und da habe ich gesagt: 'Das muss es sein!' Ich habe ein ähnliches Verfahren dann angewendet und auf Anhieb klappte es.

Was verblüfft Sie an der Supraleitung am meisten?

Wenn ich heute in Essen bin und sehe, dass der Stromtransport ohne Verluste in so einem Stadtnetz funktioniert, dann muss ich sagen: Toll! Dass es klappt, wissen wir jetzt also. Aber warum die Hochtemperatur-Supraleiter überhaupt so funktionieren, wissen wir eigentlich immer noch nicht.

Was würden Sie jungen Forschern empfehlen?

Wichtig ist Mut zum Risiko. Auch mal nachfragen, nicht immer alles akzeptieren! Auch mal die gängige Meinung hinterfragen! Und fragen 'warum?' oder 'warum nicht?' und sich nicht mit einer halbherzigen Antwort zufriedengeben. Man muss nachhaken und dann bis zu einem gewissen Maße Durchhaltevermögen beweisen, wenn man von etwas überzeugt ist. Dabei nicht blind jahrelang hinter einem Phänomen her rennen. Aber wenn man von etwas überzeugt ist, dann sollte man in die Tiefe gehen und versuchen nachzubohren und dranzubleiben an der Thematik!

Das Interview führte Fabian Schmidt

Redaktion Clara Walther

Der Mineraloge und Physiker Johannes Georg Bednorz erhielt 1987 den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung von Hochtemperatur-Supraleitern. Am 27. Oktober 2014 stand er der Deutschen Welle am Rande einer ersten Halbjahres-Betriebsbilanz des supraleitenden Kabels "Ampacity" in Essen Rede und Antwort.