Warum Rentenpolitik wahlkampftauglich ist
1. August 2016Über die jetzige Rentner-Generation in Deutschland sagt man zu Recht: Noch nie ging es so vielen so gut wie derzeit. Besonders die 70- bis 90-Jährigen konnten in den goldenen Jahrzehnten der Bundesrepublik zwischen den 1960er- und 1990er-Jahren von einer dauerhaften Wachstumsphase profitieren. Arbeitslosigkeit war kein großes Thema, Immobilien wurden gekauft, Lebensversicherungen abgeschlossen und ansonsten viel gespart. Der Durchschnittsdeutsche konnte so Ansprüche auf eine gute Rente erwerben und Vermögenswerte erarbeiten. Viele Firmen zahlen zudem eine Betriebsrente.
Auch die ostdeutschen Rentner bekamen mit der Wiedervereinigung ihre mageren Ost-Renten aufgewertet, so dass die Durchschnittsrenten ähnlich hoch lagen. Doch diese Party ist erst einmal vorbei.
Sinkender Wohlstand
Die gesetzliche Rente in Deutschland, eingeführt übrigens von Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts, wird durch einen festen Prozentsatz vom Einkommen umlagefinanziert. Das heißt: Die Jungen zahlen für die Alten. Auch die Arbeitnehmer beteiligen sich. Der demografische Wandel und eine bessere Gesundheitsversorgung aber haben zur Folge, dass immer mehr Alte von immer weniger Jungen finanziert werden müssen.
Damit die Kosten für die Arbeitnehmer nicht zu sehr steigen, entschloss sich die Politik schon in den 1980-er Jahren, das Rentenniveau abzusenken. Diese Politik wurde seither fortgesetzt, egal welche Partei an der Regierung war. Zudem sinkt von Jahr zu Jahr der steuerliche Freibetrag für Rentner. Damit bleibt zum Beispiel einem Rentner im Jahr 2025 netto viel weniger als einem Rentner mit gleicher Rente, der 15 Jahre zuvor in den Ruhestand ging. Mit der privaten Vorsorge, die seit der Jahrtausendwende stärker steuerlich gefördert wird, gibt es zudem seit Jahren Probleme, die in der derzeitigen Niedrigzinsphase noch einmal größer geworden sind. Daher werfen auch die Lebensversicherungen nicht mehr so viel Gewinn ab wie früher, von den mageren Sparzinsen einmal ganz zu schweigen, die auch den lukrativen Zinseszinseffekt torpedieren.
Auch das Immobilienvermögen, früher ein sicheres Pfand in der Altersvorsorge, ist zumindest auf dem Land rückläufig, weil viele in die Städte ziehen wollen und Häuser in der Provinz inzwischen leerstehen. Zudem haben viele Arbeitnehmer Phasen von Arbeitslosigkeit erlebt oder mussten im Niedriglohnsektor arbeiten.
Renten sind ein populäres Thema
Normalerweise sind die Renten an die generelle Lohnentwicklung gekoppelt und steigen deshalb von Jahr zu Jahr - in diesem Sommer sogar um vier bis fünf Prozent. In den Nullerjahren aber gab es Jahre, in denen die Renten gar nicht angehoben wurden. Oder sogenannte dämpfende Faktoren sorgten für Abschläge. Im Ergebnis ist das gesetzliche Rentenniveau laut OECD in Deutschland nur unterdurchschnittlich. In Österreich zum Beispiel liegt es um rund 50 Prozent höher. Im europäischen Vergleich spielt auch noch das Renteneintrittsalter eine Rolle, das langfristig auf 67 Jahre heraufgesetzt wurde. In anderen Ländern wie Frankreich oder Ungarn gehen die Menschen viel früher in den Ruhestand.
Im Ergebnis all dessen wird in Deutschland schon seit geraumer Zeit darüber diskutiert, dass es nun erstmals eine Generation geben wird, der es finanziell schlechter als ihren Eltern gehen wird. Vielen in Deutschland ist inzwischen bewusst geworden, dass das eigene Rentnerdasein weniger komfortabel ausfallen könnte, zumindest für diejenigen, die keine große Erbschaft zu erwarten haben. Beim Thema Rente ist also "viel Musike drin", wie der Berliner sagt. Es eignet sich so gut als Wahlkampfthema. Besonders, da die klassischen Volksparteien starke Verluste in den Meinungsumfragen erlebt haben. Da kommt ein so populäres Thema wie gerufen.
Merkels Vorgaben
CDU/CSU und SPD hatten 2013 in ihrem Koalitionsvertrag zwei Stellschrauben in der Rentenpolitik festgehalten. Zum einen soll eine "solidarische Lebensleistungsrente" eingeführt werden, und zwar für Arbeitnehmer, die trotz jahrzehntelanger Arbeitsbiografie am Ende eine Rente bekommen, die unter dem sozialen Grundsicherungsniveau liegt. Hier wird über eine Aufstockung diskutiert.
Das zweite vereinbarte Thema sei die Angleichung der Ost- und Westrenten, wie Angela Merkel bei ihrer Sommer-Pressekonferenz jüngst referierte. Arbeitnehmer im Osten bekommen derzeit noch einen um rund zehn Prozent niedrigeren Renten-Anspruch zugesprochen - auch weil die Löhne zum Teil noch geringer ausfallen. Zwar ist diese Lücke in den vergangenen Jahren viel kleiner geworden, aber es gibt sie 25 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will dazu im Herbst ein Konzept vorlegen. Die Kanzlerin wies darauf hin, dass die Sache kompliziert werden wird. Denn werde die Lücke einfach so geschlossen, würden zwar die Rentner profitieren, aber die Arbeitnehmer Einbußen bei späteren Renten hinnehmen müssen. Noch nämlich wird die Höherbewertung der Renten aus der Zeit der Wiedervereinigung angewendet.
Forderung: Rentenniveau nicht weiter absenken
Doch seit einigen Wochen gibt es eine weiterführende Debatte. Es formiert sich Gegenwind gegen eine weitere Absenkung des allgemeinen Rentenniveaus. Bis 2030 soll das Niveau von jetzt rund 48 auf 44 Prozent sinken. Nicht nur SPD und Gewerkschaften sehen darin ein Problem, sondern auch die Schwesterpartei von Merkels CDU, die bayerische CSU. Wie schon beim letzten Bundestagswahlkampf fordert die CSU zudem Verbesserungen bei der Mütterrente.
Der Chef der großen Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, forderte, dass Rentenniveau zu stabilisieren und dann anzuheben. Bis zu zwölf Millionen Arbeitnehmer steuerten auf Altersarmut wegen einer zu geringen Rente zu, das sei eine "tickenden soziale Zeitbombe". Die geplante Aufstockung von Niedrigrenten reiche bei weitem nicht aus, so Bsirske. Auch die IG Metall hat bereits ein Konzept vorgelegt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kündigte an, vor der Bundestagswahl für einen Kurswechsel mobilisieren zu wollen.
Über andere Renten-Themen als die Ost-West-Angleichung oder die Lebensleistungsrente werde die Bundesregierung bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2017 nicht reden, trat Merkel schon mal auf die Bremse.