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Klimawandel: Warum sind Gletscher so wichtig?

Stuart Braun
15. August 2024

Riesige Eisflüsse erstreckten sich einst über Berggipfel vom Himalaya bis zu den europäischen Alpen. Doch diese lebenswichtigen Wasserquellen verschwinden mit dem Klimawandel. Lässt sich das Abschmelzen noch verhindern?

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Aussichtspunkt am Rhone Gletscher in der Schweiz. Drei Personen fotografieren die Gletscher.
Faszination und zugleich Schock: Der schnelle Klimawandel ist hier am Rhonegletscher in den Alpen überdeutlich sichtbarBild: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Zwei Urlaubsfotos vom Rhonegletscher in der Schweiz gingen kürzlich in den sozialen Medien viral. Sie zeigen den englischen Umweltschützer David Porter und seine Frau vor dem Gletscher heute und vor 15 Jahren am selben Ort. Der Schock über den massiven Eisverlust in so kurzer Zeit hat Porter zutiefst getroffen. "Ich will nicht lügen, es hat mich zum Weinen gebracht", schrieb Porter in einem Beitrag auf der Plattform X

Trauer um verschwindende Gletscher

Gletscher sind gewaltige Eisströme. Über Jahrtausende haben sie Berge und Täler geformt, der älteste in Südafrika ist 2,9 Milliarden Jahre alt.

Dabei sind schmelzende Gletscher nicht nur für Urlauber ein Verlust. Sie sind auch die Frischwasserquelle für rund zwei Milliarden Menschen. Mindestens die Hälfte der weltweiten Berggletscher wird aufgrund der Erderwärmung wahrscheinlich bis 2100 verschwinden.

Besonders für Menschen in kalten Klimazonen bedeutet das auch einen kulturellen Verlust. Im August 2019 fand am Okjökull-Gletscher in Island eine Trauerfeier statt: Für den ersten Gletscher, der durch die globale Erwärmung verloren gegangen ist. 

Trauernde enthüllten eine Gedenktafel, die darauf hinweist, dass alle großen Gletscher des Landes in den nächsten 200 Jahren abschmelzen werden.

Berge und ihre vielfältigen Ökosysteme sind für viele Kulturen wichtig. Dabei machen Gletscher diese Landschaften "in der Vorstellung der Menschen einzigartig", sagt Giovanni Baccolo, Glaziologe an der Universität Mailand-Bicocca in Italien. Er postet regelmäßig Fotos in den sozialen Medien, auf denen er Gletscher von heute mit Gletschern vor einem Jahrhundert vergleicht.

"Gletscher sind buchstäblich eine andere Welt", betont er. Er bezeichnet sie als riesige Eiskristalle. Da sie nur aus einem einzigen Mineral bestehen – gefrorenem Wasser – können Gletscher als Gestein klassifiziert werden. Sie seien ikonische "Symbole der Berge". Wenn diese Eiskappen schmelzen, werden zukünftige Generationen keine Alpengipfel "mit einem weißen Hut" mehr zeichnen, so Baccolo.

2 Panoramafotos vom Marmolada Gletscher von 1880 und 2020 im Vergleich
Massiver Gletscherschwund: Fotos von 1880 und 2020 vom Marmolada Gletscher in den italienischen Alpen Bild: Franz Dantone/Fabiano Ventura

Wie bilden sich Gletscher und warum brauchen wir sie? 

Durch die Ansammlung von Schnee bildet sich Gletschereis, und der Gletscher wächst, wenn der jährliche Schneefall die sommerliche Schmelze übersteigt. 

Während der Eiszeiten haben sich Gebirgsgletscher rund um den Globus massiv angesammelt. Sie bewegten sich unter ihrem eigenen Gewicht bergab und schufen gewaltige Schluchten, wie die im Yosemite Valley in Kalifornien oder in den neuseeländischen Alpen. 

Wenn die rund 200.000 Gebirgsgletscher der Welt in den wärmeren Monaten tauen, geben sie frisches Wasser in Bäche und Flüsse ab und ermöglichen gute Ernten. Seit Jahrhunderten sichern sie die Trinkwasserversorgung für unzählige Gemeinden und Ökosysteme. Rund 25 Prozent der Weltbevölkerung ist heute abhängig von dieser Wasserquelle.

Doch diese elementare Ressource bleibt nur erhalten, wenn das Schmelzwasser jeden Winter durch ausreichend Neuschnee wieder aufgefüllt wird. Und das ist in den meisten Gebieten nicht mehr der Fall. 

Da viele dieser gigantischen Wasserquellen durch die globale Erwärmung zurückgehen, leiden viele Regionen nun häufiger unter Dürren. Dies gilt auch für Südamerika. Einige Gletscher in den Anden, die sich über Bolivien und Peru erstrecken, haben seit den 1980er Jahren über die Hälfte ihrer Eismasse verloren. Die Folge ist eine dauerhafte Wasserknappheit für die Bevölkerung und Landwirtschaft.

Es gibt jedoch auch Anomalien wie im Hochgebirge des Karakorum. Es ist das zweithöchste Gebirge der Welt und grenzt an Afghanistan, Pakistan, Indien und China. Dort werden derzeit einige Gletscher jedes Jahr etwas größer. Laut Experten ist dieser Gletscherzuwachs auf einzigartige regionale Wettermuster zurückzuführen. Langfristig wird der Klimawandel aber auch das Karakorum-Gebirge einholen.

Rekordschmelze in den Alpen

In den europäischen Alpen schmelzen die Gletscher derzeit immer schneller. 2022 und 2023 verloren die Gletscher in den Schweizer Skigebieten rekordverdächtige zehn Prozent ihres Volumens. Die Gleiche Menge Eis, die innerhalb dieser beiden Jahre geschmolzen ist, war vorher in den 30 Jahren zwischen 1960 und 1990 verschwunden. Schon ein Rückgang von zwei Prozent Gletschereis pro Jahr wurde bisher als "extrem" eingestuft. 

Für diesen raschen Gletscherschwund werden extreme Hitze, weniger Schnee und eine langanhaltende Sommerschmelze verantwortlich gemacht. 2022 war in Europa das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. In den Jahren 2023 und 2024 hat sich der Hitzetrend fortgesetzt, und beide Jahre werden wahrscheinlich die weltweit wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen sein. 

Studien haben gezeigt, dass der menschengemachte Klimawandel die Hauptursache für den beschleunigten Gletscherrückgang ist. Wenn dieser weiter anhält, werden riesige Gletscher in den Schweizer Alpen wie der Morteratsch innerhalb von 40 Jahren über 70 Prozent ihres Volumens verlieren. 

Gletscher können zudem nicht mehr wachsen, wenn sie ihre schützende Schneedecke verlieren, die die Sonne reflektiert. Stattdessen schmilzt dann das Eis noch schneller. 

Abdeckung von Gletschereis mit großer Plane zum Schmelzschutz in Les Diablerets 2022 in der Schweiz
Abdeckung von Gletschereis mit großer Plane zur Reduzierung der Schmelze in den Sommermonaten. Lösung oder Placebo? Bild: Anthony Anex/KEYSTONE/picture alliance

Können Gletscher gerettet werden?

Einige sind entschlossen zu retten was noch übrig ist. Der Schweizer Glaziologe Felix Keller und sein Ingenieurteam etwa haben ein Kabelsystem entwickelt, mit dem Gletscherschmelzwasser recycelt werden kann, um eine reflektierende Schneeschicht zu schaffen, die den Morteratschgletscher schützen kann. 

"Ich habe versucht, etwas zu tun. Ich möchte Teil der Lösung und nicht des Problems sein", sagt Keller in dem Dokumentarfilm "Saving Glaciers". 

Auch andere Forscher suchen nach Methoden, um das Schmelzen zu verlangsamen. Einige Skigebiete haben damit begonnen, reflektierende Planen, auch Geotextilien genannt, zu verwenden, um das Eis im Sommer vor dem Schmelzen zu schützen - mit gemischten Ergebnissen.  

Das besonders große Problem ist die Skalierbarkeit. Der Schweizer Aletschgletscher zum Beispiel bedeckt eine Fläche von 78 Quadratkilometern. Und das schmelzende Eis des Jostedalsbreen in Norwegen, des größten Gletschers Europas, erstreckt sich über mehr als 500 Quadratkilometer. Während eine Decke über einen kleinen Bereich genügend Sonnenlicht reflektieren könnte, um einen kleinen Teil eines Gletschers zu schützen, wäre die Abdeckung der zerklüfteten Oberfläche eines ganzen Gletschers sehr schwer zu bewerkstelligen und ziemlich teuer.  

In einer Studie, in der die Bemühungen zur Bekämpfung der Gletscherschmelze in den Alpen untersucht wurden, kamen Forscher zu dem Schluss, dass es viel zu kostspielig wäre, die mehr als 250.000 Quadratkilometer Berggletscher der Welt mit solchen Methoden zu schützen.  

Im Himalaya wurde sogenannte Eis-Stupas entwickelt, eine Art Mini-Gletscher. Dabei wird im Winter das Wasser aus hochgelegen Zuflüssen gefroren und aufgetürmt. Solche künstlichen Eishügel können helfen, mit der durch den Gletscherrückgang verursachten Wasserknappheit besser fertig zu werden. 

Farmer Erkinbek Kaldanov neben einem Mini-Gletscher im Tian-Shan-Gebirge in Kirgisistan. Dort  haben Dorfbewohner einen künstlichen Gletscher geschaffen, um ihre von der Dürre betroffenen Bauernhöfe mit Wasser zu versorgen.
Künstlich angelegter Mini-Gletscher für das Bauerndorf Syn-Tash in Krigistan. In den Sommermonaten hilft das Schmelzwasser gegen die Dürre Bild: Vyacheslav Oseledko/AFP/Getty Images

Wissenschaftler sind jedoch der Meinung, dass diese künstlichen Mini-Gletscher durch die Erderwärmung das gleiche Schicksal erleiden werden, wie ihre riesigen natürlichen Vettern.

Die einzige langfristige Lösung ist, die Treibhausgasemissionen schnell und deutlich zu verringern. 

Doch selbst wenn die Menschheit die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen kann, geht die Forschung davon aus, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Hälfte der bestehenden Gletscher verschwunden sein wird. 

Adaption aus dem Englischen von Gero Rueter

Redaktion: Anke Rasper 

 

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.