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GleichberechtigungDeutschland

Was bringt Deutschlands feministische Politik für Afrika?

Rosalia Romaniec | Daniel Pelz
5. März 2023

Deutschland will mit neuen Strategien für feministische Außen- und Entwicklungspolitik Frauen und Mädchen weltweit stärken. Die Bedarfe in Afrika sind groß, kontroverse Diskussionen drohen trotzdem.

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Nigeria Annalena Baerbock (Foto: Annette Riedl/dpa/picture alliance)
Außenministerin Baerbock in Nigeria im Dezember 2022Bild: Annette Riedl/dpa/picture alliance

"Solange Frauen nicht sicher sind, ist niemand sicher", so schreibt es Außenministerin Annalena Baerbock in ihren Leitlinien zur feministischen Außenpolitik. Den Satz hörte sie nach eigenen Angaben von einer ukrainischen Mutter kurz vor dem russischen Überfall. Seitdem zitierte sie ihn mehrfach - etwa in einem Dorf im Norden Nigerias, das von der Terrormiliz Boko Haram verwüstete wurde. 

Termine, bei denen Baerbock sich über die Lebensbedingungen von Frauen informiert, gehören bei ihren Reisen immer dazu. Ihre direkte Art stößt dabei nicht immer auf Begeisterung. Als sie im Herbst letzten Jahres Usbekistan besucht, wundert sich ihr Amtskollege Vladimir Narov. Denn Baerbock will unter anderem ein Frauenhaus besuchen und sich dort über die Lage der Frauen informieren. Als der usbekische Außenminister spontan mitkommen will, erklärt sie, dass das nicht geht - die Frauen sollen offen reden können, ohne dass ein männlicher Regierungsvertreter dabei ist.

Gleiche Rechte für alle

Die neuen Leitlinien für eine feministische Außenpolitik sollen die Situation von Frauen überall auf der Welt verbessern. Und nicht nur von Frauen. Man strebe an, "was im 21. Jahrhundert eigentlich selbstverständlich sein sollte - nämlich, dass alle Menschen die gleichen Rechte, Freiheiten und Chancen haben, egal welchen Geschlechts, egal welcher Religion sie angehören, egal wer ihre Eltern sind, wie sie aussehen oder wen sie lieben", so Baerbock.

Beide Ministerinnen bei der Vorstellung der Leitlinien zur Feministischen Außen- und Entwicklungspolitik in Berlin (Foto: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance)
Außenministerin Baerbock (links) und Entwicklungsministerin Schulze wollen Frauenrechte stärkenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Ihre Kollegin im Entwicklungsministerium, Svenja Schulze, hat das gleiche Ziel. Auch sie stellte am Mittwoch (01.03.) Leitlinien für eine feministische Entwicklungspolitik vor: "Wir wollen mit unserer Entwicklungszusammenarbeit mithelfen, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, Armut zu bekämpfen, Hunger zu bekämpfen. Wir wollen Gesellschaften gerechter machen. Und da kann man nicht auf die Hälfte des Potenzials, die Frauen, verzichten", sagte sie. 

Beide Strategien setzen dabei auf die drei sogenannten R: Gleiche Rechte, Ressourcen und Repräsentanz für Frauen und andere Gruppen, die benachteiligt werden. Und auf Geld: Bis zum Ende der Wahlperiode will das Auswärtige Amt 85 Prozent der Projektmittel "gendersensibel" ausgeben. Bedeutet: Ein Projekt wird nur gefördert, wenn die Belange von Frauen darin berücksichtigt werden. Im Entwicklungsministerium sollen bis 2025 über 90 Prozent der neu zugesagten Gelder in Projekte fließen, die die Gleichstellung voranbringen.

Viele Fortschritte und große Unterschiede

Gerade in Afrika sind die Bedürfnisse riesig. "Feministische Strategien sind im afrikanischen Kontext sehr hilfreich", sagt Ottilia Maunganidze vom südafrikanischen Thinktank ISS. Auch die Afrikanische Union hat eine Gender-Strategie verabschiedet. In der Politik sind Frauen besser vertreten als noch vor einigen Jahren. "Länder wie Kenia und Südafrika haben anerkennenswerte verfassungsrechtliche Schritte zu einer gleichberechtigten Vertretung in der Politik gemacht", sagt Grace Mbungu vom Africa Policy Research Institute, einem afrikapolitischen Thinktank in Berlin. Aber nicht überall: Während auf den Kapverden fast 38 Prozent aller Abgeordneten weiblich sind, waren es im letzten Abgeordnetenhaus Nigerias weniger als vier.

Parlament von Guinea-Bissau (Foto: Iancuba Danso/DW)
Der Frauenanteil in Afrikas Parlamenten steigtBild: Iancuba Danso/DW

Auch jenseits der Politik gibt es viel zu tun. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass 33 Prozent aller afrikanischen Frauen in ihrem Leben von einem Partner oder Ex-Partner misshandelt werden. 18 der 20 Länder mit den meisten Kinderehen liegen auf dem Kontinent. In Guinea und Somalia haben laut Kinderhilfswerk UNICEF 90 Prozent aller Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren eine Form der weiblichen Geschlechtsverstümmelung erlebt. 

Streitthema Abtreibungen

Die beiden Strategien könnten auch zu Spannungen mit afrikanischen Ländern führen. "Diese Politik wird trotz aller guten Absichten genau geprüft und in manchen Fällen abgelehnt werden", sagt Mbungu zur DW.

Etwa beim Thema sexuelle und reproduktive Rechte. Das Entwicklungsministerium will zum Beispiel den Zugang zu sicheren Abtreibungen für Frauen und Mädchen fördern. "Es gibt unterschiedliche Meinungen in einer ganzen Reihe von Ländern und unter afrikanischen Staatschefs zum Thema Recht auf Abtreibung", warnt Expertin Maunganidze aus Südafrika im DW-Interview. In einigen Ländern gebe es ein Recht auf Abtreibung, in anderen nicht. Maunganidze: "Da, wo Abtreibungen nicht legal sind, wird dieser Aspekt sehr umstritten sein."

Kenia | LGBTQ | ugandische Flüchtlinge in Kakuma (Foto: Sally Hayden/ZUMA/imago images)
Auch die Rechte von LGBTQ in Afrika sollen gestärkt werdenBild: Sally Hayden/ZUMA/imago images

Zweiter großer Streitpunkt: die Rechte von Schwulen und Lesben, die beide Ministerinnen ebenfalls stärken wollen. Dagegen gilt einvernehmlicher homosexueller Geschlechtsverkehr in vielen afrikanischen Ländern als Straftat. Ghana plant sogar noch härtere Regeln: Mitglieder der LGBTQ+-Gemeinschaft könnten künftig bis zu zehn Jahre Haft drohen, wenn ein neues Gesetz verabschiedet wird. 

Laut einer Afrobarometer-Studie lehnen rund 80 Prozent aller befragten Afrikaner Schwule und Lesben ab. "Es braucht oft mehrere Generationen, bis sich soziale und kulturelle Werte verändern, die seit langer Zeit existieren", sagt Expertin Mbungu. Das sei beim Thema LGBTQ+ auch in Deutschland und anderen Ländern so gewesen. "Die deutsche Regierung muss sich bewusst sein, dass ihre neuen Strategien in einigen Ländern oder Teilen der Gesellschaft als Eingriff in die sozialen und kulturellen Normen verstanden werden könnten." 

Kein 'missionarisches Pamphlet'

Vor beiden Ministerien liegt also noch eine Menge Arbeit. Ihre Strategie sei kein "missionarisches Pamphlet, mit dem wir naiv die Welt verbessern wollen", sagte Außenministerin Baerbock bei der Vorstellung. Doch auch in Deutschland gibt es Kritik. Der Koalitionspartner FDP etwa ist gegen einen Antrag, mit dem sich der Bundestag symbolisch hinter die Leitlinien gestellt hätte.

Auch aus anderen Parteien gibt es reichlich Kritik. Baerbock solle sich von "plakativen Phrasen lösen und konkreter werden", hört man von der konservativen Union. Zum Beispiel im Iran: "Mit einer umgehenden und unmissverständlichen Positionierung an der Seite der protestierenden Frauen im Iran hätte die Bundesregierung zeigen können, was feministische Außenpolitik in der Praxis bedeutet", sagte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt. Es braucht also noch viel Überzeugungsarbeit - bei den Partnern im Ausland, aber auch in Deutschland.