Was der Internationale Gerichtshof leistet - und was nicht
11. Januar 2024Schon der Name des Backsteinbaus mit seinen Ziertürmchen, Dachgauben und Arkaden lässt keinen Zweifel über seinen Anspruch zu: Im "Friedenspalast" sollten internationale Konflikte beigelegt werden.
Doch bereits ein Jahr nach dessen Fertigstellung 1913 brach der Erste Weltkrieg aus. Das Gebäude im niederländischen Den Haag überlebte zwei Weltkriege und den Völkerbund, dessen juristische Dachorganisation es beherbergte.
Als aus dem Trauma des Zweiten Weltkriegs heraus die Vereinten Nationen gegründet wurden, wurde Den Haag einmal mehr zum Zentrum des Völkerrechts: Während alle anderen UN-Hauptorgane in New York angesiedelt wurden, nahm der Internationale Gerichtshof (IGH) im Friedenspalast seine Arbeit auf.
Was ist der Internationale Gerichtshof?
"Der Internationale Gerichtshof ist das Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen", heißt es in Kapitel XIV der UN-Charta, dem maßgeblichen internationalen Vertrag, der die Arbeitsweise der Vereinten Nationen regelt. Die 193 UN-Mitgliedsstaaten sind automatisch auch Vertragsparteien und verpflichten sich, Entscheidungen des IGH zu befolgen - zumindest laut der Charta.
Dem Gericht gehören 15 Völkerrechter an, die jeweils aus unterschiedlichen Ländern kommen müssen und von der UN-Generalversammlung und dem Sicherheitsrat gewählt werden. Alle drei Jahre werden je fünf Richterstühle neu besetzt. Wie auch im UN-Sicherheitsrat stellen festgelegte Quoten sicher, dass alle Weltregionen vertreten sind. Derzeit wird das Gremium von der US-Richterin Joan Donoghue geleitet. Der frühere Vizepräsident, der Russe Kirill Gevorgian, wurde im November für diesen Posten nicht wiedergewählt. Der Gerichtshof ist damit erstmals ohne einen russischen Richter.
Am IGH werden Fälle verhandelt, in denen Staaten als Kontrahenten auftreten - anders als beim Internationalen Strafgerichtshof, vor dem sich Einzelpersonen verantworten müssen, denen etwa Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.
Wann ist der IGH zuständig?
Man sollte meinen, dass sich aus der Unterzeichnung der UN-Charta ein klares Mandat aller Staaten ableitet. Dem ist aber nicht so. Eine Blanko-Zuständigkeit hat der IGH nur, wenn alle beteiligten Staaten eine sogenannte Unterwerfungserklärung abgegeben haben, in der sie alle völkerrechtlichen Streitfragen an das Gericht übertragen. Deutschland hat 2008 eine solche Erklärung abgegeben, wie insgesamt rund ein Drittel der UN-Mitglieder.
Staaten, die diese Erklärung nicht abgegeben haben, können im Streitfall freiwillig miteinander vereinbaren, die Angelegenheit vor dem IGH auszutragen. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen diese Staaten auch ohne individuelle Zustimmung vor dem IGH verklagt werden können: Dies ist der Fall, wenn sich die klagende Partei auf einzelne UN-Konventionen bezieht, in denen der IGH als Gericht benannt ist und die vom beklagten Staat ebenfalls unterzeichnet wurden.
Ein prominentes Beispiel dafür ist die UN-Völkermordkonvention von 1948. In Artikel IX heißt es, dass Streitfälle "auf Antrag einer der an dem Streitfall beteiligten Parteien dem Internationalen Gerichtshof unterbreitet" werden. Auf dieser Übereinkunft baute die Ukraine ihre Klage gegen Russland kurz nach Beginn der Invasion 2022 auf. Ein anderes Beispiel ist der von Gambia angestoßene Prozess, in dem Myanmar sich gegen den Vorwurf des Völkermords an den Rohingya verteidigen muss. Auch der aktuelle Eilantrag Südafrikas gegen Israel beruht auf der Konvention.
Auch in bilateralen Abkommen kann der IGH als Streitschlichtungsinstanz benannt werden. So verhandelten die Richter 2018 eine Klage des Irans gegen bestimmte US-Sanktionen auf Basis eines Freundschaftsabkommens von 1955 - und gaben letztendlich Teheran Recht. Die USA mussten sicherstellen, dass etwa die medizinische Versorgung nicht durch Sanktionen beeinträchtigt wurde. Die Administration des damaligen Präsidenten Donald Trump kündigte daraufhin das Freundschaftsabkommen mit dem Iran. 2023 erzielte Teheran dennoch einen Teilerfolg in einer anderen Klage, die sich auf das Abkommen als Rechtsgrundlage stützte. Damals ging es um eingefrorene iranische Gelder bei US-Banken - weil die Maßnahme schon vor Vertragskündigung 2018 vollstreckt wurde, betrachteten die Richter sich als zuständig.
Wie effektiv kann der IGH seine Beschlüsse durchsetzen?
In allen drei Fällen - Unterwerfungserklärung, Zustimmung zu IGH-Streitbeilegung oder Klage auf Basis eines Vertrags - ist ein Urteil rechtlich bindend. Berufungsverfahren sind nicht vorgesehen. Im Beispiel der ukrainischen Dringlichkeitsklage wies Den Haag bereits im März 2022 Russland an, seinen Angriffskrieg vorläufig zu stoppen. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus.
Ein Blick auf den bis heute andauernden Krieg in der Ukraine offenbart jedoch das Manko des Internationalen Gerichtshofs: Es gibt schlicht keine Weltpolizei, die dessen Urteile auch durchsetzt. Hier ist der IGH also letztlich immer auf die Kooperation der beteiligten Staaten angewiesen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 11.01.2024 wurde am 09.04.2024 aktualisiert.