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Was Hannah Arendt über Donald Trump sagen würde

Courtney Tenz lf
16. August 2017

Trump ist kein totalitärer Herrscher, aber die soziale Bewegung, die er auslöst, ist sehr gefährlich. Das meint Roger Berkowitz, ein ehemaliger Schüler der jüdischen Philosophin Hannah Arendt.

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Donald Trump
Bild: Reuters/C. Allegri

Während des gesamten Präsidentschaft-Wahlkampfs in den USA wurden immer wieder die Theorien der jüdischen Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) herangezogen, um die Ereignisse besser verstehen zu können.

Arendt floh vor dem Nazi-Regime aus Deutschland erst nach Frankreich und dann in die USA. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Teilnahme am Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem. Ihre Reportage und später auch ihr Buch "Eichmann in Jerusalem - Ein Bericht von der Banalität des Bösen", das sie über den Eichmann-Prozess schrieb, löste weltweit eine hitzige Debatte unter Intellektuellen und Holocaust-Überlebenden aus. Der Philosophin war es zeitlebens ein Anliegen, anderen verständlich zu machen, wie es zum Holocaust kommen konnte. Sie schrieb mehrere Bücher, die den menschlichen Faktor und das Entstehen solcher Tragödien ergründen.

In "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" behandelt Arendt die Mitschuld gewöhnlicher Menschen an den Greueltaten. Für Roger Berkowitz, Professor und Leiter des "Hannah Arendt Center for Politics and Humanity" am Bard College in New York, ist dieser Text vor dem Hintergrund des politischen Klimas in den USA aktueller denn je.

DW: Herr Berkowitz, wie kann eine Philosophin wie Hannah Arendt uns helfen, die aktuelle politische Lage in den USA zu verstehen?

Roger Berkowitz: Ich denke, in Hannah Arendts Werk gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, die helfen können, die Person Trump zu begreifen. Trump ist nach ihrem Verständnis zwar kein totalitärer Herrscher, verkörpert aber "Elemente" des Totalitarismus. Sie ist überzeugt, eines der Kernelemente des Totalitarismus sei es, dass er auf einer Bewegung basiert. Eine Bewegung verfolgt dabei kein tatsächliches politisches Ziel. Denn wenn dieses Ziel erreicht würde, gingen der Beweggrund und damit die eigentliche Motivation verloren und die Bewegung würde an Kraft verlieren.

Roger Berkowitz, Leiter des Hannah Arendt Center Bard College
Roger Berkowitz war Arendts Schüler und leitet heute das "Hannah Arendt Center for Politics and Humanity" in New York Bild: P. Mauney

Trump hat sich selbst zum Sprachrohr einer Bewegung ernannt. Das ist eine sehr gefährliche Position für einen Politiker. Denn das bedeutet, dass ihm die Mobilisierung des Volks wichtiger ist als das Erreichen eines bestimmten Ziels. Ob er das versteht und es für wichtig hält, das weiß ich nicht.

Wer weiß schon, welche Politik er ausüben oder erreichen will; er ändert seine Meinung jeden Tag. Sein Interesse besteht vielmehr darin, Menschen zu begeistern und zu mobilisieren. Davon zehrt er, und das ist gefährlich, weil er unaufhörlich Grenzen überschreiten muss. Immer, wenn er etwas erreicht hat, muss er etwas anderes finden, das grenzüberschreitend und schockierend genug ist, um die Menschen weiterhin zu begeistern und zu mobilisieren. Hannah Arendt war sich darüber vollkommen im Klaren und folgerte, dass derartige Bewegungen besonders in der Neuzeit attraktiv sind. Sie sind wichtig für unsere Gesellschaft, weil Bewegungen den Menschen und ihrem Leben einen Sinn geben.

Wie begründete Arendt das damals in ihren Theorien?

Hannah Arendt schreibt in "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" ausführlich über den wahren Ursprung von Totalitarismus in der modernen Gesellschaft: Heimatlosigkeit, Einsamkeit und Entwurzelung. Ihre Generation war die erste Generation der Weltgeschichte, sagt sie, die ohne einen festen Glauben an Traditionen, Religion oder die Werte der Familie aufwuchs, die den Menschen früher Halt im Leben gaben. Aus diesem Grund sei das Leben schmerzhaft und hart. Und so suchen wir oft nach Anschauungen, die unserem Leiden Bedeutung verleihen; wir fragen uns, warum machen wir das durch, warum leben wir? Es gibt ein berühmtes Zitat von Nietzsche, in dem er sagt, dass man jede Art von Schmerz ertragen kann, solange man denkt, es gebe einen Grund dafür. Was Hannah Arendt sagt, ist, dass dieser Schmerz im Leben und der Bedeutungsverlust durch den Wegfall von Religion, Tradition, Familie und Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft dafür sorgen, uns Bewegungen anzuschließen. Auf diese Weise finden wir eine Bedeutung und einen Sinn im Leben.

Wir brauchen das so sehr, sagt sie, dass die Bewegung zum Teil unserer Identität wird, wenn wir uns ihr anschließen. Wenn die Bewegung vorgibt: "Alle Juden sind schuld am Bösen in dieser Welt", es aber einen Juden gibt, der keine Schuld am Bösen trägt, ist der leichteste Weg, die Bewegung fortzuführen und diesen Juden zu töten. Dann gibt es keinen Beleg mehr, dass Juden nicht das Böse in der Welt verursachen.

Hannah Arend
Hannah Arendt widmete sich in ihren Büchern der Frage, warum der Nationalsozialismus groß werden konnte Bild: Leo Baeck Institute

Eine Welt, die aus Lügen besteht und die unser Bedürfnis nach einem Sinn in unserem Leben befriedigt, ziehen wir einer Welt vor, die uns keinen Sinn im Leben gibt, schreibt Arendt. Das führt uns zu einer der Möglichkeiten, Trump zu verstehen: Er liefert Menschen eine beständige Lügen-Welt. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn Trumps leicht verständliche Phantastereien fußen gerade auf der Unbeständigkeit. Er lügt und ändert seine Meinung regelmäßig. Aber die Welt,  für die er angeblich steht und die er dem Volk anbietet, ist eine, die seine Beständigkeit als Person einschließt: Er ist es, der einer instabilen Welt wieder Sinn verleiht und uns durch diese hindurchführen kann. Menschen glauben eher, dass es jemanden gibt, der uns durch die schwierigen Zeiten bringen kann, als dass sie sich mit Trumps Lügenchaos, seiner Wankelmütigkeit und seinen Problemen mit der Realität auseinandersetzen.

Ich sehe ihn größtenteils als populistischen Machthaber, der behauptet: "Ich bin der Einzige, der diese Probleme lösen kann." Er hat gefährliche Ansichten und Charakterzüge. Sie sind bisher noch nicht besonders faschistisch oder totalitär, aber sie könnten leicht dazu werden, wenn wir nicht wachsam sind.

Sie empfehlen Wachsamkeit: Liefert Hannah Arendt einen Ratschlag, wie man mit diesen gefährlichen Ansichten umgehen kann?

Die Gefahr, der wir uns gegenübersehen, ist Trumps gänzliche Gleichgültigkeit gegenüber der Realität und der Bedeutung von Worten. Er kann heute etwas sagen und dann morgen etwas ganz anderes und gleichzeitig das bestreiten, was er gestern gesagt hat. Dadurch entsteht das Risiko einer zynischen Einstellung gegenüber dem öffentlichen Diskurs und einer gemeinsamen öffentlichen Welt. Es ist so durchaus möglich, dass nach Trump jemand auftaucht, der viel schlimmer als Trump ist. Die wirkliche Herausforderung aus Arendtscher Sicht ist es, während der nächsten vier Jahre auf den öffentlichen Diskurses und die Bedeutsamkeit öffentlicher Institutionen zu pochen und zu verhindern, dass der Zynismus die Führung übernimmt.

Einer der Fehler, den meiner Meinung nach die Linken machen, ist, dass sie Trump mit Begriffen bezeichnen, die nicht auf ihn zutreffen, wie z.B. dass er ein Rassist oder Antisemit ist. Das ist er nicht - oder zumindest nicht in einem expliziten und traditionellen Sinn. Indem sie sich auf seinen Rassismus konzentrieren, beteiligen sich auch die Linken an der Verzerrung der Realität im Sinne einer politischen Bewegung, und der Zynismus unserer politischen Welt nimmt noch weiter zu. Die Trump-Anhänger und die Rechten können sagen: "Die Linken lügen; die Linken denken sich eine Realität aus." Und die Wahrheit ist: Sie haben recht.

Dass Linke und Rechte gleichermaßen mitschuldig sind an diesem ideologischen, unrealistischen Fantasie-Politik-Spiel, stellt die wirkliche Gefahr für einen bedeutungsvollen, gemeinsamen öffentlichen Diskurs dar, der eine Demokratie wiederbeleben könnte.

Das Ziel des "Hannah Arendt Center for Politics and Humanity" in New York ist es, den politischen Diskurs auf unerschrockene und provokante Weise anzukurbeln, ganz im Sinne seiner Namensgeberin. Es findet online regelmäßig ein virtueller Lesezirkel  statt, der für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Am 20. Januar 2017, dem Tag von Trumps Amtseinführung, wird die Gruppe Arendts "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" lesen.

Dieses Interview wurde ursprünglich am 15.12.2016 veröffentlicht.