Was ist Gott?
18. Dezember 2001Fragen nach Gott und dem Sein empfangen den Museumsbesucher. "Pilgerweg" heißt der mit dunklem Marmor ausgekleidete Säulengang, der nach fünfzig Metern in der sogenannten Goldenen Lobby endet. Auf dem Boden des goldfarben gestrichenen Raumes betrachtet man eine große, schwarze Scheibe mit Farben und Tieren, die für die wichtigen Religionen stehen. Der Blick wandert von dort auf zwei mächtige Pfeiler mit einer Inschrift in vierzehn Sprachen: Liebe ist die Wahrheit, die wir teilen - Frieden ist unsere ewige Hoffnung.
Besinnlichkeit inmitten einer Metropole
Mit solchen Mitteln versetzt das Museum in Taipeh seine Besucher in eine Atmosphäre von Andacht und Nachdenklichkeit. Diese Einstimmung ist auch notwendig, denn draußen tobt der Verkehr von Taiwans Hauptstadt, und in den fünf Stockwerken unter dem Museum ist ein Kaufhaus untergebracht. In Taipeh liegen das Weltliche und Geistliche wirklich nah beieinander. Der Mann, der sich diesen Einstieg ausgedacht hat, heißt Ralph Applebaum, ist ein amerikanischer Architekt und konzipiert nicht zum ersten Mal einen Museumsraum. Er hat auch das Holocaust Gedächtnis-Museum in Washington entworfen. Seine Grundpfeiler für ein solches Projekt sind: Technik, Erziehung und Unterhaltung. Auf diese Weise will Applebaum die verschiedenen Altersschichten ansprechen. Wie in Washington bereitet auch das Museum in Taipeh den Besucher Schritt für Schritt auf die Botschaft dieser Ausstellung vor.
Religion als Lebensweg
Nach dem Pilgerweg und der Goldenen Lobby kommt die Halle der Lebensreise. Hier wird in Schrift, Bild, Ton und mit Ausstellungsstücken erläutert, wie der Mensch in seinen Lebensphasen - während der Geburt und der Jugend, im Alter und im Tod - Religion erfährt. Schließlich, ein Stockwerk höher, das Herzstück des Museums. Die Führerin Guang Guo Shih erläutert:
"Hier kommen wir in die Halle der Weltreligionen. Zehn insgesamt. Hinduismus. Shinto. Daoismus. Judentum. Buddhismus. Christentum. Islam. Sikhismus. Religionen von Ureinwohnern wie den Mayas und antike Religionen, hier vertreten durch die ägyptische."
Eine eindrucksvolle Sammlung
In dieser Halle erfahren die Besucher alles über die Geschichte, die Lehre, die Zeremonien und Gottesgebäude der großen Religionen. Über viertausend Objekte sind auf knapp 8.000 Quadratmetern ausgestellt, viele als Dauerleihgaben, andere sind Geschenke. Dazu eine 7.000 Bände umfassende Bibliothek. Eine eindrucksvolle Sammlung, zusammengestellt mit einem einzigen Ziel - das Gemeinsame der Religionen und nicht das Trennende zu betonen.
Buddhistisches Credo
Das Museum vertritt eine eigene konzeptionelle Linie: Respekt für jeden Glauben, Toleranz für alle Kulturen, Liebe für alles Leben. Das klingt nicht nur buddhistisch, das ist es auch. Der Gründer des Museums ist ein buddhistischer Mönch namens Shin Tao. Er stammt aus Burma, wuchs als Waise auf und war ein Kindersoldat, bevor er das Meditieren entdeckte und nach dem Tod eines Freundes ins Kloster ging. In Taiwan hat er einen eigenen Orden gegründet. Im Nordosten der Insel an der Steilküste hat er ein inzwischen bekanntes Kloster gebaut. Aus seinem Orden stammen auch die acht Nonnen, die das Museum in Taipeh führen. Auch dies kein Zufall: Denn die Taiwanesen haben in den letzten Jahren den Buddhismus wieder entdeckt. Vor allem junge Frauen fühlen sich vom Geist dieses Glaubens angezogen. Dharma Meisterin Liao Yi Shin meint deshalb, das Museum stehe schon am richtigen Platz:
"Natürlich könnte ein Weltreligions-Museum auch gut in New York oder in Jerusalem stehen. Aber hier in Taiwan konnten wir genügend Spender dafür finden, und hier gibt es auch wenig Konflikte zwischen den einzelnen Religionen, insofern ist das hier ein guter Ort."
Meditationen als Teil der Ausstellung
Durch Vorträge und Seminare und sein Internetangebot will das Museum auch aus dem abgelegenen Taiwan den Dialog der Religionen ankurbeln. Eines dieser Projekte hat bereits seinen Niederschlag im Museum gefunden: Bei einer Religionskonferenz der Vereinten Nationen holten Mitarbeiter des Museums die versammelten religiösen Führer vor die Kamera und forderten sie auf, von ihren ersten spirituellen Erfahrungen erzählen. Hintereinander geschnitten bringen diese Berichte die Botschaft des Museums sinnlich und eindringlich nahe. Der Meditationsraum – ebenfalls ein Teil der Ausstellung – wurde auch nach diesem Gedanken gestaltet. Hier kann man erfahren, dass Menschen, die meditieren sich letztlich nach demselben Prinzip Gott und dem Göttlichen nähern. Fast spielerisch tauchen dann Verbindungslinien auf. Zum Beispiel zwischen den christlichen Mystikern und den islamischen Sufis. In solchen Momenten verblasst der Gedanke an das Trennende in der Tat.