Was sollen Roboter in der Pflege leisten?
26. Juni 2019Der Hund, so heißt es, ist der beste Freund des Menschen. Der zweitbeste ist in einigen Pflegeeinrichtungen schon heute ein Roboter: Dort geht - beziehungsweise rollt - "Pepper" aus und ein, ein kindsgroßer Roboter mit großen Kulleraugen und einem Touchscreen auf der Brust. Er kann mit Menschen sprechen, beim Reden gestikuliert er, und beim Zuhören signalisieren seine leuchtenden Augen, dass er sich voll und ganz auf sein Gegenüber konzentriert. "Paro", ebenfalls in der Pflege eingesetzt, ist eine Roboter-Robbe, die auf Streicheleinheiten mit Bewegungen und Geräuschen reagiert.
Auch wenn Pepper und Paro es nicht mit Leinwandrobotern wie "R2-D2" aufnehmen können - sie werden erfolgreich im Pflegealltag eingesetzt, und mit jeder Neuentwicklung dürften Roboter in Krankenhäusern und Altenheimen wichtiger werden. Das ist aber auch ein Bereich, in dem Ethiker viele Grundsatzfragen klären müssen.
Was können Maschinen leisten?
Der Deutsche Ethikrat hat deshalb seine Jahrestagung dem Bereich Robotik in der Pflege gewidmet. "Die Zahl der zu Pflegenden wird sich in Zukunft dramatisch erhöhen", sagt der Ratsvorsitzende Peter Dabrock. "Pflegetechniken versprechen Auswege aus der drohenden Pflegekrise. Damit diese zukünftige Entwicklung menschlich gestaltet wird, müssen wir heute die Weichen im Umgang mit der Technik stellen."
Anja Richert leitet das "Cologne Cobots Lab" der Technischen Hochschule Köln. Auch dort gibt es ein Exemplar von Pepper. Ein vollwertiger Kollege ist der Roboter mit den Kulleraugen nicht, erklärt Richert: "Er kann auf Standardsätze Antworten geben wie zum Beispiel Alexa, aber im Unterschied zu Alexa steht keine riesige Datenbank dahinter." Der Roboter ist also nicht so schlagfertig wie der smarte Lautsprecher von Amazon, der dauerhaft Privatgespräche mithört und so ständig dazulernt.
Im Alltag weist Pepper Museumsbesuchern den Weg oder zeigt Senioren auf seinem Display Fotos. Drittfirmen könnten Zusatzprogramme schreiben, so dass Pepper auch schon als Tai-Chi-Lehrer im Einsatz ist. Laut Richert sind die weitergehenden Anwendungen des lernfähigen Kerlchens ein "boomendes Geschäftsfeld".
Roboter statt Roberta
Ein Vorteil des Blechkollegen ist seine Engelsgeduld dort, wo Pflegende oder Angehörige nicht endlos belastbar sind. "So ein System ist emotional neutral. Das ist Ihnen nicht böse, wenn es etwas 50 Mal sagen muss", sagt Richert. "Das entstresst die Menschen. Es gibt Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Menschen, die ihre Sprache verloren haben, so zur Kommunikation zurückfinden, weil sie so weniger Stress empfinden als bei einem menschlichen Gegenüber."
Es gibt Situationen, in denen pflegebedürftigen Menschen ein Roboter unter Umständen lieber ist als ein menschliches Gegenüber - etwa aus Scham. Anja Richert berichtet von einer Konferenz, auf der die Teilnehmenden gefragt wurden, von wem sie sich als inkontinenter Mensch lieber waschen lassen würden, wenn sie sich eingenässt haben: "Erstaunlicherweise waren die meisten dafür, sich doch eher von einem Roboter waschen zu lassen."
Pflegen und pflegen lassen
Es gibt jedoch auch Grenzen - das musste der in Japan entwickelte "Robear" am eigenen Leib erfahren: viele Menschen wollen sich nicht von einem Roboter-Teddybär ins Bett hieven lassen. "Das ist selbst in Asien eingestellt worden aufgrund der Tatsache dass Patienten das offensichtlich nicht so akzeptiert haben", sagt Richert. Dabei sei die Skepsis gegenüber der Technik in Japan deutlich geringer. Dort ist die Überalterung der Gesellschaft wesentlich weiter vorangeschritten als in Deutschland und der EU, und Roboter übernehmen bereits weitergehende pflegerische Aufgaben.
Dabei sind Roboter genauso wenig vor Fehlern sicher wie Menschen. Wo jedoch unter Pflegerinnen und Pflegern die Verantwortung klar verteilt ist, ist das bei Maschinen Neuland. "Alle juristischen Versuche, das zu klären, endeten bislang mit offenem Ergebnis", sagt Richert. Oft diskutiert wird hierbei das Beispiel autonom fahrender Autos: Dort könnte ein Algorithmus einmal in Sekundenbruchteilen abwägen müssen, ob die Insassen eines Autos oder eher andere Verkehrsteilnehmer geschützt werden sollen. So ein Algorithmus, egal ob im Auto oder im Pflege-Roboter, sei keineswegs neutral, sagt Richert: "Da stecken bestimmte Kulturen und Mindsets dahinter - in der Regel die des Programmierers. Und die Frage ist: Ist er dann verantwortlich, ja oder nein?"
Wenn der Roboter zuhört
In manchen Bereichen kann ein Roboter Selbstbestimmung und Würde zurückgeben. Aber auch hier gibt es Licht und Schatten, sagt Richert: "Wir neigen ja dazu, an jeder Stelle Daten zu erzeugen und die auch zu verwerten." Ein Roboter, der Patienten zuhört und sie beobachtet, erfährt auch Intimes. "Da könnte es passieren, dass ich den Krankenkassentarif nicht mehr bekomme, weil klar ist, dass ich meine Tabletten nicht regelmäßig nehme", entwirft Richert ein düsteres Szenario, das Ethiker verhindern wollen.
Ein Mechanismus, den Richert beschreibt, nährt die Hoffnung, dass es zu solchen Datensammlern unter Pflegerobotern nicht kommen wird: "Der Markt reguliert das", sagt die "Cobots Lab"-Forscherin. "Wenn Sie nicht in der Lage sind, ein Produkt zu erschaffen, das Akzeptanz auf dem Markt findet, dann haben Sie das Geld Ihres Unternehmens in den Sand gesetzt." Ein Roboter wird nur eingesetzt werden, wenn er eine sinnvolle Ergänzung auf der Station ist - und kein Spion oder ein Quälgeist oder ein Teddybär, mit dem die Pflegebedürftigen fremdeln.
Die Roboter sollen in erster Linie eine Ergänzung sein, sodass das Pflegepersonal mehr Zeit hat, sich um alle Belange zu kümmern, bei denen menschliche Fähigkeiten gefordert sind. Ein Szenario, in dem ein Roboter gar zur Bedrohung wird, kann Anja Richert sich kaum vorstellen: "Zur Not haben sie einen Aus-Knopf, und Sie können das Ding jederzeit beiseite schubsen."