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Was lesen die Deutschen?

Jochen Kürten12. Oktober 2012

Sex und Crime zählen zu den Belletristik-Lieblingen der Deutschen. Krimis, Unterhaltungs- und Fantasy-Titel dominieren die Top Ten. Im Land der Dichter und Denker gibt es trotzdem auch einen Sinn fürs Feingeistige.

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Die "Andere Buchhandlung" in Köln-Sürth (Foto: DW)
Bild: DW

Manche nennen sie Sadomaso-Romane, andere sprechen von Alternativentwürfen für eingeschlafene Paarbeziehungen. Bei den Taschenbüchern belegen die beiden Bände der Britin E.L. James über die Sexabenteuer einer jungen Frau ("Shades of Grey") die Spitzenplätze der Bestsellerliste. Bei den Sachbüchern hat sich die ehemalige Präsidentinnengattin Bettina Wulf mit ihren Erinnerungen an die Spitze katapultiert. Auch das umstrittene Buch "Neukölln ist überall" des Berliner Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky wird derzeit viel in Deutschland verkauft.

Zwischen Unterhaltung und Philosophie Die Titel sind so unterschiedlich wie ihre Leser. Und so verwundert es nicht, dass sich beim Gang durch die Buchhandlungen wieder ein anderes Bild ergibt. Klaus Bittner heißt eine über Köln hinaus bekannte Buchhandlung in der Innenstadt. Montaigne, Wittgenstein und Sloterdijk seien derzeit die meistverkauften Titel im Bereich der Geisteswissenschaften und Philosophie, erzählt der Buchhändler und beim Gang zum Tisch mit den Belletristik-Titeln deutet er auf die Romane der Russen Vladimir Sorokin und Gajto Gasdanow sowie die der Franzosen Jean Echenoz und des Amerikaners David Mitchell. Deutschland bleibt eine Lesenation mit Niveau.

Buchcover Shades of Grey (Foto: Goldmann)
Der Top-Bestseller der Saison in DeutschlandBild: Goldmann

Verkäufe auf breiter Basis

Das bestätigt der Besuch bei weiteren Buchhandlungen. Axel Stemmer leitet "Der andere Buchladen" im Kölner Universitätsviertel. Einen richtigen 'Renner' habe es in den letzten Monatenzwar nicht gegeben, räumt er ein. Insgesamt seien die Verkaufszahlen aber trotz Absatzkrise in der Buchbranche noch relativ zufriedenstellend. Die Verkäufe verteilten sich auf viele unterschiedliche Titel. Anspruchsvoll sind auch die Titel der Romane, die bei der Buchhandlung von Sven Jurkovics in einem Kölner Vorort über die Ladentheke gehen. Der neue Roman von Martin Walser werde sehr viel gekauft, auch amerikanische Autoren wie Paul Auster, T.C. Boyle und Lilly Brett würden nachgefragt.

"Ich lese nur Nicholas Sparks..." Buchhandlungen wie die von Klaus Bittner und Axel Stemmer haben im Großraum Köln einen ausgezeichneten Ruf. Sie sprechen ein ganz bestimmtes bürgerliches und intellektuelles Publikum an."Shades of Grey" oder Unterhaltungsromane von anderen Bestseller-Autorinnen wie Charlotte Link und Elizabeth George werden hier nicht verkauft. Alleinstellungsmerkmal ist - wie überall anders auch - die Beratung. Damit können Buchhändler auch in Vororten punkten, in denen vor allem Familien mit kleinen Kindern leben. "Natürlich gibt es den Kunden, der in den Laden kommt und nach dem neuen Nicholas Sparks fragt und wenn der gerade nichts Aktuelles geschrieben hat, die Buchhandlung wieder verlässt mit dem Satz auf den Lippen: 'Ich lese nur Nicholas Sparks'", erzählt Jurkovics. Viele Kunden ließen sich aber auch beraten, und denen könnte man dann Titel empfehlen, die man selbst gern liest.

Die Buchhandlung Falderstraße in Köln Sürth (Foto: DW)
Bunt und vielfältigBild: Buchhandlung Falderstraße

Viele Buchhandlungen müssen schließen Im vergangenen Jahr musste der deutsche Buchmarkt bei einem Umsatz von knapp zehn Milliarden Euro einen leichten Rückgang hinnehmen. Wenn man auf die finanzielle Lage vieler Buchhandlungen in Deutschland schaut, dann stimmt der Blick in die Zukunft nicht optimistisch. In Bonn wird die große und traditionsreiche Buchhandlung "Bouvier" im kommenden Jahr geschlossen. Ein Schock nicht nur für die Mitarbeiter. Auch viele Bonner seien über das Ende des seit 184 Jahren bestehenden Hauses traurig, erzählt Andreas Hack von "Bouvier". Der groß Laden nahe der Universität bietet eine Art Rundumversorgung: neben einer geisteswissenschaftlichen Abteilung gibt es Reiseführer, Kochbücher und jede Art von Belletristik.

Martin Walser (Foto: dpa)
Einer der meistverkauften deutschen Autoren: Martin WalserBild: picture-alliance/dpa

Erotik, Krimis und Martin Walser

Auch bei ihm sei sehr oft in den letzten Monaten "Shades of Grey" über den Ladentisch gegangen, erzählt Hack. Die Verkaufszahlen ließen sich mit denen von "Harry Potter" vergleichen. Auch internationale Bestsellerautoren wie Ken Follett, Isabel Allende oder der dänische Krimistar Jussi Adler-Olsen würden viel gekauft. Beliebt seien auch Krimis, die in einer bestimmten Region spielen. Aber auch ein altbewährter Autor wie Martin Walser, der soeben einen neuen Roman vorgelegt hat, habe eine feste Käuferschar, wenn auch nur für einen überschaubaren Zeitraum. Im Sachbuchbereich deutet Hack auf die Bücher von Bettina Wulff und auf den Titel von Heinz Buschkowsky. Vor allem viele ältere Herrschaften fragten nach dem Buch des Berliner Stadtteilbürgermeisters, der sich über das Scheitern der Integration Gedanken gemacht hat. "Wieder so ein Sarrazin-Effekt", vermutet Hack und erinnert an die phänomenalen Verkaufszahlen von Thilo Sarrazins Millionenseller "Deutschland schafft sich ab" aus dem Jahr 2010.

Buchcover Neukölln ist überall von Heinz Buschkowsky (Foto: Ullstein)
In den Buchläden oft ausverkauft

Kochbücher und Ratgeber als Topseller

Die meisten Bücher allerdings, für die sich Deutsche begeistern, entstammen nicht dem Bereich Belletristik, sondern den Segmenten Ratgeber und Kochbuch. Die Belletristik spielt eine untergeordnete Rolle, auch wenn sie die Feuilletons beherrscht. Das sind Parallelwelten. Ohne engagierte Buchhändler stünde es vielleicht nicht so gut um das Leseverhalten der Deutschen. Und auch die bekommen die Konkurrenz aus dem Internet zu spüren. Dort steht im Übrigen ein Buch auf Platz Eins, das es noch gar nicht zu kaufen gibt: Der dritte Teil der Sexabenteuer von E.L. Gray, "Befreite Lust", erscheint erst am 24. Oktober.