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Politik

Was man über den Fall Assange wissen sollte

24. Februar 2020

Wird der Wikileaks-Gründer an die USA ausgeliefert? Darüber berät ab diesem Montag ein Gericht in London. Informationen und Hintergründe in sieben Fragen und Antworten.

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England London Demonstration Unterstützer Julian Assange
Bild: Getty Images/H. Adams

Womit hat Assange den Zorn der USA auf sich gezogen?

2010 veröffentlichte Wikileaks rund eine halbe Million als geheim eingestufter US-Dokumente über die Kriege in Irak und Afghanistan, die auch Kriegsverbrechen von US-Truppen dokumentierten. Das öffentliche Bild dieser Kriege wurde durch die Enthüllungen nachhaltig verändert. Einen wenig schmeichelhaften Blick ins Innenleben amerikanischer Außenpolitik generell ermöglichte Wikileaks 2011. Da veröffentlichte die Whistleblower-Plattformeine Viertelmillion ebenfalls geheimer Depeschen von US-Botschaften. In der Folge bezeichnete eine ganze Reihe von US-Politikern Assange als "High-Tech-Terroristen", der mit allen Mitteln verfolgt werden müsse.

Außenminister Mike Pompeo beschimpfte Wikileaks 2017 als "nicht-staatlichen feindlichen Geheimdienst" - damals war er noch CIA-Direktor. Schon 2010 hat ein geheim tagendes Geschworenen-Gericht - eine Grand Jury - eine ebenso geheime Anklage gegen Assange erhoben. Erst seit Mai 2019 sind die Anklagepunkte gegen Assange öffentlich. Und erst in dem Auslieferungsverfahren wird man ab Montag die Vorwürfe im Detail kennen lernen. Kritiker sehen in der Verfolgung  von Assange einen schweren Angriff auf die Pressefreiheit.

Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange gefordert
Über 130 prominente Politiker, Journalisten, Künstler aus Deutschland fordern die Freilassung von Assange Bild: picture-alliance/AA/A. Hosbas

Welche Vorwürfe werden gegen Assange erhoben?

Noch im April 2019 hatte das US-Justizministerium dem 48-jährigen Australier lediglich Hilfe beim Hacken von Regierungsrechnern vorgeworfen. Das kann mit maximal fünf Jahren Haft bestraft werden. Das Auslieferungsrecht erlaubt anschließende Gerichtsverfahren ausschließlich wegen der im Auslieferungsersuchen aufgeführten Vorwürfe. Wohl weil die US-Behörden maximal fünf Jahre Haft für nicht ausreichend befanden, wurde die Liste im Mai 2019 auf 18 Anklagepunkte ausgeweitet - inklusive der Verletzung des Spionagegesetzes von 1917. Jetzt drohen maximal 175 Jahre Haft.

Julian Assange soll laut Anklage die Informationen seiner Quelle Chelsea Manning nicht nur passiv erhalten haben. Er soll Manning aktiv unterstützt und zu weiteren Leaks gedrängt haben. Nach Ansicht des früheren Justiziars der New York Times, James C. Goodale gehört es zur alltäglichen Praxis investigativer Journalisten, Quellen zur Preisgabe weiterer Informationen  zu bewegen - und muss es auch weiter gehören dürfen. Nach Ansicht Goodales schüchtert die US-Regierung Investigativ-Journalisten mit ihrer Position massiv ein.

Stichwort Einschüchterung: Chelsea Manning selbst sitzt übrigens seit knapp einem Jahr in Beugehaft. Sie soll gegen ihren erklärten Willen zu einer Aussage gegen Julian Assange vor dem Geschworenengericht gezwungen werden. Zusätzlich fällt täglich ein Strafgeld von 1000 Dollar an. Sie weigert sich.

Großbritannien Chelsea Manning, ehemaliger US-Soldat & Whistleblowerin
Seit 8. März 2019 in Beugehaft: Chelsea Manning soll gegen Assange aussagen - und weigert sichBild: picture-alliance/Zuma Press/R. Tang

Wie sind die derzeitigen Haftbedingungen von Julian Assange?

Assange sitzt seit dem erzwungenen Ende seines Asyls in der ecuadorianischen Botschaft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh bei London ein. Bis vor kurzem weitgehend isoliert. Nach Ansicht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für Folter, Nils Melzer, zeigt Assange deutliche Symptome psychologischer Folter - auch eine Folge des siebenjährigen Aufenthalts in den sehr beengten Räumen der Botschaft Ecuadors. Erst am 18. Februar hatten knapp 200 Ärzte aus über einem Dutzend Länder in der medizinischen Fachzeitschrift Lancet in einem offenen Brief vor einer weiteren Verschlechterung von Assanges Gesundheit gewarnt. Wenn Assange in der Haft sterbe, so schrieben die Mediziner, sei Assange "effektiv zu Tode gefoltert worden". Inzwischen soll es dem Wikileaks-Gründer etwas besser gehen.

Hat Julian Assange Zugang zu Anwälten?

Zwar soll Assange in die USA ausgeliefert werden. Zugang zu seinen amerikanischen Anwälten hat er aber nicht. Auch seine britische Anwältin beklagt, nicht ausreichend Zeit mit Assange zu haben, um Beweismittel und Akten durchzugehen. Assange verfügt über keinen Computer, jeglicher Austausch erfolgt über die Post. Bis Oktober durfte Assange nach Aussagen von Nils Melzer keine Rechtsakten in seiner Zelle haben. Die Folgerung des Schweizer Rechtsprofessors: Assange wird das Grundrecht verweigert, seine eigene Verteidigung vorzubereiten.

Melzer: Assange zeigt Symptome "psychischer Folter"

Zum Thema Kontakt mit Anwälten gehört auch: Als Assange im Asyl in der ecuadorianischen Botschaft hatte, war er permanenter Überwachung durch die spanische Sicherheitsfirma Undercover Global, kurz: UC-Global ausgesetzt. Wie bei einem Prozess in Madrid gegen den UC-Global Gründer David Morales deutlich wurde, war die Botschaft flächendeckend verwanzt. Dabei wurde auch die geschützte Konversation mit Assanges Anwälten mitgeschnitten - und von Morales mutmaßlich an seine amerikanischen Auftraggeber weiter gegeben. Schon damit wären die Bedingungen für einen fairen Prozess nicht mehr gegeben.

Warum hat Assange sieben Jahre Asyl in der Botschaft Ecuadors gesucht?

Damit wollte der Enthüllungsjournalist der Auslieferung in die USA entgehen. Formal hat er sich der Auslieferung an Schweden entzogen. Schweden hatte 2010 einen Europäischen Haftbefehl gegen Assange ausgestellt, um ihn im Zuge von Vorermittlungen wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung zu befragen. Assange hatte stets die Vernehmung in der Londoner Botschaft angeboten, Vernehmungen per Videolink oder auch in Schweden selbst - vorausgesetzt, eine Auslieferung an die USA sei ausgeschlossen. Zu einer Vernehmung von Assange in London kam es erst sechs Jahre später im November 2016. Und auch erst, nachdem Schewdens oberstes Gericht gedroht hatte, das Verfahren einzustellen, sollte die Staatsanwaltschaft es weiter verschleppen. Nach Ansicht von UN-Folterberichterstatter Melzer hat Schweden die Vorwürfe bewusst jahrelang in der Schwebe gehalten: Um den Ruf von Assange zu ruinieren, und um ihn im Botschaftsasyl festzuhalten.

Was weiß man über das Vergewaltigungsverfahren der schwedischen Justiz?

Tatsache ist: Die beiden Frauen, auf deren Aussage die schwedische Justiz ihre Anklage aufgebaut hat, haben nie von einer Vergewaltigung gesprochen. Sie haben im August 2010 lediglich deshalb eine Polizeistation in Stockholm aufgesucht, weil sie Assange zu einem Aids-Test zwingen lassen wollten.

Die zunächst zuständige Staatsanwältin in Stockholm hatte nach Befragung der Frauen zunächst festgestellt: deren Aussagen seien glaubhaft. Aber die geschilderten Vorgänge lieferten keine Hinweise auf eine Straftat. Erst Staatsanwältin Marianne Ny aus dem knapp 500 Kilometer entfernten Göteborg nahm den "Fall" dann erneut auf. Sie erließ den europäischen Haftbefehl - für die Befragung. Offiziell ist nie Anklage gegen Assange erhoben worden.

Vollständig eingestellt wurde das Verfahren erst im November 2019. Mit demselben Argument, das auch die erste Staatsanwältin in Stockholm geliefert hatte: Die Aussagen der Frauen lieferten keine Beweise für eine Straftat.

Was erwartet Assange, falls er an die USA ausgeliefert würde?

Ein Geschworenengericht in Alexandria im US-Bundesstaat Virginia. Nach US-Recht müssen die Geschworenen die dortige Bevölkerungsstruktur widerspiegeln. Das Pentagon nur knapp 20 Autominuten entfernt, die CIA-Zentrale eine halbe Stunde; im Umkreis liegen weitere Einrichtungen der National Security Community. Mitarbeiter dieser Institutionen werden die Jury beherrschen - entsprechend wird ihre Haltung in Prozessen sein, in denen die Nationalen Sicherheit berührt wird. Mit dem Fall befasst ist Richterin Leonie Brinkema, bekannt für ihre harte Linie. Die Verwendung von geheimem Beweismaterial ist erlaubt. Wer hier angeklagt ist, weiß um seine geringen Chancen auf einen Freispruch. Die meisten Angeklagten machen deshalb eine Deal mit den Anklägern: Sie bekennen sich zumindest teilweise schuldig - und bekommen im Gegenzug eine mildere Strafe. Julian Assange jedenfalls hat vor diesem Gericht kaum einen fairen Prozess zu erwarten - und sicher keine Gnade. 

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein