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Glaube

Was sich im Verhüllen zeigt

4. Juni 2020

Durch Verhüllen die Dinge neu wahrnehmen: Das haben Christo und Jeanne-Claude durch ihre Kunstaktionen gelehrt. Sie verpackten den Reichstag, Brücken und sogar ganze Inseln. Über die Kunst, das Verborgene zu enthüllen.

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Verhüllungskünstler Christo
Bild: picture-alliance/dpa/K.-D. Gabbert

Vergangenen Pfingstsonntag ist der aus Bulgarien stammende Künstler Christo gestorben. Zusammen mit seiner schon 2009 verstorbenen Ehefrau Jeanne-Claude war er bekannt für spektakuläre Kunstaktionen. Das Künstlerehepaar verpackte diverse Gebäude und Gegenstände – wie Bäume und sogar ganze Inseln – und entzog sie damit symbolisch dem Zugriff der Zuschauerblicke. In Deutschland ist die Verhüllung des Reichstags im Jahr 1995 am bekanntesten. Aber auch andere Kunstaktionen sind ins kollektive Gedächtnis eingebrannt: Die Verhüllung des Pont-Neuf in Paris oder die „Floating Peers“ auf einem See in Norditalien.

Mich erinnert die Verhüllung des Reichstags an eine Verhüllung, die in der katholischen Liturgie vollzogen wird: Am Passionssonntag eine Woche vor Palmsonntag werden in den Kirchen die Kreuze mit violetten Tüchern verhüllt, und erst knapp zwei Wochen später wird das Kreuz in der Karfreitagsliturgie wieder sichtbar gemacht, indem es rituell enthüllt wird. Dabei wird gesungen „Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt: Kommt lasset uns anbeten!“

Durch Verhüllen erkennen: Das ist das Paradox, auf das Christo und Jeanne-Claude hingewiesen haben. In der Bibel sind keinerlei Beschreibungen über die Auferstehung überliefert, keiner hat sie gesehen. Deswegen ist das Kreuz zum Symbol für die Auferstehung geworden. Auch das ein Paradox: Im Sterben Jesu zeigt Gott seine Herrlichkeit, seine Liebe! Das Kreuz – der Tod – „enthüllt“ das Leben; das Kreuz offenbart Gott selbst.

Und noch ein anderer Aspekt des Verhüllens fasziniert: Das Verborgene bleibt gegenwärtig. Zwar ist der Gegenstand dem Zugriff durch unsere Blicke entzogen, doch weiß man um seine Präsenz. Deswegen war die Verhüllung des Reichstags so großartig: Es mutet größenwahnsinnig an, ein solch massives Gebäude auf diese Weise „verschwinden“ lassen zu wollen. Tatsächlich war das Gebäude nur noch in seinen Konturen erkennbar. Und doch war diese unsichtbare Präsenz eine Einladung darüber nachzudenken, wofür dieses Gebäude symbolisch steht und was verloren ginge, wenn der Reichstag nicht mehr wäre!

Christo hatte geplant, mit seinem „Project for Cologne“ den Kölner Dom zu verhüllen! Schade, dass diese Idee nie verwirklicht worden ist. Es wäre eine großartige Gelegenheit gewesen, über Kirchengebäude nachzusinnen. Als „Gotteshäuser“ stehen gerade sie für die göttliche Gegenwart, die sich den Menschen schenkt und zugleich entzieht!  

Im Verhüllen zeigt sich die Gegenwart des Verborgenen. Die eigene Wahrnehmung um diese Dimension zu erweitern, ist eine Kunst, die man schulen sollte. Denn so lernt man, das Vordergründige in Frage zu stellen und andere Dimensionen der Wirklichkeit zu erkennen oder zumindest den Raum dafür offenzuhalten. Christo und Jeanne-Claude ist dies durch ihr Wirken gelungen.

Und noch ein letzter Aspekt dieser Kunst ist bedenkenswert: Sie ist vergänglich; und sie gehört niemandem. Keiner konnte sich den verhüllten Reichstag kaufen. Solche Kunst kann man nur durch Präsenz erleben, nur wenn man dabei ist. Christo und Jeanne-Claude war dieser „demokratische“ Aspekt ihrer Kunst wichtig. Darüber hinaus haben sie ihre verwendeten Materialien stets recycelt.

Christo hätte am 13. Juni 2020 seinen 85. Geburtstag gefeiert, am selben Tag wie seine 2009 verstorbene Ehefrau Jeanne-Claude.

 

P. Max. I. Cappabianca OP ist Mitglied des Dominikanerordens und als TV-Moderator und Hochschulpfarrer in Berlin tätig.