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Amok im Film

Jochen Kürten12. März 2009

Das Kino hat sich schon lange mit dem Thema Amoklauf beschäftigt. Auch in den Filmen ist die Suche nach den Motiven der Täter schwierig.

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"Elephant" von Gus van SantBild: picture alliance / kpa

"Warum läuft Herr R. Amok" fragten schon 1970 die Filmemacher Michael Fengler und Rainer Werner Fassbinder. Sie schilderten in ihrem Film das trostlose und monotone Leben des kleinen Angestellten R., der seine angestauten Frustrationen irgendwann in einem Akt brutalen Handelns abzubauen versucht. Warum R. freilich gleich zu solch drastischen Mitteln greift und Frau und Sohn tötet, darauf fanden auch R.´s Bürokollegen am Ende des Films keine befriedigende Antwort.

Das Thema "Amoklauf" wurde vor allem seit Ende der 1960er Jahren von Filmregisseuren vielfach aufgegriffen. Peter Bogdanovich stellte 1968 den jungen Durchschnittsamerikaner Bobby in den Mittelpunkt seiner Studie "Targets". Auch wenn die Gründe des Mannes für seine gezielten Todesschüsse nie eindeutig erscheinen, so schälen sich doch ein paar wenige Motive heraus. Das wichtigste: Bobby ist unfähig seine Frustrationen und Ängste seiner Umwelt mitzuteilen.

Die Unfähigkeit zu kommunizieren

Robert de Niro in Taxi Driver
Robert De Niro in "Taxi Driver".Bild: AP

Diese Kommunikationsunfähigkeit erscheint auch im wohl berühmtesten Film über einen Amokläufer im Hintergrund auf. Travis Bickle, der "Held" aus Martin Scorseses "Taxi Driver" (1976), ist vor allem ein isoliert lebender Mensch mit wenigen wirklichen, menschlichen Kontakten zu seiner Umwelt. 1992 machte es Regisseur Joel Schumacher seinen Zuschauern leichter, als er in "Falling Down" seine Hauptfigur William Foster (Michael Douglas) mit einer Fülle von Problemen ausstattete. Foster hat seinen Job verloren, seine Frau hat sich von ihm getrennt, seine Tochter darf er nicht mehr sehen. Irgendwann rastet Foster dann aus und schießt wild um sich.

Natural Born Killers
Das Filmpärchen Mickey und Mallory in "Natural Born Killers"Bild: picture-alliance / KPA Honorar und Belege

Ganz gezielt auf Menschenjagd geht das junge Pärchen Mallory und Mickey in Oliver Stones umstrittenem Film "Natural Born Killers". Hier werden Wut und Frustration mit früheren selbst erlittenen Verletzungen begründet. Stone rückt im Film auch die Rolle der Medien in den Blickpunkt. Sie haben - so Regisseur Stone - mit ihrer Sucht, immer wieder spektakuläre Bilder zu präsentieren, eine Mitverantwortung für das brutale Agieren der beiden jungen Menschen.

Schulalltag in den USA und Deutschland

Ganz konkret von einem authentischen Vorfall ließ sich US-Regisseur Gus van Sant in seinem Werk "Elephant" inspirieren. Der Amoklauf eines Schülers in Littleton an der Columbine High School 1999 diente ihm als Blaupause für seinen Film. Auffällig dabei: van Sant verzichtete vollkommen auf eine Psychologisierung, der Zuschauer wird mit dem Gesehenen alleingelassen, er kann nur beobachten, was an einem bestimmten Tag in der Schule passiert. Erst ganz am Schluss gibt van Sant mögliche Hinweise für den Amoklauf der Schüler. Brutale Videospiele und Naziclips bestimmen den Alltag der späteren Amokläufer. Der weitgehende Verzicht auf eine psychologische Einbettung der Charaktere führte zu sehr unterschiedlichen Reaktionen. Bei den Filmfestspielen in Cannes 2003 gewann "Elephant" allerdings die "Goldene Palme".

Auch zwei deutsche Regisseure haben sich in jüngster Zeit des Themas angenommen. Detlef Muckel stellte im vergangenen Jahr seinen Dokumentarspielfilm "Amok" vor, der seitdem auch in einigen Schulen gezeigt wurde. Muckel versucht zu ergründen, wie ein Amokläufer denken, welche Beweggründe er haben könnte. Ein Film, der Spielszenen, Interviews und Dokumentarteile zusammenfügt um die Zuschauer zu größerer Aufmerksamkeit zu animieren.

Keine eindeutigen Erklärungen

Thomas Sieben
Regisseur Thomas Sieben ("Distanz")Bild: DW

Der junge Thomas Sieben, dessen Debüt "Distanz" in diesem Jahr die Berlinale-Reihe "Perspektive Deutsches Kino" eröffnete, verzichtet ebenso wie Gus van Sant auf Psychologie. Sieben zeigt den Alltag des Gärtners Daniel, einen stillen, jungen, zurückgezogenen Mann, der immer wieder wahllos Gewalttaten ausübt. Mal schmeißt er große Pflastersteine von Autobahnbrücken herunter, mal erschießt er mit einem geklauten Jagdgewehr Jogger im Park. Der Zuschauer erfährt nichts über die Vergangenheit Daniels, über mögliche Motive des eigentlich ganz sympathischen Mannes, bekommt keine psychologischen Erklärungsmuster mit auf den Weg. Ein Film, der verstört und sicher auch viele Zuschauer ratlos aus dem Kino entlässt.

Letztendlich haben auch die Regisseure keine schlüssigen Motive für Amokläufe. Gus van Sant bezieht sich in seinem Titel "Elephant" auf eine buddhistische Parabel von fünf Blinden, die einen Elefanten untersuchen und zu fünf unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Was Gus van Sant damit sagen wollte: wer nach einer einzigen, schlüssigen Erklärung für die Gewaltausbrüche eines Amokläufers sucht, der muss scheitern, schließt er doch damit die übrigen vier Erklärungen aus.