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Was tun gegen Social Media-Sucht?

2. Dezember 2023

Immer mehr Menschen verbringen zu viel Zeit am Handy - und das auch noch immer länger. In den USA gibt es nun erste Klagen gegen Facebook & Co. Der Vorwurf: Mediensucht werde von den Konzernen aktiv befeuert.

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Eine Jugendliche starrt im Dunkeln auf ihr Smartphone
Chatten und scrollen bis tief in die Nacht - die Nutzung sozialer Medien hat bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren stark zugenommenBild: Weronika Peneshko/dpa/picture-alliance

Ach komm, nur noch einen Post! Nicht so interessant? Dann schnell weiterscrollen, der nächste Content ist bestimmt spannender. Wer bei Twitter, Facebook oder TikTok unterwegs ist, kennt diesen Impuls – und schnell sind statt des Nur-eben-mal-Schauens eine oder zwei Stunden vergangen. Soziale Medien sind allgegenwärtig. Auf dem Smartphone oder Computer, bei der Arbeit oder in der Freizeit chatten oder posten oder konsumieren wir Inhalte, die von Anderen angeboten werden.

Doch das hat auch seine Schattenseiten. Denn die Zahl derer, die übermäßig viel Social Media konsumieren, nimmt stetig zu. Allein in Deutschland gelten inzwischen mehr als sechs Prozent der Kinder und Jugendlichen als medienabhängig. Einer im Frühjahr 2023 veröffentlichten Studie der Krankenkasse DAK zufolge betrifft das über 600.000 Jungen und Mädchen. Bei mehr als zwei Millionen Heranwachsenden sei der Medienkonsum "problematisch". Zwischen drei und vier Stunden pro Tag verbringen sie vor dem Display, deutlich mehr als noch vor der Corona-Pandemie.

Gewinnbringend oder schädlich?

Sind soziale Netzwerke also Teufelszeug? "Ihre Rolle ist zumindest ambivalent", sagt Tobias Dienlin, Professor für Interaktive Kommunikation an der Universität Wien. "Es gibt sehr viel belanglosen Content, es gibt aber auch gewinnbringende Inhalte. Und man kann Soziale Medien auf ganz unterschiedliche Art und Weise nutzen: Man kann Dinge einfach nur passiv konsumieren, oder man kann sie aktiv nutzen, um miteinander zu kommunizieren und Beziehungen aufrechtzuerhalten." Solange dies alles in Maßen geschehe, sei das auch völlig in Ordnung. Erst die übermäßige Nutzung werde für manche User zum Problem. 

Soziale Medien - Foren mit Suchtgefahr

Eine offiziell anerkannte medizinische Diagnose von Social Media-Sucht gebe es dabei bislang nicht. "Aber nur weil es diese Diagnose nicht gibt, ist es ja nicht so, dass es das Phänomen nicht gibt", so Dienlin. Wenn die Nutzung von Medien so exzessiv werde, dass man nicht mehr zu anderen, wichtigen Sachen komme; dass man sie selbst eigentlich weniger nutzen möchte, aber an nichts anderes mehr denken könne; dass man Sozialbeziehungen vernachlässige – dann könne man von einer Abhängigkeit sprechen, sagt der Medienpsychologe.

Attraktiver Algorithmus

Die meisten sozialen Medien arbeiten dabei nach dem Prinzip kurzfristiger Anreize und Belohnungen. Likes und Emojis sorgen für positive Bestätigung, und sollte ein Content mal nicht gefallen, wischt man schnell weiter zum nächsten. "Gerade die Einführung des endlosen Scrollings hat dazu geführt, dass man nie fertiglesen kann, sondern dass immer neuer Content bereitgestellt wird," erklärt Tobias Dienlin. "Das ist natürlich ein suchtfördernder Faktor, weil man sich selbst aktiv vom Bildschirm lösen muss. Wenn ich ein Buch zu Ende gelesen habe, dann ist es fertig. Auch TV-Sendungen haben ein Ende, aber online ist das halt nicht der Fall."

Siebenjähriger mit einem Comicheft
Irgendwann ist es zuende gelesen: Siebenjähriger mit einem Comicheft Bild: Lehtikuva Heikki Saukkomaa/dpa/picture alliance

Der Algorithmus vieler sozialer Medien sorgt zusätzlich dafür, dass wir als User immer passgenauer auf unsere Interessen zugeschnittene Inhalte vorgespielt bekommen, was es noch schwieriger macht, den Konsum rechtzeitig einzustellen. Besonders anfällig für eine Mediensucht sind dabei vor allem Menschen, die auch in anderen Bereichen Probleme haben. "Diejenigen, die eh schon eine Impulskontrollschwäche haben oder die es eh schon schwer haben, ihren Alltag zu organisieren, denen fällt das bei Social Media umso schwerer", so Dienlin. Und für einsame Menschen, Außenseiter oder Menschen mit Depressionen kann übermäßiger Medienkonsum eine willkommene Realitätsflucht darstellen: "Weil wir damit unsere Stimmung regulieren und unangenehme Situationen beenden können", erklärt der Wiener Medienwissenschaftler. "Wenn mir langweilig ist, wenn ich überfordert bin, wenn ich mich schäme, wenn ich mir Selbstvorwürfe mache, und ich dann zum Handy greife und soziale Medien konsumiere, ist das weg. Im selben Moment."

Andersherum kann übermäßiger Medienkonsum bereits vorhandene psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Essstörungen sogar noch verstärken – etwa, wenn hierzu passende Inhalte aktiv gesucht und durch den lernenden Algorithmus des Sozialen Mediums dann auch noch verstärkt ausgespielt werden.

USA: Sammelklagen gegen Tech-Konzerne

In den USA haben mittlerweile mehrere hundert Familien eine Sammelklage gegen vier der weltgrößten Tech-Konzerne angestoßen: Sie werfen dem Facebook-Mutterkonzern Meta, dem chinesischen TikTok-Anbieter ByteDance, dem für YouTube zuständigen Unternehmen Alphabet und Snap, dem Anbieter des Messengers Snapchat, vor, die Social Media-Sucht ihrer Kinder und Jugendlichen nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern diese sogar aktiv zu fördern. Mehrere US-Schulbezirke haben sich der Klage angeschlossen. Die Kläger werfen den Konzernen unter anderem vor, keine sichere Altersverifikation und nur unzureichende Kontrollmechanismen für Eltern implementiert zu haben. Zudem werde Usern das Entfernen bereits angelegter Social Media-Konten unnötig schwergemacht.

Lange war unklar, ob der Rechtsstreit überhaupt ausgefochten wird. Die Tech-Konzerne wiesen alle Vorwürfe als unbegründet zurück. Doch Mitte November verfügte eine US-Bundesrichterin, dass die Klage zugelassen wird. 

Handy-Display mit mehreren Messenger-Services
Auch immer wieder aufploppende Benachrichtigungen sorgen dafür, dass wir vermehrt zum Smartphone greifenBild: Jaap Arriens/NurPhoto/IMAGO

Aber wie sinnvoll ist solch ein Schritt? Medienpsychologe Dienlin ist da zwiegespalten. "So eine Klage schafft vor allem Aufmerksamkeit, und es ist aus meiner Sicht sinnvoll, auf die Problematik hinzuweisen. Aber es ist - wie so häufig - eine Abwägung. Wenn die Anbietenden ihre Services attraktiver machen, was das Prinzip und das Ziel jedes gewinnorientierten Unternehmens ist, fördern sie damit natürlich automatisch den Suchtfaktor. Der Nutzer kann sich da nicht komplett aus der Verantwortung stehlen. Man muss halt beides machen: Man muss die Technik optimieren und gleichzeitig die User schulen und ihnen helfen."

Strategien gegen die drohende Sucht

Das Wichtigste dabei sei, seine eigene Mediennutzung und die seiner Kinder stets kritisch zu hinterfragen. "Sich in der Familie gemeinsam besprechen, auch die Nichtnutzung einzuüben, ohne dabei gleich sagen zu müssen: 'Social Media sind kompletter Mist'." Empfehlenswert sei es auch, Medienzeiten zu beschränken und das Handy zu bestimmten Zeiten auch wirklich physisch wegzulegen. Und es sei auch nötig, wieder Alternativen zum Smartphone zu lernen. Medienwissenschaftler Dienlin zählt dazu etwa Bewegung, Sport, Hobbies, Freunde oder ehrenamtliches Engagement. "Es ist verkehrt zu denken, dass es primär an den Sozialen Netzwerken liegt, wenn es einem schlecht geht. Oft ist das vor dem Smartphone hängen vor allem Ausdruck eines anderen tieferen Problems, ein Ausdruck, der aber wiederum neue Probleme schaffen kann." Dies überhaupt zu erkennen, sei oftmals schon der erste Schritt heraus aus der Smartphone-Sucht.

Schulkinder mit Smartphone auf dem Pausenhof
Hohe Anziehungskraft: Schulkinder mit Smartphone auf dem PausenhofBild: Lev Dolgachov/Zoonar/picture alliance
Thomas Latschan Bonn 9558
Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik