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Was, wenn Russland seine Rohstoff-Exporte stoppt?

Oleg Khokhlov
3. Oktober 2024

Russlands Präsident Putin droht damit, als Antwort auf westliche Sanktionen die Exporte wichtiger Rohstoffe zu beschränken. Für die USA und die EU wäre das schmerzhaft - denn sie sind zum Teil von Russland abhängig.

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Karikatur: russischer Präsident Wladimir mit den Zeichen für Uran, Titan und Nickel, die er aus dem Periodensystem der chemischen Elemente von Mendelejew herausgeschnitten hat
Putin entfernt die Elemente Uran, Titan und Nickel aus dem PeriodensystemBild: DW

"Lieferungen einer Reihe von Gütern an uns werden begrenzt, und auch wir sollten vielleicht über gewisse Beschränkungen nachdenken, so bei Uran, Titan und Nickel", erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin im September und wies die Regierung an, Exportbeschränkungen zu prüfen.

Der Kreml hatte schon im Jahr 2022 versucht, bei den Gaslieferungen Europa unter Druck zu setzen. Das Ziel war es, die Hilfe des Westens für die Ukraine, die sich gegen Russlands Angriffskrieg wehrt, zu untergraben. Die neuen Drohungen sind nicht ganz abwegig, da die USA und die EU die erwähnten Rohstoffe in großen Mengen aus Russland importieren.

Welche Rolle spielt russisches Uran?

Putin hat nicht zufällig an erster Stelle Uran erwähnt. Das Staatsunternehmen Rosatom hat beim angereicherten Uran für Kernkraftwerke einen Anteil von über 40 Prozent am Weltmarkt. Niemand sonst bietet so hochwertiges, niedrig angereichertes Uran für Reaktoren der neuen Generation. Das US-Unternehmen Centrus Energy begann erst Ende vergangenen Jahres als erstes mit der eigenständigen Urananreicherung, aber die Produktionsmengen werden noch lange bescheiden bleiben. Das Hauptgeschäft von Centrus Energy ist die Lieferung von angereichertem Uran, das es von Rosatom bezieht.

Logo von Rosatom auf einem Messestand
In der EU gibt es Kernkraftwerke, die Brennstäbe von Rosatom benötigenBild: Maksim Konstantinov/Russian Look/picture alliance

Insgesamt liegt der Anteil von Rosatom am US-Markt bei mehr als 20 Prozent und in der EU bei etwa 30 Prozent. Die USA bringen als größter Abnehmer angereicherten Urans aus Russland Rosatom die Hälfte des Auslandsumsatzes, der sich auf etwa zwei Milliarden Dollar pro Jahr beläuft. Die Uran-Lieferungen von Rosatom in die EU erreichen rund 500 Millionen Dollar. Zudem liefert Rosatom fertigen Brennstoff für Kernkraftwerke sowjetischer und russischer Bauart und bietet Dienstleistungen an. Laut eigenen Angaben erwirtschaftete das Unternehmen in Ländern des Westens im Jahr 2023 so über vier Milliarden Dollar seines weltweiten Umsatzes von insgesamt 16,4 Milliarden US-Dollar.

Wie werden Sanktionen umgangen?

Ein Abbruch des Geschäfts wäre für beide Seiten schmerzhaft. Daher war Rosatom bis vor Kurzem eines der wenigen russischen Unternehmen, die keinen Sanktionen des Westens unterlagen. Gleichzeitig ist man sich im Westen aber im Klaren, dass die Abhängigkeiten von Russland in der Kernenergie abgebaut werden müssen. Allein Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sieht dies anders.

Neben Rosatom reichern noch die beiden europäischen Unternehmen Urenco und Orano Uran in großen Mengen an. Beide bauen ihre Kapazitäten aus, um die Lieferungen auf den wichtigen US-Markt zu steigern. Sollte dies gelingen, könnten die USA in etwa fünf Jahren und die EU etwas später auf russische Lieferungen verzichten, meint Dmitrij Gortschakow, Atomexperte bei der internationalen Umweltorganisation Bellona.

In letzter Zeit importieren US-Unternehmen auch zunehmend angereichertes Uran aus China. Vermutlich handelt es sich dabei um weiterverkauftes russisches Uran, denn Russlands Lieferungen an seinen wichtigsten Handelspartner China sind seit 2022 deutlich gestiegen. Dies zeigt, dass trotz Sanktionen russische Rohstoffe über China oder andere Länder auch auf den US-Markt gelangen können.

Wie steht es um die Titanproduktion?

Die Titanproduktion in Russland ist fast ausschließlich in der Hand von VSMPO-Avisma, einem Unternehmen mit Sitz in der Stadt Werchnjaja Salda im Ural. Es zählt zu den führenden in diesem Bereich und hat einen Anteil von etwa 15 Prozent an der weltweiten Herstellung von Titanschwamm, einem Rohstoff, aus dem Titanbarren gegossen werden. Mehr als die Hälfte des weltweit verfügbaren Titanschwamms wird jedoch in China produziert, etwas weniger als ein Viertel in Japan und knapp zehn Prozent in Kasachstan.

Wie Rosatom ist auch VSMPO-Avisma von US-Sanktionen betroffen, jedoch nicht von EU-Sanktionen. Hauptkunden von VSMPO-Avisma im Ausland waren vor dem Ukraine-Krieg das US-Unternehmen Boeing und der europäische Flugzeugbauer Airbus. Das russische Unternehmen deckte etwa ein Drittel des Titan-Bedarfs von Boeing und mehr als die Hälfte des Bedarfs von Airbus. Boeing kündigte nach Kriegsbeginn im Frühjahr 2022 an, die Kooperation mit VSMPO-Avisma einzustellen, Airbus tat dies im Dezember des Jahres.

Davor hatte sich Airbus-Chef Guillaume Faury gegen Strafmaßnahmen ausgesprochen, da dies Sanktionen gegen sich selbst gleichkäme. Angesichts der komplexen Produktionsverfahren in der Luft- und Raumfahrtindustrie und den bestehenden Abhängigkeiten ist es fast unmöglich, nahtlos zu anderen Lieferanten zu wechseln.

Eine A350 Airbus-Maschine
Russisches Titan wird im europäischen und amerikanischen Flugzeugbau verwendetBild: Hans Lucas/imago images

Unter gewissen Bedingungen dürfen amerikanische Unternehmen aber mit VSMPO-Avisma kooperieren. Auch Kanadas Sanktionen gegen das russische Unternehmen sehen Ausnahmen vor, so für die Flugzeugbauer Bombardier und Airbus. Auch viele Boeing-Zulieferer, darunter der französische Komponentenhersteller Safran und der britische Triebwerk-Produzent Rolls-Royce, beziehen nach wie vor Titan aus Russland. Airbus tat dies bis mindestens November 2023, aktuellere Handelsdaten aus der Database ImportGenius liegen nicht vor. Die Exporte von VSMPO-Avisma nach Europa erreichten 345 Millionen US-Dollar im Jahr 2023 gegenüber 370 Millionen US-Dollar im Vorjahr.

Im Unterschied zur EU können die USA aber leichter Abhängigkeiten von Russland abbauen, da sie über Unternehmen verfügen, die importierten Titanschwamm verarbeiten, wie Andy Home erläutert, Experte für Metalle und Kolumnist bei der Agentur Reuters. Daher ist die EU, was Titan angeht, zunehmend auf die USA angewiesen, was dem in diesem Jahr beschlossenen EU-Gesetz zu kritischen Rohstoffen widerspricht. Doch die EU hat vorerst keine andere Wahl.

Wer braucht noch russischen Nickel?

Einer der größten Nickelproduzenten der Welt, das russische Unternehmen Norilsk Nickel, blieb lange von Sanktionen verschont. Die USA und Großbritannien verhängten erst vor einem Monat Beschränkungen, was die EU noch nicht getan hat.

Doch die Exporte des Unternehmens hatten sich bereits mit Kriegsbeginn verändert. Im Jahr 2021 entfielen über 50 Prozent des Umsatzes von Norilsk Nickel auf Europa und weitere 16 Prozent auf Nord- und Südamerika. Der Anteil Asiens betrug lediglich 27 Prozent. 2023 sank der Anteil Europas auf 24 Prozent und der Nord- und Südamerikas auf zehn Prozent. Der Anteil Asiens hingegen stieg auf 54 Prozent.

Die Umorientierung von West nach Ost ist aber nicht die einzige Herausforderung für das russische Unternehmen. Di e Nachfrage nach Nickel ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen, da der Rohstoff zur Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus für Elektrofahrzeuge benötigt wird. So kam es nicht nur wegen befürchteter Sanktionen gegen russische Exporte zu Preisschwankungen. Heute ist der Preis aber geringer als noch vor Beginn von Russlands Angriff auf die Ukraine. Ein Grund dafür ist, dass in diesem Markt unerwartet Indonesien eingetreten ist, das über deutlich größere Nickelvorkommen als Russland verfügt.

Somit seien die Aussichten des russischen Unternehmens im Nickel-Geschäft unklar, meint Andy Home von Reuters. Putin ermahnte seine Regierung, bei der Prüfung möglicher Exportbeschränkungen russischer Rohstoffe darauf zu achten, nichts zum eigenen Nachteil zu unternehmen. Was Nickel angeht, so wird Russland zumindest diesen Rohstoff nicht als geopolitische Waffe einsetzen können.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk