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Politik

Die "Generation Erdogan" wählt

21. Juni 2018

Etwa die Hälfte aller Türken ist noch keine 30 Jahre alt. Eine ganze Generation also, die mit Recep Tayyip Erdogan aufgewachsen ist. Auf sie kommt es an bei dieser Wahl. Aus Istanbul, Julia Hahn.

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Türkei Emin Sarıoğlu
Ein Wahlkämpfer der AKP zeigt Flagge - immer wieder, mit jeder neuen Fährenankunft...Bild: DW/J. Hahn

Immer wenn eine Fähre am Pier von Üsküdar anlegt und die Leute aussteigen, ist Emin Sarıoglu zur Stelle. Unermüdlich schwenkt er eine riesige türkische Flagge - der weiße Mondstern auf glänzendem, feuerrotem Stoff. "Wenn du mit Liebe bei der Sache bist, wird dir nichts zu viel", sagt Emin. "Und wir lieben dieses Land, diese Nation. Wir kämpfen für sie."

Hier im Stadtteil Üsküdar, auf der asiatischen Seite Istanbuls, macht er Wahlkampf für die AKP, die Partei von Staatschef Erdogan. Sarıoğlu ist 28 und hat Sportmanagement studiert, doch in diesen Tagen ist er rund um die Uhr für den Präsidenten im Einsatz. Er verehrt Erdogan schon so lange er denken kann. "Manche sagen, unser Präsident sei inzwischen müde, aber das ist Quatsch. Er strotzt vor Energie. Und das spornt auch mich an. Wenn Erdogan nicht müde ist, dann sollten wir jungen Leute das auch nicht sein", sagt Sarıoğlu. Wenn es nach ihm ginge, dann könnten Erdogan und seine islamisch-konservative AKP noch mehrere Jahrzehnte weiterregieren.

Türkei junge Leute auf einer Fähre in Istanbul
Fast jeder zweite Wahlberechtigte in der Türkei ist unter 30Bild: DW/J. Hahn

"Schluss mit Erdogan"

Im Nachbarstadtteil Kadiköy setzt sich Cansu Irem Kalender dafür ein, dass es am 24. Juni anders kommt. "Wir sagen endlich Nein zu diesem Ein-Mann-Regime", ruft sie in ein Megafon. Kalender wirbt um Stimmen für die linke Oppositionspartei HDP - und deren Präsidentschaftskandidaten Selahattin Demirtaş. Der sitzt wegen angeblicher Terrorverbindungen seit inzwischen 20 Monaten in Untersuchungshaft. "Es muss sich endlich etwas ändern. Den Menschen in diesem Land geht es schlecht", sagt Kalender. "Viele werden ohne Grund verhaftet und niemand schert sich darum".

Türkei Emin Sarıoğlu
AKP-Mitglied Sarıoğlu ist überzeugt: "Es gibt kein Unrecht, bei uns geht alles mit rechten Dingen zu"Bild: DW/J. Hahn

Kalender ist 19 und hat eine Ausbildung zur Anwaltsgehilfin gemacht. Jetzt will sie für die HDP einen Sitz im türkischen Parlament erringen. Auch sie hat nie einen anderen als Recep Tayyip Erdogan an der Spitze der Türkei erlebt. Doch anders als Sarıoğlu hat sie genug vom Präsidenten. "Er gibt Geld für Krieg statt für Bildung aus. Er ist ein Kriegstreiber und ein Nationalist. Und um die eigentlichen Probleme der Leute kümmert er sich nicht - deshalb sagen wir Schluss mit Erdogan", so Kalender. "Er prahlt immer mit den Straßen und Brücken, die er bauen lässt. Aber viele Menschen haben nicht genug zu essen, denen nützen neue Straßen nichts".

Die Zukunft in der Hand

Die Türkei ist ein junges Land. Gut die Hälfte der Wahlberechtigten ist unter 30. Mehr als 1,5 Millionen sind in diesem Jahr alt genug, um zum ersten Mal abstimmen zu dürfen. Eine ganze Generation also, die mit Erdogan aufgewachsen ist. Seit mehr als 15 Jahren ist er an der Macht - erst als Premierminister, dann als Präsident. Gewinnt er auch diese Wahl, dann wird er ein Staatschef mit nahezu unbegrenzten Befugnissen und er könnte für mindestens zwei weitere Amtszeiten regieren. Verlässliche aktuelle Umfragen zum Wahlverhalten junger Türken gibt es kaum. Dabei haben viele sehr genaue Vorstellungen davon, wie es politisch weitergehen sollte in ihrem Land.

Belgien türkischer Ministerpräsident Tayyip Erdogan in Brüssel
In Erdogans Schatten wuchs eine ganze Generation junger Wähler heranBild: Getty Images/AFP/D. Faget

Eine Passantin mit langen, dunklen Haaren meint: "Alles hat ein Verfallsdatum und das von Erdogan ist schon vor einiger Zeit abgelaufen". Ein junger Mann wiegt noch unentschlossen den Kopf: "Ich weiß nicht, ob ich Erdogan wähle, aber ich glaube auch nicht, dass jemand anders den Präsidentenjob machen könnte." Für einen anderen ist es keine Frage: "Wir sind zufrieden mit der Türkei, die Erdogan aufgebaut hat. Er hat Straßen und Brücken gebaut und unser Gesundheitssystem reformiert."

Zu viel Kontrolle?

Kalender macht Pause vom Wahlkampf. Mit Freunden trifft sie sich in einem der vielen Cafés von Kadiköy. Eine Zukunft unter Erdogan wollen sie nicht. Der Wirtschaft geht es schlecht, es gibt nicht genügend Jobs. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt aktuell bei über 20 Prozent. Und Freiheit fehlt ihnen. Sie haben Angst, dass Erdogan ihr Land in einen Überwachungsstaat verwandelt. "Wir dürfen nicht sagen, was wir denken. Zum Glück kann Erdogan uns nicht in den Kopf gucken - noch nicht", sagt Kalender. "Aber er entscheidet alles: Was wir lernen dürfen, was wir sehen dürfen. Das darf nicht so bleiben: Wir wollen lachen, wann und wo wir wollen. Wir wollen anziehen, was wir wollen. Es ist doch unser Leben, unser Körper. Es sind unsere Straßen, unsere Nächte".

Emin Sarıoğlu, der junge AKP-Wahlkämpfer, geht inzwischen im Stadtteil Üsküdar von Haustür zu Haustür, um Werbung für Erdogan zu machen. Eine weiße Nelke und Kaffee hat er als Geschenke dabei. Die kommen vor allem bei den älteren Leuten gut an. Aber Sarıoğlu ist auch überzeugt, dass seine Partei die beste Wahl für junge Leute ist. Die Probleme des Landes könne nur Erdogan lösen. "Wir werden ein paar Dinge in der Bildungspolitik verbessern und auch die Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen", sagt Sarıoğlu. "Wir sind da für die Jugend. Und ich glaube, wir sind die einzige Partei, die das von sich behaupten kann".

Türkei Cansu Irem Kalender
'Nein zu diesem Ein-Mann-Regime' - HDP-Wahlkämpferin KalenderBild: DW/J. Hahn

Und was sagt er zu dem Vorwurf, dass unter Erdogan Demokratie und Freiheit unter die Räder kommen? "Es gibt leider mitunter diese falsche Wahrnehmung, dass es keine Demokratie gebe, obwohl es sie gibt. Oder dass es keine Gerechtigkeit gebe, obwohl es sie gibt. Wir haben Richter und Gesetze. Es gibt kein Unrecht, bei uns geht alles mit rechten Dingen zu".

Kalender und Sarıoğlu - zwei junge Türken mit zwei unterschiedlichen Visionen für die Zukunft. Am 24. Juni wird sich entscheiden, welchen Weg ihr Land einschlägt.