Wendepunkt der Kolonialgeschichte
7. Mai 2014Fast 80 Jahre waren die Franzosen die uneingeschränkten Herrscher in Indochina, dem heutigen Laos, Kambodscha und Vietnam. Doch im Zweiten Weltkrieg hatten sie ihren Einfluss in den Kolonien weitgehend verloren. Um die Demütigung des Zweiten Weltkriegs so schnell wie möglich vergessen zu machen, wollte Frankreich seine südostasiatischen Kolonien mit aller Macht wieder unter Kontrolle bringen. Doch Vietnam, das am 2. September 1945 seine Unabhängigkeit erklärt hatte, setzte der französischen Kolonialarmee in einem Guerillakrieg schwer zu. Als Frankreich immer weiter in die Defensive gedrängt wurde, entschied der französische Oberbefehlshaber Henri Navarre, in Dien Bien Phu eine Entscheidungsschlacht herbeizuführen. Die französische Militärführung war überzeugt, dass die vietnamesische Rebellenarmee der überlegenen Feuerkraft des französischen Expeditionsheeres nichts entgegenzusetzen hätte.
Die "Stadt an der Grenze", wie Dien Bien Phu übersetzt heißt, liegt im nordvietnamesischen Hochland - nur 35 Kilometer entfernt von Laos. Die Franzosen wollten mit dem Stützpunkt die Kommunisten von Laos abschneiden und den Reis-Nachschub der Guerillaarmee aus den Bergen unterbinden.
Die Offensive gerät zur Falle
Die Vietnamesen nahmen die französische Herausforderung an. Vietnams späterer Präsident Ho Chi Minh soll die strategische Lage der französischen Festung an einem Tropenhelm illustriert haben. Er drehte den Helm um, zeigte auf die tiefste Stelle und sagte: "Hier sind jetzt die Franzosen", fuhr dann mit dem Finger den oberen Rand des Helmes entlang: "Und hier sind unsere Soldaten." Die befestigten Stellungen der 20.000 Mann starken französischen Streitkräfte lagen auf kleinen Hügeln im Tal, während sich 65.000 Vietnamesen auf den umliegenden Bergen postiert hatten.
Der damals 24-jährige vietnamesische Soldat Tran Thinh, der zur ersten Generation des nationalen Widerstands gehörte, erzählt im Interview mit der Deutschen Welle. "Ich war damals Adjutant im Bataillon 54, einer mobilen Einheit, die schnell verlegt werden konnte. Als wir den Befehl bekommen haben, nach Dien Bien Phu zu gehen, habe ich mich gefreut, gegen den Feind zu kämpfen."
Wochenlange Belagerung
Tran Thinh kämpfte unter anderem auf dem Hügel "A1", der bei den Franzosen "Eliane" hieß. Der französische Kommandierende Oberst Charles de Castries hatte allen zentralen Befestigungen in Dien Bien Phu Frauennamen gegeben, um die Kampfmoral seiner Männer anzustacheln. "Eliane" war das französische Hauptquartier und es galt als uneinnehmbar. "Die Aufgabe meiner Einheit war eigentlich, die Verwundeten und Toten zu bergen, damit sie hinter der Front im Lazarett versorgt werden konnten", erzählt Tran Thinh. "Aber auf dem Hügel A1 waren die Kämpfe so heftig, dass alle meine Männer bald tot oder verletzt waren. Nur vier von zwanzig überlebten. Da wir die Verletzten im Kugelhagel nicht wegschaffen konnten, wurde mir schließlich befohlen mit sieben neuen Soldaten den Hügel A1 zu verteidigen. Wir haben zwei Nächte und einen Tag ohne Pause gekämpft."
Die Schlacht dauerte insgesamt 57 Tage. Die Franzosen hatten die Fähigkeiten der Vietnamesen und ihres Befehlshabers Vo Nguyen Giap in vielerlei Hinsicht unterschätzt. So war es ihnen weder gelungen, die vietnamesische Artillerie auszuschalten, noch die Versorgung der eigenen Truppen aus der Luft in ausreichendem Maße aufrechtzuerhalten. Nach dem Ende der Schlacht am 7. Mai 1954 waren über 10.000 Tote zu beklagen, 2.300 auf französischer und fast 8.000 auf vietnamesischer Seite.
Der Preis war es wert, ist Tran Thinh überzeugt, auch wenn sich in seine Erinnerungen Traurigkeit und Nachdenklichkeit mischen: "Die Bedeutung von Dien Bien Phu kann nicht überschätzt werden. Es war die totale Niederlage des französischen Kolonialismus und der entscheidende Schritt für die Unabhängigkeit Vietnams." Nur fünf Tage nach dem Sieg in Dien Bien Phu wurde Tran Thinh in eine andere Provinz verlegt, um den Kampf gegen die Franzosen in einem anderen Teil Vietnams fortzusetzen. Aber im Grunde war der Widerstand der Franzosen nach Dien Bien Phu gebrochen. Es ging nur noch darum, den Druck aufrechtzuerhalten.
Deutsche Legionäre
Auf Seiten der Franzosen kämpften in Dien Bien Phu auch etwa 1600 deutsche Fremdenlegionäre. Bis zu 35.000 Deutsche waren nach dem Zweiten Weltkrieg der Fremdenlegion beigetreten, wie Eckard Michels, Historiker an der Birkbeck Universität in London, im Interview mit der Deutschen Welle erläutert. "Damals war es für jeden Fremdenlegionär Pflicht, zwei Jahre in Indochina zu dienen. Paradoxerweise hat der Krieg in Indochina die Deutschen aber nicht abgeschreckt, sondern eher angezogen. Damit verbunden war der Mythos des Exotischen und des abenteuerlichen Lebens." Nicht zuletzt war Indochina im Vergleich mit Nordafrika besser bezahlt, und die Legionäre durften Kontakt zu einheimischen Frauen aufnehmen.
Die überwiegende Zahl der Legionäre war unter 25 Jahre alt. "Sie kamen häufig aus Elternhäusern, die durch den Zweiten Weltkrieg zerrüttet waren, oder aus Flüchtlingsfamilien. Viele waren in Lagern aufgewachsen oder arbeitslos", sagt Michels. Das besonders viele Nazis oder SS-Angehörige in der Fremdenlegion gewesen seien, müsse man allerdings ins Reich der Legenden verweisen. Das hätte es in Einzelfällen gegeben, aber "die Franzosen wollten keine deutschen Nazis in der Fremdenlegion, weil man Angst hatte, dass sie die Legion unterwandern würden. Genauso wenig wollte man überzeugte Kommunisten."
Das Schicksal der Deutschen
Die deutschen Fremdenlegionäre kamen wie alle anderen Soldaten nach der Niederlage von Dien Bien Phu in Gefangenschaft. Von den insgesamt 7000 Gefangenen überlebten nur 2000. Was, wie der Historiker Michels erläutert, vor allem an der katastrophalen medizinischen Versorgung und der schlechten Ernährung gelegen hätte. Die meisten Vietnamesen hätten selbst oft nicht genug zu essen gehabt.
Später sei ein kleiner Teil der deutschen Gefangenen über China in die DDR repatriiert worden, wie Michels erläutert. Die meisten deutschen Fremdenlegionäre seien aber regulär nach Frankreich zurückverlegt und fast alle sogleich in den Algerienkrieg geschickt worden.
Ein ganzer Sieg, ein halber Gewinn
Marc Frey, Historiker an der Universität der Bundeswehr in München, ordnet die Schlacht von Dien Bien Phu historisch für die Deutsche Welle ein: "Militärgeschichtlich war Dien Bien Phu ein herausragendes Ereignis, weil es der erste Sieg einer Rebellenarmee gegen eine technisch überlegene, nach westlichen Standards kämpfende Armee war." Das habe Menschen auf der ganzen Welt elektrisiert und mobilisiert, so etwa auch in Algerien.
Dien Bien Phu war außerdem ein "Puzzlestück im Kalten Krieg", wie Frey sagt. Auf der Indochina-Konferenz in Genf verhandelten die beiden Kriegsparteien Frankreich und die Demokratische Republik Vietnam, sowie die USA, China, Großbritannien, die Sowjetunion, Vietnam, Laos und Kambodscha über das künftige Schicksal Vietnams. Der Sieg in Dien Bien Phu hatte die Position Vietnams sehr gestärkt, dennoch wurde das Land auf Beschluss der Konferenz entlang des 17. Breitengrads in einen kommunistischen Norden und einen inoffiziell von den USA unterstützten Süden geteilt. Zur Ruhe kam Vietnam dadurch nicht. Denn das "Genfer Abkommen" legte durch die Teilung den Grundstein für den "amerikanischen Krieg", wie der Vietnamkrieg im Land selbst noch heute heißt. Er brach bereits 1955 aus.
Zusätzliche Hintergrundinformationen
- Eckard Michels: Deutsche in der Fremdenlegion 1870-1965. Mythen und Realitäten. Paderborn: Schöningh 2006.
- Marc Frey: Geschichte des Vietnamkriegs: Die Tragödie in Asien und das Ende des amerikanischen Traums. München: C.H.Beck 2006.