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Politik

Wendet Spanien sich gegen Flüchtlinge?

Santiago Saez (Madrid) ehl
5. August 2018

Zehntausende Migranten, die nach Spanien kommen, sind eine Herausforderung für die linke Minderheitsregierung. Bisher heißt sie die Flüchtlinge willkommen. Doch es droht Gefahr von rechts. Aus Madrid Santiago Saez.

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Spanien | Hunderte Migranten stürmen spanische Exklave Ceuta
Bild: Reuters/Reuters TV

Nach nicht einmal zwei Monaten im Amt erlebt Spaniens Premierminister Pedro Sanchez seine erste größere politische Krise. Hunderte afrikanische Migranten haben in der vergangenen Woche in Nordafrika den Grenzzaun der spanischen Enklave Ceuta überwunden. Und die dramatischen Bilder dieser Aktion haben die öffentliche Meinung ins Wanken gebracht. Laut der Guardia Civil wurden 22 Polizisten bei der Aktion verletzt, die damit endete, dass 602 Menschen erfolgreich spanischen Boden erreichten.

Gleichzeitig kommen in diesem Sommer überdurchschnittlich viele Menschen mit Schlauchbooten über die Straße von Gibraltar: Mehr als 22.000 Flüchtlinge sind bisher laut spanischem Innenministerium illegal aus Afrika nach Spanien eingereist. Das Sommerwetter und die Schließung der Mittelmeerrouten nach Griechenland und Italien gelten als Hauptursachen für diesen Anstieg.

Sanchez unter Beschuss

Die Krise kommt für Pedro Sanchez und seine Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Am 27. Juli musste seine Minderheitsregierung einen herben Schlag wegstecken, als das Parlament den Vorschlag seiner Partei für eine Schuldenobergrenze ablehnte. Die meisten Parteien, die Sanchez per Misstrauensvotum gegen seinen Vorgänger Mariano Rajoy ins Amt brachten, hatten sich enthalten und Sanchez so seine erste Niederlage zugefügt.

Beobachter erwarten zwar nicht, dass die Unterstützung der Minderheitsregierung durch die Migrationsfrage ins Wanken gebracht werden könnte. Einfacher dürfte es für den Ministerpräsidenten in der nächsten Zeit dennoch nicht werden: "Die Regierung ist in einer schwachen Ausgangslage, weil die Parteien, auf die Sanchez bei jeder Initiative angewiesen ist, sehr verschieden sind", sagte der Politikwissenschaftler José Fernandez-Albertos vom Obersten Rat für wissenschaftliche Forschung (CSIC). "Trotzdem sollte dieses Thema nicht schwierig zu verhandeln sein, selbst wenn es unerwartete Wendungen gibt."

Spanien | Pedro Sanchez
Regierungschef Sanchez: Herber Schlag am 27. JuliBild: Reuters/R. Marchante

Die Journalistin Cristina Fallaras macht deutlich, dass die Regierung weniger Probleme mit ihren Partnern hat als mit der Opposition, die versuchen dürfte, politisches Kapital aus dem Thema zu schlagen. Nach Fallaras Ansicht befindet sich Sanchez in einer Zwickmühle: "Die Regierung hadert, ob sie eine härtere oder weichere Linie fahren soll. Ich glaube, bei dieser Entscheidung kann sie nur verlieren."

CSIC-Experte Fernandez-Albertos denkt, dass Migration für Spanien langfristig sogar nützlich sein kann. Die dramatischen Bilder aus Ceuta belasten jedoch kurzfristig das kollektive Bewusstsein der Spanier. "Die Menschen sehen im Fernsehen, wie die öffentliche Ordnung in Städten und an Stränden, die sie kennen, gestört wird. Sie sehen überforderte Polizisten, die nicht wissen, wie ihnen geschieht. Sie erwarten, dass die Kontrolle zurückerlangt wird."

Auch wenn die Zahl derer, die ins Land kommen, klein sei: Ihre Sichtbarkeit in den Medien sei sehr hoch. Das könne die Debatte verändern, so die Einschätzung von José Fernandez-Albertos. Der Vorfall in Ceuta könnte also die Politik der offenen Arme beenden, die die Regierung mit der Aufnahme der 630 Flüchtlinge vom Rettungsschiff "Aquarius" im Juni begonnen hat, nachdem Italien dem Schiff die Einfahrt verweigert hatte.

"Die PSOE weiß, dass ihre Wähler relativ alt sind und häufig einer Politik der offenen Grenzen misstrauen. Sie weiß, dass ihre politischen Gegner das Thema bereits ausnutzen", sagt Luis Cornago, ein unabhängiger Analyst mit dem Schwerpunkt Rechtspopulismus.

Wettstreit im rechten Lager

Währenddessen nahm der neu gewählte Präsident der konservativen Volkspartei, Pablo Casado, eine klar migrationsfeindliche Haltung ein. Der Chef der größten Oppositionspartei twitterte, "Millionen" Afrikaner warteten auf eine Überfahrt nach Europa. "Nicht alle können Papiere bekommen", schrieb er, "das müssen wir sagen, auch wenn es politisch inkorrekt ist." Drei Tage später reiste Casado in den Süden und wurde dabei fotografiert, wie er Einwanderern die Hände schüttelte.

In der Meerenge von Gibraltar gerettete Flüchtlinge bei der Ankunft in Südspanien
Gerettete Flüchtlinge bei der Ankunft in Südspanien im Juli: Mehr als 22.000 illegal EingereisteBild: picture alliance/CITYPRESS 24/f. Passolas

Casados Tweet wurde sofort aufgegriffen vom anderen wichtigen Anführer der spanischen Rechten, dem Chef der liberalen Ciudadanos-Partei, Albert Rivera. Rivera reiste am Montag nach Ceuta, wo er der Regierung vorwarf, eine "Sogwirkung" auszulösen.

Rechtspopulismusexperte Luis Cornago sieht in der Bevölkerung flüchtlingsfeindliche Tendenzen und geht davon aus, dass die rechten Parteien, besonders die Volkspartei, diese ausnutzen wollen. Er glaubt, ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung fürchte einen stärkeren Wettkampf um wirtschaftliche Ressourcen. "Das Thema eignet sich für politische Stimmungsmache."

Cristina Fallaras stimmt zu: Die Opposition orientiere sich an der harten Linie des italienischen Innenministers Matteo Salvini, um Wählerstimmen zu gewinnen. Sie glaubt, dass Casados Stellungnahme nur der jüngste Schritt einer längeren Entwicklung ist. "Jetzt liefern sich Ciudadanos und die Volkspartei einen offenen Wettkampf um rechte Wähler."

Journalistin Fallaras sagt, die Heftigkeit der Debatte sei nicht abzusehen gewesen. "Niemand hätte mit solcher Fremdenfeindlichkeit gerechnet." Sie falle zusammen mit dem Aufkommen zweier anderer rechter Botschaften: der neuerlichen Verehrung des Diktators Franco und einer sexistischen Gegenreaktion auf Feminismus. "Wenn jemand mit solchen Positionen beim Wähler punktet, geraten Dinge ins Rollen, die nicht zu stoppen sind."

Über die Straße von Gibraltar