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Weniger Innovation trotz KI

28. Mai 2024

Die Fortschritte in der KI-Entwicklung sind atemberaubend. Die großen Tech-Unternehmen präsentieren immer neue KI-Sprachmodelle. Doch für wahre Innovation fehlt den Modellen ein entscheidender Faktor.

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Symbolbild Künstliche Intelligenz
Riesige Datenberge sind der Rohstoff für InnovationenBild: Science Photo Library/imago

Innovationen durch Träumen. Schön wär's, möchte man meinen. Aber genau das ist enorm wichtig, um innovativ zu sein, sagt der Informationswissenschaftler Viktor Mayer-Schönberger. Und genau das sei auch der Grund, warum Künstliche Intelligenz den Menschen nicht das Wasser reichen könne.

"Wir Menschen können uns Dinge vorstellen, die es noch nicht gibt", so Mayer-Schönberger, der an der Universität Oxford forscht. KI sei zwar mit riesigen Datenmengen trainiert worden, das seien aber Daten aus der Vergangenheit. Sie würden spiegeln, was wir aus der Vergangenheit für die Gegenwart lernen können. "KI kann für uns Erkenntnisse, die sich aus den gesammelten Daten ergeben, leichter zugänglich machen, aber sie denkt sich nichts Neues aus", sagt der Informationswissenschaftler im DW-Gespräch (das komplette Interview finden Sie am Ende des Artikels) .

Wenn also die Gegenwart oder die Zukunft ganz anders ist als die Vergangenheit, dann hilft uns die KI nicht, die richtigen Lösungen zu finden. Wenn die Menschen in der Zeit von Henry Ford gefragt worden wären, was sie gerne möchten, hätten die meisten wohl geantwortet: 'ein schnelleres Pferd', also eine Lösung aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Ein Auto mit Verbrennungsmotor zu entwickeln war aber eine Innovation, die sich nicht logisch aus der Vergangenheit ergeben hat.

Henry Ford, sein Sohn Edsel und seine Frau Clara fahren in dem neuesten Ford-Automobil auf einer Landstraße in Michigan spazieren.
Von der Pferdekutsche zum Auto war eine disruptive InnovationBild: TelePress/United Archives/picture alliance

"Wir leben in wenig innovativen Zeiten"

Die KI ist damit ein Werkzeug, um große Datenmengen auszuwerten und um die Effizienz zu steigern, vor allem in Zeiten wirtschaftlich ruhigen Fahrwassers. Wir leben allerdings nicht in stabilen Zeiten. Die Herausforderungen, die sich durch den Klimawandel ergeben, erfordern darüber hinausgehende Innovationen. Ausgerechnet in dieser Zeit habe sich aber die Innovationskraft und Innovationsgeschwindigkeit verlangsamt, beklagt Mayer-Schönberger. Trotz der rasanten Fortschritte im Bereich KI.

Dass sich das Produktivitätswachstum in den USA verlangsamt hat, haben auch Ufuk Akcigit von der University of Chicago und Sina T. Ates vom Federal Reserve Board beobachtet. In den USA habe sich die Innovationsdynamik in Unternehmen seit den 1980er Jahren und, was noch auffälliger ist, seit den 2000er Jahren vermindert, so die beiden Wissenschaftler.

Sie führen das auf den zu geringen Wettbewerb zwischen den führenden Unternehmen und ihren Konkurrenten zurück. Das liege auch daran, dass Wissen nicht genügend geteilt werde. So könnten Nachzügler nicht von den Fortschritten der Pionierunternehmen lernen und selber wachsen. Dadurch würde außerdem zu wenig Wettbewerbsdruck auf die Großen ausgeübt, die ohne die Konkurrenz im Nacken weniger Anreize hätten, selbst innovativ zu sein.

Daten als Rohstoff für Innovationen

Beim Thema 'Wissen teilen' geht es vor allem um Daten. Große Datenmengen lassen sich mit Hilfe von KI zunehmend gut auswerten. Es werden immer mehr Daten gesammelt, heißt es beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Von 2012 bis 2022 hat sich demnach das weltweit generierte Datenvolumen verzehnfacht. Bis 2025 soll es sich nochmals verdreifachen.

Und hier kommen die großen Digitalkonzerne wie Google, Amazon oder Facebook ins Spiel. Als Pionierunternehmen sammeln sie Unmengen an Daten, werden durch diese Daten effizienter, halten sie aber gleichzeitig unter Verschluss.

"Zwar haben die großen Digitalkonzerne den Ruf, digitale Pioniere zu sein, aber tatsächlich verlangsamen sie Innovationsprozesse und Fortschritt, weil sie die Daten für sich behalten", so der Informationswissenschaftler Mayer-Schönberger. Andere Unternehmen, aber auch Institutionen, wissenschaftliche Einrichtungen oder die Zivilgesellschaft haben keinen oder nur geringen Zugriff auf diese Daten. 

Ausrangierte gelbe und magenta- und weißfarbene Telefonzellen stehen auf einem Hof
Mit der Erfindung von Smartphones hatten alten Telefone ausgedient. Auch Telefonzellen wurden überflüssigBild: Olaf Wagner/IMAGO

Oligopolstrukturen verfestigen

Und wenn doch mal andere Unternehmen Innovationen hervorbringen, werden sie häufig von den Großen geschluckt. Einfach, um den Wettbewerb weiter auf Abstand zu halten, wie Mark A. Lemley und Andrew McCreary von der Stanford University gezeigt haben.

Vor 20 Jahren seien mehr als drei Viertel der erfolgreichen Start-ups im Silicon Valley an die Börse gegangen, sagt Mayer-Schönberger. Heute würden drei Viertel der Startups aufgekauft von den großen Plattformen, Google, Facebook etc.

Diese Konzentration beeinträchtigt nicht nur das Innovationstempo, sie stellt auch ein systemisches Risiko dar, sagt Mayer-Schönberger. Er vergleicht das mit dem Fahren auf der Autobahn. Wenn dort die Bremsen eines Autos nicht funktionieren, ist das schon ungünstig. Wenn aber die Bremsen aller anderen Autos gleichzeitig nicht funktionieren, weil es nur noch eine Sorte Auto gibt, führt das zur Krise.

Großaufnahme einer Glühbirne mit goldenem Glühfaden vor schwarzem Hintergrund
Die Glühbirne machte schnell die Nacht zum Tag und löste Kerzen und Petroleumlampen abBild: picture-alliance/AFP Creative

Lösung liegt in der Politik

Das Dilemma lasse sich auflösen, wenn die Politik dafür sorgt, dass Daten freier zugänglich sind. "Es gibt kein Eigentumsrecht an Daten", sagt Mayer-Schönberger. Das Recht am geistigen Eigentum, der Urheberschaft oder das Patentrecht seien Verfügungsrechte, die für bestimmte Werke gelten, die hergestellt wurden, also Ergebnisse menschlichen Denkens sind. An Daten könne man dagegen kein Eigentum begründen, sagt Mayer Schönberger.

Die EU habe mit dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act den Schritt in die richtige Richtung gemacht, so Mayer-Schönberger. Es ließe sich aber auch noch mehr auf nationaler Ebene tun. 

Um Innovationen zu fördern, müsse zudem das Bildungssystem anders strukturiert werden, so Mayer-Schönberger. Und zwar so, dass die nächste Generation viele Anreize bekommt, zielgerichtet zu träumen. "Es geht nicht darum, ein Gedicht aus dem 19 Jahrhundert auswendig zu lernen, sondern es geht darum, die Welt mit anderen Augen zu sehen", so Mayer Schönberger. "Wir brauchen also nicht stromlinienförmige, fleißige Ameisen, sondern wir brauchen die unbequemen Querdenker."

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion