Atheismus ist lebensgefährlich
19. Dezember 2018In Bangladesch stand sein Name auf der Todesliste. Nachdem fünf seiner Freunde und Mitstreiter ermordet worden waren, warnten die Behörden den Blogger: "Wir können nichts mehr für Dich tun." 2015 musste Mahmudul Haque Munshi sein Land verlassen.
Er floh zunächst nach Nepal, dann nach Sri Lanka, und dann nach Deutschland. Als er schließlich in einem Auffanglager für Flüchtlinge in Detmold eintraf, traute er seinen Augen nicht: Einige der Bewohner stammten ebenfalls aus Bangladesch und waren auf ihn alles andere als gut zu sprechen.
"Neulich habe ich auf meiner Facebook-Seite an einem einzigen Tag 4500 Todesdrohungen bekommen", sagt er. Damit nicht genug: Munshis Name steht mittlerweile auf einer sogenannten "Global Hit List", auf der die Namen von geflüchteten Bengalen im Ausland verzeichnet sind, die umgebracht werden sollen.
Angst vor Allah
Mahmudul Haque Munshi wird von der Säkularen Flüchtlingshilfe betreut. Er gehört zu den 37 religionsfreien anerkannten Asylberechtigten, die die Organisation seit November 2017 unterstützt hat. Und es werden täglich mehr.
Die Angst vor dem Tod begleitet viele Flüchtlinge bis nach Deutschland. Immer wieder sind die ehrenamtlichen Betreuer der Säkularen Flüchtlingshilfe, auch bekannt als "Atheist Refugee Relief", damit beschäftigt, insbesondere Frauen vor einer weiteren Verfolgung hier in Deutschland zu schützen.
"Konservative Muslime kritisieren Frauen, die ohne Kopftuch rumlaufen", sagt Betreuer Dittmar Steiner von der Säkulären Flüchtlingshilfe: "Wir haben es tatsächlich mit Übergriffen, Ausgrenzung, Bedrohungen und Gewalt zu tun."
Die Irakerin Worood Zuhair hat dies am eigenen Leib erfahren. Die Biologin aus der Stadt Kerbela erhält Morddrohungen und steht unter Polizeischutz. "Wir kommen in einer halben Stunde vorbei und bringen Dich um", bedrohte sie kürzlich eine männliche Stimme am Telefon. Sie solle aufhören, den Nahen Osten mit ihren säkulären Posts zu provozieren.
Bis heute plagen die 31-Jährige extreme Rücken- und Beinschmerzen. Denn sie wurde von ihrem Bruder so lange verprügelt, bis sie das Bewusstsein verlor. Der Grund: Sie hatte ohne väterliche Erlaubnis das Haus verlassen und Zweifel an ihrem muslimischen Glauben erkennen lassen.
Dem Todesengel anvertraut
Die physischen und seelischen Misshandlungen haben bei ihr tiefe Traumata hinterlassen. "Wenn Dein eigener Vater Deine Seele dem Todesengel Azrael übergibt, dann ist das enorm schmerzhaft", sagt sie im DW-Gespräch: "Er hat es so oft getan. Ich konnte es nicht mehr ertragen."
Mittlerweile ist Worood Zuhair als Flüchtling anerkannt. Sie schafft es, über ihre Leidensgeschichte zu sprechen und sich für andere Frauen einzusetzen, die ebenfalls Gewalt erfahren haben. Sie unterstützt die Arbeit der Frauenrechtsorganisation "Organization of Women's Freedom in Iraq" (OWFI). Und sie arbeitet mit der Menschenrechtlerin Mina Ahadi vom "Zentralrat der Ex-Muslime" zusammen.
Die Biologin Worood Zuhair aus dem Irak und der Blogger Mahmudul Haque Munshi aus Bangladesch gehören zu der Gruppe von Flüchtlingen, die wegen ihres Abfalls vom islamischen Glauben verfolgt wurden und werden. Für beide war ihr Hadern mit Gott eine Frage von Leben und Tod.
Kampf gegen Kriegsverbrecher
Blogger Munshi zog den Zorn der Islamisten auf sich, als er 2013 in Bangladesch die Shahbag-Bewegung gründete. Die Bewegung forderte die Bestrafung der Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen aus dem Jahr 1971. Damals kämpfte Bangladesch für seine Unabhängigkeit gegen Pakistan. Während des Kriegs starben rund drei Millionen Menschen.
In seiner Heimat war Munshi ein Star. 500.000 User folgten ihm auf seinem Blog, eine Million Menschen gingen auf die Straße, als sein Netzwerk "Blogger online activist network” zu Protesten aufrief. "Es war wunderbar, ein Traum”, sagt Munshi, und seine Augen leuchten.
Doch der Traum verwandelte sich in einen Albtraum. Mit den Massendemos kamen die Morddrohungen. Die Bewegung sei unislamisch, ihre Anführer Atheisten, argumentierten die Gegner. Eine systematische Jagd auf Munshi und die Anführer des "Shahbag Movement" begann.
Atheisten, eine wachsende Minderheit
Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht: Der Kampf der atheistischen Flüchtlinge ist kein Kampf gegen den Islam. Es ist ein Kampf für Freiheit von Religion. Ein Kampf für das Recht, Lehren und Traditionen hinterfragen zu können. Ein Kampf für Frauen- und Minderheitenrechte, für das Recht, ein Leben ohne religiöse Vorschriften führen zu können.
Noch sind Atheisten eine Minderheit. Laut dem "Global Index of Religion and Atheism”, eine Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2012, bezeichnen sich weltweit 13 Prozent der Bevölkerung als Atheisten. In Saudi-Arabien und den USA beträgt der Anteil fünf Prozent, in Deutschland bezeichnen sich dieser Statistik zufolge 15 Prozent als Atheisten, in China 47 Prozent.
In der deutschen Flüchtlingspolitik wird die Gruppe der Atheisten kaum beachtet. "Die Herkunft aus einem bestimmten Land oder ein bestimmter Fluchtgrund, zum Beispiel Religionszugehörigkeit oder Atheismus, führen nicht automatisch zu einem Schutzstatus”, heißt es in einer Auskunft des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Der erste Fall, in dem Atheismus als Fluchtgrund vom BAMF anerkannt wurde, betraf den iranischen Kameramann Siamak Zare. Nach einer langen gerichtlichen Auseinandersetzung wurde er im April 2010 offiziell als Flüchtling anerkannt und gilt damit als erster Fall, in dem religiöse Verfolgung nicht-religiöser Menschen von staatlicher Seite als Asylgrund akzeptiert wurde.
Bisher wird der juristische und politische Kampf für die Anerkennung von Atheismus als Asylgrund hauptsächlich von Stiftungen vorangetrieben, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Dazu gehören die Giordano-Bruno-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung und die US-amerikanischen Organisationen "Freedom from Religion Foundation” und "Freedom House”.
Auf parteipolitischer Ebene verläuft die Lobbyarbeit hierzulande eher zäh. So jedenfalls sehen es der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und die Säkulare Flüchtlingshilfe. Der ehrenamtliche Betreuer Dittmar Steiner ist überzeugt, dass sich dies ändern wird. "Die Zahl der Betroffenen nimmt zu", sagt er. "Vor einem Jahr waren es zwei bis drei Anfragen pro Woche, jetzt sind es zwischen sieben und neun pro Tag."