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Die Pleite als Chance

28. Dezember 2009

Die Krise hat 2009 viele deutsche Unternehmen in die Insolvenz getrieben. Insgesamt wurden fast 35.000 Firmenpleiten registriert - ein Plus von 16 Prozent. Eine Insolvenz muss aber nicht das Ende bedeuten.

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Scrabble-Buchstaben: INSOLVENZ (Foto: picture alliance/zb)
Wenn ein Unternehmen nicht mehr flüssig ist, droht die ZahlungsunfähigkeitBild: picture-alliance / ZB

Manchmal gibt es einfach nichts mehr zu retten. Im Mai 2009 traf diese Erkenntnis die Mitarbeiter der Warenhauskette Hertie. Kein Jahr dauerte es vom Insolvenzantrag bis zum endgültigen Scheitern. Dabei hatten die neuen Eigentümer von Hertie alles besser machen wollen, als sie den alten, traditionsreichen Namen im Frühjahr 2007 neu belebten.

Hoffnungsvoller Start in eine neue Ära

Der damalige Hertie-Chef Kay Hafner mit dem neuen Logo (Archivfoto: AP)
Hatte große Pläne: Ex-Hertie-Chef Kay Hafner (links)Bild: AP

"Wir sind auf einem guten Wege, ein komplett neues Unternehmen aus der Taufe zu heben und auf die Reise zu schicken", erklärte Kay Hafner, der Chef der neuen Hertie-Kaufhäuser damals. Knappe eineinhalb Jahre lag die Übernahme der kleinen Karstadt-Filialen zu diesem Zeitpunkt zurück. Karstadt wollte sich auf seine großen Häuser konzentrieren und hatte die kleineren Läden an den britischen Finanzinvestor Dawnay Day verkauft. Der musste nun einen neuen Namen für die gut 70 Warenhäuser suchen, die anfangs noch "Karstadt Kompakt" hießen. Der Name "Hertie" sollte Erinnerungen wecken und an alte Traditionen anknüpfen.

Doch die Aufbruchstimmung war schnell verflogen. Das böse Erwachen kam gut ein Jahr nach dem Namenswechsel. Die neue Hertie-Mutter Dawnay Day geriet in den Strudel der Finanzkrise und riss die deutsche Kaufhauskette mit. Der 31. Juli 2008 wurde schließlich zum Tag, der über das Schicksal von Hertie entscheiden sollte - der Tag, an dem Hertie Insolvenz anmelden musste.

Viel Arbeit für den Insolvenzverwalter

Hertie-Insolvenzverwalter: Biner Bähr (Foto: dpa)
Hertie-Insolvenzverwalter: Biner BährBild: picture-allianc/dpa

"Es war wie immer bei einem großen Unternehmen, so etwas kündigt sich schon ein paar Tage vorher an", erzählt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Biner Bähr. An einem Freitagmittag habe ihn der Insolvenzrichter angerufen und gefragt, ob er bereit sei, den Fall zu übernehmen. "Insofern wusste ich, wie mein Wochenende aussehen wird, nämlich gekennzeichnet von Arbeit im Unternehmen."

Der Düsseldorfer Anwalt hat sich auf Insolvenzen spezialisiert. Hunderte Verfahren hat er schon abgeschlossen. Auch bei Hertie war er anfangs zuversichtlich. "Ich wusste schon, dass da ein großer Brocken vor mir liegt", erinnert sich Bähr. Nach Gesprächen mit Lieferanten, Mitarbeitern und Banken sei er aber optimistisch gewesen, dass Hertie zu retten sei.

Die Einsicht, dass es für Hertie keine Zukunft mehr gibt, sei ihm erst viel später gekommen, erzählt der Insolvenzverwalter. Immer wieder habe der britische Hertie-Eigentümer, die Investorengruppe Dawnay Day, mögliche Investoren abgelehnt. Im Mai 2009 sei dann schließlich klar geworden, dass die Warenhauskette nicht mehr zu retten ist.

Erst Wehmeyer, dann Hertie, dann SinnLeffers

Dabei war Hertie kein Einzelfall. Wenige Wochen vor der Kaufhauskette hatte Anfang Juli 2008 auch das Bekleidungsunternehmen Wehmeyer Insolvenz angemeldet, wenige Tage nach Hertie die Textilkette SinnLeffers. Beide waren wie Hertie ehemalige Töchter von Karstadt, die der Essener Handelskonzern wenige Jahre zuvor verkauft hatte.

Doch die drei Fälle unterscheiden sich erheblich. Bei Wehmeyer zum Beispiel wurde jede dritte Filiale geschlossen - aber immerhin 23 Geschäfte blieben erhalten, und mit ihnen rund 500 Arbeitsplätze. Fast auf den Tag genau vier Monate nach dem Insolvenzantrag war das Insolvenzverfahren bereits beendet. Ähnlich lief es bei SinnLeffers: Jede zweite Filiale wurde geschlossen, das Unternehmen selbst überlebte aber.

"Insolvenz ist immer eine Option"

Insolvenzverwalter Frank Kebekus (Foto: EUROFORUM/C. Meyer)
Insolvenzverwalter Frank KebekusBild: EUROFORUM/C. Meyer

Die Insolvenz - ein Todesurteil oder eine Chance für ein Unternehmen? Sie kann beides sein, meint Frank Kebekus, Insolvenzanwalt aus Düsseldorf und Sprecher des Gravenbrucher Kreises, in dem sich führende deutsche Insolvenz-Kanzleien zusammengeschlossen haben. "Ich sage nicht, dass eine Insolvenz immer das richtige Mittel ist. Aber es ist zumindest immer eine Option", sagt Kebekus. Die Diskussion darüber dürfe nicht so stark emotionalisiert werden. Zwar kann eine Insolvenz wie im Fall Hertie das endgültige Aus für ein Unternehmen bedeuten - sie muss es aber nicht.

Dass es auch ganz anders laufen kann, zeigt der Fall des Düsseldorfer Malerbetriebs Josef Kenning GmbH. Der Betrieb liegt mitten in einem Wohngebiet, im Hinterhof eines Mehrfamilienhauses. Verteilt über drei Etagen: Lager im Keller, Werkstatt im Erd- und Büros im Obergeschoss.

In dritter Generation hat Michael Kenning die Führung bei dem Unternehmen übernommen, das sein Großvater gegründet hatte. Ein typisches Familienunternehmen - allerdings mit einer Besonderheit: Das Sagen hat bei der Josef Kenning GmbH der Insolvenzverwalter - und zwar schon seit Jahren, nämlich seit Juni 2002. Damals kam alles zusammen: Die Aufträge brachen ein, Pensionszusagen des Firmengründers aus besseren Tagen wuchsen dem Unternehmen über den Kopf. Schließlich führte kein Weg mehr an der Insolvenz vorbei.

"Insolvenzantrag war ein schlimmes Gefühl"

Symbolbild leere Taschen
Bitterer Moment für einen Unternehmer

Kenning wirkt nachdenklich, seine Stimme wird leiser, wenn er zurückblickt. "Es war ein schlimmes Gefühl", erinnert sich der Malermeister. "Zum Amtsgericht hinzugehen und diesen Antrag zu stellen ist schon eine schlimme Sache." Die Zukunft sei völlig ungewiss gewesen, er selbst und seine Mitarbeiter waren am Boden. "Es ist es so eine finale Lösung: Wir machen jetzt Insolvenzantrag und jetzt ist Schluss."

Als Insolvenzverwalter setzte das Amtsgericht Biner Bähr ein - denselben Anwalt, der Jahre später die Kaufhauskette Hertie durch die Insolvenz führen sollte. Die Situation sei nicht hoffnungslos gewesen, als er zum ersten Mal mit seinem Team die Bücher des Malerbetriebs wälzte, erzählt Bähr. "Es war zum Glück nicht so, wie man es manchmal als Insolvenzverwalter vorfindet, dass ein Unternehmen total gegen die Wand gefahren ist, sondern der Antrag war hier frühzeitig gestellt worden und somit konnte man noch etwas machen."

Insolvenz wird zum Neubeginn

Harte Einschnitte waren nötig, um den Malerbetrieb zu retten. Sie betrafen vor allem die Beschäftigten: Die Stammbelegschaft wurde von mehr als 50 auf gut 20 verkleinert, die Arbeitszeit flexibilisiert. Die Veränderungen haben sich ausgezahlt: Die Geschäfte bei dem Düsseldorfer Malerbetrieb laufen inzwischen wieder, und zwar so stabil, dass das Unternehmen nun abschließend saniert werden soll.

Wenn das gelingt, bleibt der Malerbetrieb in Familienhand, und Michael Kenning kann wieder als geschäftsführender Gesellschafter die Tradition seines Vaters und seines Großvaters fortführen. Kenning hat seine Einstellung zur Insolvenz inzwischen geändert. "Eine Insolvenz ist eigentlich eine Chance, ein Neubeginn, und nicht wie man früher dachte Insolvenz ist ein Ende."

Autor: Frank Wörner
Redaktion: Martin Schrader