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Borschtsch und Tworog als Feindbild

Tatjana Schweizer
10. März 2022

Nach Sanktionen gegen Russland kommt es in Deutschland vermehrt auch zu privaten Boykotten. Viele Läden verbannen russische Waren. Doch manchmal trifft es die Falschen.

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Russische Lebensmittel des Herstellers Dovgan
Bild: Dovgan

In der Abteilung Russische Küche eines Edeka-Supermarktes im westfälischen Minden sind nur leere Regale zu finden. Ein Blatt Papier mit einer blau-gelben Landkarte der Ukraine erklärt: "Aufgrund des derzeitigen Kriegsgeschehens in der Ukrainewerden russische Produkte nicht mehr nachbestellt."

Aus Solidarität mit der Ukraine haben viele Lebensmittelhändler auf russische Produkte verzichtet. Doch unter 'russisch' fallen in manchen Läden anscheinend einfach alle Spezialitäten der osteuropäischen Küche, auch wenn sie gar nicht aus Russland kommen.

Betroffen davon ist auch die Marke Dovgan. Das Unternehmen mit Sitz in Hamburg liefert seit fast 25 Jahren osteuropäische Spezialitäten an deutsche Supermärkte. Die meisten Produkte werden in Europa unter dem Markennamen hergestellt, weniger zehn Prozent des bisherigen Sortiments kamen laut Geschäftsführer Andre Kowalew aus Russland. Gleich nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat die Geschäftsführung entschieden, auf diese Waren zu verzichten, um ein Zeichen zu setzen.

Transparenz soll helfen

Auch auf seiner Web-Seite und in Social Media positioniert sich Dovgan gegen den Krieg. Doch für manche ist allein die kyrillische Schrift Grund genug, um die Waren nicht mehr weiter zu bestellen. "Manche haben es so begründet, dass die Verpackung unserer Taschkis 'zu rot' sei. Es fing eine irrationale Jagd auf Produkte an", sagt Kowalew.

Andre Kowalew zeigt Verständnis für die Ablehnung der aus Russland stammenden Produkte, hat er diese doch auch selbst boykottiert. Um mit den anderen Lebensmitteln auf dem deutschen Markt zu bleiben, kümmerte er sich um Transparenz und informierte seine Geschäftspartner über die Herkunft aller Produkte.

Nationalgericht in Russland und der Ukraine: Borschtsch
Nationalgericht in Russland und der Ukraine: Borschtsch Bild: picture-alliance/dpa/J. Eisele

Dank der Aufklärung haben die meisten Filialen tatsächlich nur die in Russland produzierten Waren aus Regalen geräumt oder nicht mehr nachbestellt. Trotzdem wurden die für die nächsten sechs Monate vorgesehenen Sonderaktionen von allen Partnern ausgesetzt. Allein in diesem Monat rechnet Kowalew mit Umsatzverlusten in Höhe von zehn Millionen Euro.

Die meisten der von der DW angefragten Lebensmittelhändler sind auf die Fragen zur Marke Dovgan in ihren Filialen nicht eingegangen. Die Handelskette Edeka erklärte, man könne die Aussage über die Lieferengpässe oder den Lieferstopp des Hersteller Dovgan nicht nachvollziehen. "Es liegen uns bzw. Dovgan dazu keine Lieferschwierigkeiten vor." Möglich sei, dass einzelne Kaufleute - die eigenverantwortlich über die Gestaltung ihrer Märkte entscheiden - die Ware aus dem Regal geräumt hätten. 

"Wir essen keine Linsensuppe"

Aktuell verzichten ca. fünf Prozent der Partner von Dovgan auf alle Lieferungen. Sorgen darum macht sich Kowalew nicht, einen großen Verlust soll es für das Geschäft nicht bedeuten. Jedoch seien hier die Falschen bestraft, bedauert er. "Schauen Sie, unsere Sonnenblumenkerne werden in Rumänien und Moldau produziert. Wenn ich die Ware hier in Deutschland nicht mehr verkaufen kann, kann ich die Menschen dort nicht mehr bezahlen. Und Rumänien ist ein Land, das momentan sehr viele Geflüchtete aufnimmt. Das ist absurd!"

Dovgans gute Geschäfte in Deutschland haben einen handfesten Hintergrund: In Deutschland leben 3,5 Millionen Menschen, die Wurzeln in Ländern der ehemaligen Sowjetunion haben. Russisch sprechen davon etwa 2,2 Millionen. Die Esskultur vieler slawischer Länder ist eng verwachsen. Borschtsch, Sguschenka (gezuckerte Kondesmilch) oder Tworog (gekörnter Frischkäse) kennen sowohl Russen als auch Ukrainer und essen diese Spezialitäten auch in Deutschland. "Das ist unsere Esskultur. Die kann man nicht ersetzen, denn wir werden keine Linsensuppe oder Tortellini essen", sagt Andre Kowalew.

Auch die Menschen aus der Ukraine, die jetzt nach Deutschland fliehen werden das, was sie von zu Hause kennen, hier suchen. "Wir wissen, was diese Menschen essen und können es ihnen geben. Ich kann nichts dafür, dass 70 Prozent unserer Kunden Russisch sprechen. Wir können kyrillische Schrift nicht wegmachen. Menschen lesen in dieser Schrift, auch die meisten Ukrainer", so Kowalew.

Auch die Gastronomie, die sich auf russische Küche spezialisiert, leidet teilweise unter den Folgen des privaten Boykotts. Das Berliner Café Datscha meldete zahlreiche Stornierungen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Wie groß das Problem tatsächlich ist, lässt sich aber noch nicht genau feststellen.