Wenn Regierungen pleite gehen
28. Februar 2013Vor dem zweiten Appellationsgericht in New York ging es um 1,3 Milliarden Dollar, da durfte es ruhig mal ein bisschen dramatischer sein: Von einer "Geiselnahme" sprach der Anwalt des Hedgefonds NML Capital in dieser Woche. Die Geisel wäre dann allerdings keine Person, sondern eine Banküberweisung. Denn in dem Fall geht es um den argentinischen Schuldenschnitt von 2005. Buenos Aires weigert sich, alte Schulden zurückzuzahlen, wenn der Fonds nicht einwilligt, auf einen Teil seiner Forderungen zu verzichten. Der Fall sorgt für große Aufmerksamkeit unter Entwicklungspolitikern.
"Hedgefonds greifen arme Staaten an"
2005 hatte der bankrotte Staat erklärt, dass seine Gläubiger auf einen Großteil ihrer Schulden verzichten müssten. Während internationale Organisationen dem Plan zustimmten, weigerten sich einige andere private Gläubiger, ihre Forderungen abzuschreiben. Seither klagt das Finanzunternehmen NML Capital gegen den Staat und bekam in erster Instanz recht. Sollte das Appellationsgericht das Urteil nun bestätigen, könnte das dramatische Folgen auch für andere verschuldete Staaten haben, warnen Entwicklungspolitiker. "Das würde bedeuten, dass Hedgefonds auch andere arme Staaten aggressiver angreifen werden", erklärte Eric LeCompte, Vorsitzender der Entschuldungsinitiative Jubilee USA Network am Rand der Verhandlung. Argentinien kündigte vorsichtshalber an, sich dem Urteil im Zweifelsfall nicht zu unterwerfen. "Ein Staat kann nicht gezwungen werden, gegen seine Grundprinzipien zu handeln", erklärte der Anwalt Argentiniens Jonathan Blackman. Ein Urteil wird in einigen Wochen erwartet.
"Argentinien konnte damals nicht anders, als einseitig einen Schuldenschnitt zu erklären, weil es keinen Zugang zu einem geordneten Verfahren hatte", kritisiert auch Jürgen Kaiser das Gerichtsverfahren. Er ist politischer Koordinator des Bündnisses "erlassjahr.de". Der Verbund mehrerer Entwicklungsorganisationen fordert seit Jahren klare Regeln für eine Entschuldung von Staaten. "Wir brauchen ein geordnetes Insolvenzverfahren", sagt Kaiser. Einmal im Jahr erstellt das Bündnis einen "Schuldenreport". Darin finden sich Warnungen für Länder, die entweder jetzt schon oder demnächst in eine Schuldenspirale rutschen - die also ihre Zinsen nur noch bedienen können, indem sie neue Schulden aufnehmen. Das Thema brennt Entwicklungspolitikern schon lange unter den Nägeln, denn viele höchst verschuldete Länder gehören zu den ärmsten der Welt. Wirklich durchzudringen scheint die Initiative mit ihrer Forderung allerdings nicht. Die Pressekonferenz des Vereins blieb so gut wie leer.
Europa im Fokus
Dabei ist das Thema Staateninsolvenz und Schuldenerlass seit dem griechischen Schuldenschnitt längst in Europa aktuell. Auch im Fall von Zypern tauchten Überlegungen zu einem Schuldenerlass auf. Weitere Fälle könnte es demnächst im unmittelbaren Umfeld der EU geben, warnt Kaiser. Kroatien gilt der Initiative als ein Staat, der in die Insolvenz abrutschen könnte. Denn die Auslandsschulden Zagrebs übersteigen die Exporteinnahmen um das Zweieinhalbfache.
Entschuldungen von Staaten hat es immer wieder gegeben. In Indonesien einigten sich der Westen und die Sowjetunion 1969 über die Fronten des Kalten Kriegs hinweg auf einen Schuldenerlass. In den neunziger Jahren wurde das Thema zu einer Kernforderung der Entwicklungspolitik. Damals erließen Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank einer Reihe von armen Ländern einen Teil ihrer Schulden. 2005 folgte der spektakuläre Fall Argentinien. Auch andere Länder, wie beispielsweise Ecuador, konnten sich mit ihren Gläubigern auf einen Teilverzicht einigen.
Das Bündnis "erlassjahr.de" fordert ein international anerkanntes Verfahren für Staatsinsolvenzen - sei es durch Schiedsrichter, auf die sich beide Seiten einigen, sei es durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, der dazu neue Kompetenzen bekommen müsste. Die Befürchtung, Staaten könnten sich alle paar Jahre entschulden, um hinterher genauso weiter zu wirtschaften, teilt Kaiser nicht. "Kein Schuldenerlass hat in der Vergangenheit einfach so stattgefunden", sagt er. "Alle waren an Auflagen - meist durch den IWF - gebunden."
Auch Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg von einem Schuldenschnitt profitiert. Genau sechzig Jahre ist es her, dass der Bundesrepublik die Hälfte ihrer staatlichen und privaten Auslandsschulden erlassen wurden. Für die Rückzahlung der übrigen Schulden wurde sogar vereinbart, dass sie ausgesetzt werden, wenn Deutschland keine Exportüberschüsse erwirtschaftet. Deutschlands Schuldenlast hatte vor dem Schnitt bei 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gelegen. Zum Vergleich: Griechenland hat heute - nach dem Schuldenschnitt - Verbindlichkeiten von 160 Prozent des BIP.