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Wer die Server hat, hat die Kontrolle

Steffen Leidel, zurzeit Tunis (stu)16. November 2005

Kurz vor Auftakt des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft in Tunis haben die Vertreter der Teilnehmerländer einen Kompromiss im langjährigen Streit um die Verwaltung und Steuerung des Internet gefunden.

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Bild: dpa

Die Unterhändler der 170 Teilnehmerstaaten des Weltinformationsgipfels haben sich offenbar auf ein Papier geeinigt, das die drohende Spaltung des Internet verhindern soll. Das berichtete die französische Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch (16.11.2005) unter Berufung auf Diplomaten. Streitpunkt war die Dominanz der US-Organisation ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers), die die Oberaufsicht über das weltweite Netz innehat. Die EU und Vertreter der Entwicklungsländer fordern seit Jahren eine alternative internationale Internetverwaltung.

Der Kompromiss von Tunis sieht nach Diplomatenangaben ein zweigleisiges Vorgehen vor: Zum einen soll ein regierungsübergreifendes Forum (Intergovernmental Forum) geschaffen werden, in dem alle Internet-Fragen erörtert werden sollen - so etwa Netzkriminalität, Computerviren und Spam. In einer zweiten, zeitlich unbegrenzten Gesprächsrunde sollen Vertreter des privaten und des öffentlichen Sektors in Fragen des öffentlichen Interesses zusammenarbeiten.

Kontrolle über Kernressourcen

ICANN soll den Angaben zufolge fortbestehen. Die Non-Profit-Organisation verwaltet unter anderem die Kürzel am Ende einer Internetadresse, wie beispielsweise .com oder .de. ICANN ist also so etwas wie Kfz-Zulassungsstelle für das Internet. Die gemeinnützige Organisation mit Sitz in Kalifornien ist auch für die zentralen Rechner im Netz zuständig, die so genannten Rootserver.

Sie gehören zu den Kernressourcen des Internet, sagt Kommunikationswissenschaftler Rainer Kuhlen, der den Gipfel für die UNESCO in Tunis (15.-18.11.2005) beobachtet. "Die Rootserver haben vor allem die Funktion, dass sprechbaren Adressen in die maschinenlesbare Form umgesetzt werden. Wer also die Kontrolle über die Rootserver hat, hat die Möglichkeit gewisse Sachen abzublocken, auszufiltern", sagt Kuhlen.

Cyberangriff auf Irak?

Hier entzündet sich der Streit. Denn ICANN und damit die Rootserver unterstehen dem US-Handelsministerium. Ist damit die US-Regierung in der Lage, ganze Länder zu blockieren, vom Internet abzuklemmen? "Die USA hat vor allem eine theoretische Macht", antwortet Axel Pawlik, Geschäftsführer von Ripe NCC (Network Coordination Center), eine Organisation, die sich unter anderem in Europa um Fragen der Internetverwaltung kümmert. "Es gibt immer wieder die Frage, was passiert, wenn die USA den Irak aus dem Internet werfen wollen. Das kann nicht passieren", so Pawlik. "Falls es dazu käme, würde die Internetgemeinde schon dafür sorgen, dass der Irak weiterhin zur Verfügung steht im Internet."

Doch wurde nicht während des Bombardements der USA auf Afghanistan das Internet dort blockiert? Dieses Gerücht hält sich hartnäckig. Für Pawlik gehört das eher in das Reich von Verschwörungstheorien. "Das mag natürlich damit zu tun haben, dass hier und da Leitungen gekappt wurden. Es ist ein Krieg. Ich glaube persönlich nicht, dass das damit zu tun hat, dass man das Internet ausschalten wollte. Wenn das herauskäme, wäre das katastrophal für das Internet, und für das Ansehen der USA."

Keine Endung für Porno-Seiten

Ihre vermeintliche Macht habe die US-Regierung bislang nicht missbraucht, meint Pawlik. Auch wenn er einräumt, dass die konservative Administration von US-Präsident George W. Bush beispielsweise die Einführung der Adressendung .xxx für pornographische Inhalte blockiert habe. Dennoch hält er - wie viele andere Internet-Experten - an der Netzverwaltung durch ICANN fest. Diese Struktur habe sich bewährt. Nachvollziehen kann er jedoch den zunehmenden Protest vieler Länder, die sich gegen eine US-Dominanz im Internet wehren. Auch die EU bezieht eindeutig Stellung während des Gipfels, ließ bereits im Vorfeld verlauten: Es dürfe nicht sein, dass eine einzige Regierung eine herausgehobene Rolle im Internet spielt.

Für den Konstanzer Informationswissenschaftler Kuhlen geht es bei dem Streit vor allem ums Prinzip, nicht um faktische Einflussnahme. "In einer globalen Gesellschaft passt es nicht mehr dazu, dass eine Macht die prinzipielle Macht hat. Es passt nicht mehr, ein spezielles Weltbild dem offenen kooperativen Internet überzustülpen". Es handele sich also mehr um Symbolismen als reale Macht.

Einheitlichkeit des Internet bedroht

Problematisch sei nicht so sehr, was die USA im Internet im Schilde führen. Heikel sei stattdessen, wie andere Länder reagieren, sollten die USA ihre Dominanz nicht aufgeben. "Dann könnten nämlich Länder wie Brasilien, Indien oder China, die ja bereits die Mehrheit der heutigen Internet-User ausmachen, alternative Netze aufzubauen. Und das wäre in der Tat das fatale Ende der Einheit des Internet."