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"Wer glaubt, ist nie allein"

13. August 2006

In seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo gab Papst Benedikt XVI. zum ersten Mal ein Fernsehinterview, und zwar ARD, ZDF, Radio Vatikan und der Deutschen Welle. Lesen Sie hier den Wortlaut.

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Bild: picture-alliance/ dpa

Heiliger Vater, im September besuchen Sie Deutschland, genauer gesagt, natürlich Bayern. "Der Papst hat Sehnsucht nach seiner Heimat", haben ihre Mitarbeiter während der Vorbereitung berichtet. Welche Themen wollen Sie besonders ansprechen, und gehört der Begriff "Heimat" auch zu den Werten, die sie den Menschen besonders nahe bringen wollen?

Papst Papst Benedikt XVI. gibt Fernsehinterview
Bei der Aufzeichnung des Interviews in seiner Sommerresidenz in Castel Gandolfo stellte Papst Benedikt XVI. sich den Fragen von BR-Fernsehdirektor Gerhard Fuchs, Jesuitenpater Eberhard von Gemmingen, der die deutschsprachige Abteilung von Radio Vatikan leitet, TV-Direktor Christoph Lanz von der Deutschen Welle sowie von ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut (Bild oben / v. r. n. l.).Bild: picture-alliance/ dpa

Papst Benedikt XVI: Ja, das auf jeden Fall. Der Grund des Besuchs war eigentlich eben doch wirklich der, dass ich noch einmal die Orte, die Menschen sehen wollte, wo ich groß geworden bin, die mich geprägt und mein Leben geformt haben, und diesen Menschen danken wollte. Und dann natürlich auch eine Botschaft ausrichten, die über das eigene Land hinausgeht, wie es meinem Auftrag entspricht. Die Themen habe ich mir ganz schlicht von den liturgischen Daten vorgeben lassen. Das Grundthema ist eigentlich, dass wir Gott wieder entdecken müssen und nicht irgendeinen Gott, sondern den Gott mit einem menschlichen Antlitz, denn wenn wir Jesus Christus sehen, sehen wir Gott. Dass wir von daher dann die Wege zueinander finden müssen in der Familie, zwischen den Generationen; und dann zwischen den Kulturen, den Völkern, und die Wege der Versöhnung und des friedlichen Miteinanders in dieser Welt. Die Wege, die nach vorn führen, finden wir nicht, wenn wir nicht sozusagen Licht von oben haben. Ich habe also keine ganz spezifischen Themen ausgewählt, sondern die Liturgie leitet mich, die Grundbotschaft des Glaubens zu sagen, die natürlich in der Aktualität von heute verortet ist, in der wir vor allen Dingen nach der Zusammenarbeit der Völker, nach den Möglichkeiten der Versöhnung und des Friedens fragen.

Als Papst sind Sie ja zuständig für die gesamte Kirche in der ganzen Welt. Aber Ihr Besuch in Deutschland lenkt natürlich auch den Blick auf die Situation der Katholiken in Deutschland. Alle Beobachter sind sich einig: Die Stimmung ist gut, nicht zuletzt durch Ihre Wahl. Aber die alten Probleme, die sind natürlich geblieben, zum Beispiel nur einige Schlagworte: Immer weniger Kirchgänger, immer weniger Taufen, überhaupt immer weniger Einfluss auf das gesellschaftliche Leben. Wie sieht Ihre Beschreibung der aktuellen Lage der katholischen Kirche in Deutschland aus?

Nun, ich würde zunächst sagen, Deutschland gehört zum Westen, wenn auch mit seiner ganz spezifischen Färbung und Tönung. Und in der Welt des Westens erleben wir ja heute eine neue Welle einer drastischen Aufklärung oder Laizität, wie immer Sie das nennen wollen. Glaube ist schwierig geworden, weil die Welt, die wir antreffen, ganz von uns selber gemacht ist und sozusagen Gott in ihr nicht mehr direkt vorkommt. Ihr trinkt nicht aus der Quelle, sondern aus dem, was uns schon abgefüllt entgegen kommt. Die Menschen haben die Welt sich selber rekonstruiert, und ihn dahinter noch zu finden, ist schwierig geworden. Das ist also nicht spezifisch für Deutschland, sondern etwas, was sich in der ganzen Welt, vor allen Dingen in der westlichen Welt zeigt. Andererseits wird der Westen jetzt stark berührt von anderen Kulturen, in denen das originär Religiöse sehr stark ist, die auch erschrecken über die Kälte Gott gegenüber, die sie im Westen vorfinden. Und diese Präsenz des Heiligen in anderen Kulturen, wenn auch in vielfältigen Verschattungen, rührt dann auch wieder an die westliche Welt, rührt uns an, die wir im Kreuzungspunkt so vieler Kulturen stehen. Und auch aus dem Eigenen des Menschen im Westen und in Deutschland steigt immer wieder die Frage nach etwas Größerem auf. Wir sehen das in der Jugend, bei der doch ein Suchen nach Mehr da ist, dass irgendwo das Phänomen Religion, wie man sagt, wiederkehrt, auch wenn die Suchbewegung oft eher unbestimmt sind. Aber die Kirche ist damit wieder da, der Glaube bietet sich als Antwort an. Und ich denke, dass eben gerade dieser Besuch, wie schon vorher Köln, eine Gelegenheit ist, dass man sieht, dass es schön ist zu glauben; dass die Freude einer großen, universalen Gemeinschaft etwas Tragendes hat, dass dahinter etwas steht und dass so mit neuen Suchbewegungen auch neue Aufbrüche zum Glauben da sind, die uns zueinander führen und die dann auch der Gesellschaft im ganzen dienen.

Heiliger Vater, vor einem Jahr genau waren Sie in Köln bei der Jugend; und da haben Sie, glaube ich, auch mitbekommen, dass die Jugend wahnsinnig aufnahmebereit ist, dass Sie persönlich sehr gut angekommen sind. Haben Sie bei dieser Reise vielleicht auch eine spezielle Botschaft an die jungen Leute?

Ich würde zunächst einmal sagen: Die Botschaft ist: Ich freu’ mich, dass es junge Menschen gibt, die beieinander sein wollen, die im Glauben beieinander sein wollen, und die eben etwas Gutes tun wollen. Denn die Bereitschaft zum Guten ist in der Jugend sehr stark. Die vielen Volontariate! Die Suche, in den Nöten dieser Welt selbst auch etwas auszurichten, ist etwas Großes. Darin zu ermutigen, wäre ein erster Impuls: Macht weiter! Sucht nach Gelegenheiten, Gutes zu tun! Die Welt braucht solchen Willen, braucht solchen Einsatz. Und dann würde ich sagen, ein spezielles Wort wäre vielleicht: Der Mut zu endgültigen Entscheidungen! Es ist viel Großmut in der Jugend da, aber das Risiko, sich ein Leben lang zu binden, sei’s in der Ehe, sei’s im Priestertum, das wird gescheut. Die Welt ist in dramatischer Bewegung. Ständig. Kann ich jetzt schon über das ganze Leben mit seinen unabsehbaren künftigen Ereignissen verfügen? Binde ich da nicht meine Freiheit selber und nehme etwas von meiner Beweglichkeit weg? Den Mut zu wecken, endgültige Entscheidungen zu wagen, die in Wirklichkeit erst Wachstum und Vorwärtsbewegung, das Große im Leben ermöglichen, die nicht die Freiheit zerstören, sondern ihr erst die richtige Richtung im Raum geben: das zu riskieren – diesen Sprung sozusagen ins Endgültige – und damit das Leben erst richtig ganz anzunehmen, das würde ich schon gern weitergeben.

Heiliger Vater, eine Frage zur außenpolitischen Situation. Wie können Sie die Situation, die Entwicklung im Nahen Osten positiv beeinflussen?

Wir haben natürlich keine politischen Möglichkeiten, und wir wollen auch keine politische Macht. Aber wir wollen an die Christen und an alle, die sich dem Wort des Heiligen Stuhls irgendwie verbunden oder von ihm angesprochen wissen, appellieren, dass dort überall die Kräfte mobilisiert werden, die erkennen: Krieg ist für alle die schlechteste Lösung. Er bringt für niemanden etwas, auch für die scheinbaren Sieger nichts – wir wissen es in Europa von den beiden Weltkriegen her sehr genau –, sondern das, was alle brauchen, ist der Friede. Und es gibt ja eine starke christliche Gemeinschaft im Libanon, es gibt unter den Arabern Christen, es gibt in Israel Christen, und Christen der ganzen Welt sorgen sich um diese uns allen teuren Länder. Die moralischen Kräfte, die da bereit sind, um einsichtig zu machen, dass die einzige Lösung ist: "Wir müssen miteinander leben", die wollen wir mobilisieren. Die Politiker müssen dann die Wege finden, wie das möglichst schnell und vor allen Dingen dauerhaft geschehen kann.

Thema Familie: Vor etwa einem Monat waren Sie in Valencia beim Familienkongress. Und wer gut hingehört hat – wir von Radio Vatikan versuchen, das zu tun –, hat gemerkt, dass Sie nie das Wort Homo-Ehe angesprochen haben, nie von Abtreibung, nie von Verhütung gesprochen haben. Aufmerksame Beobachter sagen sich: Interessant! Offenbar ist seine Intention, den Glauben zu verkünden und nicht als Moralapostel durch die Welt zu reisen. Können Sie das kommentieren?

Ja natürlich. Zuerst muss man sagen: Ich hatte ganze zwei mal zwanzig Minuten Zeit. Und wenn man nur so viel Zeit zur Verfügung hat, kann man nicht gleich mit dem Neinsagen daher kommen. Man muss ja erst wissen, was wir überhaupt wollen, nicht wahr. Und das Christentum, der Katholizismus ist nicht eine Ansammlung von Verboten, sondern eine positive Option. Und die wieder sehen ist ganz wichtig, weil die fast ganz aus dem Blickfeld verschwunden ist. Man hat so viel gehört, was man nicht darf, dass man jetzt hingegen sagen muss: Wir haben aber eine positive Idee, dass Mann und Frau zueinander geschaffen sind, dass sozusagen es die Skala Sexualität, Eros, Agape, die Dimensionen der Liebe gibt und dass auf die Weise dann zunächst Ehe als beglücktes Ineinander von Mann und Frau und dann als Familie wächst. Dass Kontinuität der Generationen geschieht, in der die Versöhnung der Generationen erfolgt und in der dann auch die Kulturen sich begegnen können. Zunächst einmal also herausstellen, was wir wollen, ist einfach wichtig. Dann kann man auch sehen, warum wir irgendetwas nicht wollen. Und ich glaube, man muss ja sehen, dass es nicht eine katholische Erfindung ist, dass Mann und Frau zueinander geschaffen sind, damit die Menschheit weiterlebt – das wissen eigentlich alle Kulturen. Was die Abtreibung angeht, gehört sie nicht ins sechste, sondern ins fünfte Gebot "Du sollst nicht töten!" Und das sollten wir eigentlich als selbstverständlich voraussetzen und müssen immer wieder betonen: Der Mensch fängt im Mutterschoß an und bleibt Mensch bis zu seinem letzen Atemzug. Daher muss er immer als Mensch respektiert werden. Aber das wird einsichtig, wenn zuvor das Positive gesagt ist.

Heiliger Vater, meine Frage schließt in gewisser Weise an die von Pater von Gemmingen an. Weltweit erhoffen sich Gläubige Antworten auf die global drängenden Probleme von der katholischen Kirche. Stichwort hier AIDS und Überbevölkerung: Warum stellt die katholische Kirche die Moral so heraus und über die Lösungsansätze für dieses Schicksalsproblem der Menschen, beispielsweise im afrikanischen Kontinent.

Ja nun, das ist die Frage: Stellen wir wirklich die Moral so heraus? Ich würde sagen – so hat es sich mir auch im Gespräch mit den afrikanischen Bischöfen immer mehr kristallisiert: Das grundlegende Stichwort, wenn wir in diesen Sachen vorankommen wollen, heißt Erziehung, Edukation, Bildung. Fortschritt kann nur Fortschritt sein, wenn er dem Menschen dient und wenn der Mensch selber wächst: wenn in ihm nicht nur das technische Können wächst, sondern auch seine moralische Potenz. Und ich denke, das eigentliche Problem unserer historischen Situation ist das Ungleichgewicht zwischen dem ungeheuren rapiden Anwachsen dessen, was wir technisch können, und unserm moralischen Vermögen, das nicht mitgewachsen ist. Und deswegen ist die Bildung des Menschen das eigentliche Rezept, der Schlüssel von allem, und das ist auch unser Weg. Und zwar hat diese Bildung, kurz gesagt, zwei Dimensionen: Zunächst einmal müssen wir natürlich etwas lernen: Wissen, Können erwerben, Know-How, wie man so schön sagt. Und dafür hat Europa, Amerika, in den letzten Jahrzehnten viel getan, und das ist etwas Wichtiges. Aber wenn man nur Know-How weitergibt, nur beibringt, wie man Maschinen macht und mit ihnen umgeht, und wie man Verhütungsmittel anwendet, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass am Schluss Krieg herauskommt und AIDS-Epidemien. Sondern wir brauchen zwei Dimensionen, es muss die Bildung des Herzens, wenn ich’s so sagen darf, mit dazukommen, durch die der Mensch Maßstäbe gewinnt und dann auch seine Technik richtig gebrauchen lernt. Und das ist es, was wir zu tun versuchen. Wir haben in ganz Afrika und auch in vielen Ländern Asiens ein großes Netz von Schulen aller Stufen, wo zunächst Lernen möglich ist, wo wirklich Kenntnis erworben werden kann, berufliche Befähigung erworben wird und dadurch Unabhängigkeit und Freiheit möglich wird. Aber wir versuchen in diesen Schulen eben nicht nur Know-How weiter zu geben, sondern auch die Menschen zu formen, so dass sie den Willen zur Versöhnung haben und dass sie wissen: Wir müssen aufbauen und nicht zerstören; dass sie Maßstäbe haben, wie sie miteinander leben können. In Afrika ist zum großen Teil das Miteinander von Moslems und Christen ganz vorbildlich. Bischöfe haben gemeinsame Komitees mit den Moslems, wie in Konflikten Frieden gestiftet werden kann. Und dieses doppelte Netz der Schulen, des Lernens und des menschlichen Bildens ist wichtig. Es wird dann ergänzt durch ein Netz von Krankenhäusern und von Pflegestationen, die bis in die letzten Dörfer hineinreichen. Und vielerorts ist ja nach all den Zerstörungen der Kriege die Kirche die letzte intakte Macht geblieben – nicht Macht: Realität, wo geheilt wird, wo auch AIDS geheilt wird, und andererseits Erziehung vermittelt wird, die hilft, richtig miteinander umzugehen. Insofern, glaube ich, sollte das Bild korrigiert werden, dass wir nur mit lauter "Nein" um uns herumwerfen. Es geschieht gerade in Afrika sehr viel, damit die verschiedenen Dimensionen der Bildung sich ergänzen können und damit die Überwindung der Gewalt und die Überwindung auch dieser Epidemien – es kommt ja auch Malaria und Tuberkulose dazu – möglich wird.

Heiliger Vater, von Europa aus hat sich das Christentum in alle Welt verbreitet. Nun sagen viele, die sich mit der Sache beschäftigen, die Zukunft der Kirche liegt auf anderen Kontinenten. Trifft das zu? Und anders gefragt: Welche Zukunft hat es in Europa, in dem Christentum eher zur Privatsache einer Minderheit verkümmert?

Ich würde es zunächst ein bisschen nuancieren. Entstanden ist das Christentum ja im vorderen Orient, wie wir wissen. Und lange Zeit hat es dort auch seinen Schwerpunkt gehabt und sich viel weiter nach Asien ausgedehnt, als uns heute nach der Veränderung durch den Islam bewusst ist. Allerdings hat es dann eben dadurch seine Achse erheblich nach dem Westen und nach Europa verschoben, und Europa – darauf sind wir auch stolz und freuen uns – hat das Christentum in seiner großen auch intellektuellen und kulturellen Gestalt weiter ausgebildet. Aber ich glaube, es ist schon wichtig, an die Christen im Orient zu erinnern, denn im Moment besteht die Gefahr, dass die Christen, die dort immer noch eine wichtige Minderheit sind, auswandern. Und dass gerade diese Ursprungsorte des Christentums leer werden von Christen, was eine große Gefahr ist. Wir müssen denen sehr helfen, dort bleiben zu können. Aber nun zu ihrer Frage: Europa war dann ohne Zweifel Zentrum des Christentums und der missionarischen Bewegung. Heute treten die andern Kontinente, die anderen Kulturen mit gleichem Gewicht in das Konzert der Weltgeschichte ein. Und insofern wird die Kirche vielstimmiger, und das ist auch gut so, dass die eigenen Temperamente, die eigenen Begabungen Afrikas, Asiens und Amerikas, besonders auch Lateinamerikas erscheinen können. Alle natürlich immer auch betroffen nicht nur von dem Wort des Christentums, sondern von der säkularen Botschaft dieser Welt, die die Zerreißprobe, die wir in uns selber hatten, auch in diese Kontinente hineinträgt. Alle Bischöfe aus den andern Erdteilen sagen, wir brauchen weiterhin Europa, auch wenn Europa nun einem größeren Ganzen zugehört. Wir haben weiter eine Verantwortung dafür. Unsere Erfahrungen, die theologische Wissenschaft, die hier gebildet wurde, alles, was wir an liturgischer Erfahrung, an Brauchtum, auch an ökumenischer Erfahrung gesammelt haben: all das ist auch für die anderen Kontinente wichtig. Insofern ist bedeutsam, dass wir jetzt nicht kapitulieren und sagen: "Naja, wir sind nur noch eine Minderheit, schauen wir mal, dass wir wenigstens in der Zahl beieinander bleiben", sondern weiterhin dynamisch bleiben und in Austausch treten. Dann werden Kräfte von dort auch zu uns kommen. Es gibt ja heute indische und afrikanische Priester in Europa, ebenso in Kanada, wo viele afrikanische Priester arbeiten, interessanterweise. Es gibt dieses gegenseitige Geben und Nehmen. Aber wenn wir auch in Zukunft mehr Empfangende werden, sollten wir immer auch Gebende bleiben und dazu den Mut und die Dynamik entwickeln.

Heiliger Vater, Stichwort Papstreisen. Sie sind ja im Vatikan, vielleicht zu Ihrem eigenen Leidwesen, ein bisschen weit weg von den Menschen und von der Welt abgeschlossen, auch hier in Castel Gandolfo. Aber Sie werden auf der anderen Seite bald achtzig Jahre alt. Meinen Sie, Sie können mit Gottes Hilfe noch viele Reisen machen? Haben Sie eine Ahnung, welche möchten Sie machen? Ins Heilige Land? Brasilien? Wissen Sie schon?

Nun, ganz so einsam bin ich nicht. Natürlich gibt es sozusagen die Burg, die den Zutritt schwierig macht, aber es gibt eine päpstliche Familie, jeden Tag viele Besuche, vor allen Dingen, wenn ich in Rom bin. Die Bischöfe kommen, andere Menschen kommen, Staatsbesuche, die aber auch persönlich und nicht nur politisch mit mir reden wollen. Insofern ist es doch eine Vielfalt von Begegnungen, die mir Gott sei Dank immer geschenkt wird. Und das ist ja auch wichtig, nicht wahr, dass der Sitz des Petrusnachfolgers ein Ort der Begegnungen ist. Seit Johannes XXIII. hat sich eingependelt, dass nun auch die Gegenbewegung da ist, dass Päpste Besuche machen. Ich muss sagen, ich fühle mich nicht sehr stark, um noch viele große Reisen anzuzetteln, aber wo sie eine Botschaft ausrichten können, wo sie wirklich einem Wunsch entsprechen, da möchte ich in den Dosierungen, die mir möglich sind, hingehen. Es ist vorgesehen: Nächstes Jahr trifft sich in Brasilien die CELAM, die Vereinigung der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen; und dort dabei zu sein ist, glaube ich, ein wichtiger Vorgang in dem ganzen Drama, das Südamerika einerseits erlebt, und in der ganzen Kraft der Hoffnung, die dort auch wirksam ist. Dann möchte ich ins Heilige Land gehen und hoffentlich es in Frieden betreten können. Und im Übrigen wird man sehen, was die Vorsehung an mich heranträgt.

Die Frauen in der katholischen Kirche sind sehr aktiv in vielen Funktionen. Müssten sie nicht deutlich sichtbarer tätig sein, also auch in höheren Positionen in der Kirche?

Ja, darüber wird natürlich sehr nachgedacht. Sie wissen, dass wir uns durch den Glauben, durch die Konstitution des Apostelkollegiums bestimmt und nicht dazu ermächtigt fühlen, Frauen die Priesterweihe zu erteilen. Aber man sollte auch nicht meinen, in der Kirche ist nur jemand etwas, der ein Priester ist. Es gibt eben ganz viele Aufträge und Funktionen in der Kirchengeschichte. Von den Schwestern der Kirchenväter angefangen bis ins Mittelalter, wo große Frauen eine sehr bestimmende Rolle ausgeübt haben. Und in die Neuzeit herein: Denken wir an Hildegard von Bingen, die kraftvoll protestiert hat gegen Bischöfe und Papst. Und Katharina von Siena und Birgitta von Schweden. So in die Neuzeit herein müssen die Frauen und müssen wir ja auch immer wieder mit ihnen zusammen den richtigen Platz für sie suchen. Es ist jetzt so, dass sie in den Kongregationen sehr gegenwärtig sind. Und es gibt ein juristisches Problem: Jurisdiktion, also die Möglichkeit rechtlich bindender Entscheidungen, ist nach dem Kirchenrecht an Weihe gebunden. Insofern gibt es dann da auch wieder Grenzen. Aber ich glaube, die Frauen selber werden mit ihrem Schwung und ihrer Kraft, mit ihrem Übergewicht sozusagen, mit ihrer "geistlichen Potenz" sich ihren Platz zu verschaffen wissen. Und wir sollten versuchen, auf Gott zu hören, dass wir den auch nicht behindern, sondern uns freuen, dass das Weibliche in der Kirche, wie es sich gehört – von der Muttergottes und von Maria Magdalena an – seine kraftvolle Stelle erhält.

Heiliger Vater, man spricht in letzter Zeit von einer neuen Faszination des Katholischen. Wie steht es denn um die Lebenskraft und um die Zukunftsfähigkeit dieser doch eigentlich uralten Institution?

Ja, ich würde sagen: Es hat schon der ganze Pontifikat von Johannes Paul II. die Menschen aufhorchen lassen und sie versammelt. Was bei seinem Tod vor sich gegangen ist, bleibt geschichtlich also etwas ganz Einzigartiges, wie da Hunderttausende diszipliniert sich auf dem Petersplatz drängen, stundenlang dastehen und eigentlich umfallen müssten in dieser Situation und doch durchhalten und von innen her bewegt sind. Das ist schon etwas sehr Schönes, dass das Gemeinschaftserlebnis dann zugleich ein Glaubenserlebnis wird; dass man Gemeinschaft nicht nur irgendwo erfährt, sondern dass sie gerade dort, wo Orte des Glaubens sind, lebendig wird und auch dem Katholischen seine Leuchtkraft gibt. Natürlich muss es dann im Alltag durchgehalten werden. Die beiden Dinge müssen miteinander gehen. Einerseits die großen Augenblicke, wo man sieht, es ist schön, dabei zu sein, Gott ist da, und wir sind eine große versöhnte Gemeinschaft über die Grenzen hinweg. Wir haben der Menschheit etwas zu geben, und uns wird von Gott, von der Kirche etwas gegeben. Und dann muss man daraus natürlich den Schwung schöpfen, die eben auch mühsamen Wanderungen durch den Alltag zu bestehen und von solchen Lichtpunkten her auf sie hin zu leben und damit auch andere in die Weggemeinschaft einzuladen. Aber ich möchte die Gelegenheit doch benützen, um zu sagen: Ich bin ja ganz beschämt über all das, was an Vorbereitungen für meinen Besuch geschehen ist, was Menschen da alles tun, nicht wahr. Mein Haus ist angestrichen worden, eine Berufsschule hat den Zaun gemacht. Der evangelische Religionslehrer hat mitgewirkt an meinem Zaun. Und das ist ja jetzt nur eine Kleinigkeit, aber ein Zeichen für ganz Vieles, was getan wird. Das finde ich so großartig, und ich beziehe es nicht auf mich, sondern es ist einfach ein Wille, dieser Gemeinschaft im Glauben zuzugehören und alle miteinander zu dienen. Diese Solidarität zu zeigen und dabei uns vom Herrn her inspirieren zu lassen: das ist für mich etwas Bewegendes, und dafür möchte ich auch ganz herzlich danken.

Heiliger Vater, Sie sprachen gerade das Gemeinschaftserlebnis an. Sie kommen nun zum zweiten Mal nach ihrer Wahl zu einem Besuch nach Deutschland. Die Stimmung bei dem Weltjugendtag – oder ganz anders gelagert bei der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland – ist irgendwie ausgewechselt. Man hat den Eindruck, die Deutschen sind weltoffener geworden, toleranter geworden, freudiger geworden. Was wünschen Sie sich von uns Deutschen noch?

Nun, ich würdeee sagen: An sich ist natürlich schon seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine innere Umgestaltung der deutschen Gesellschaft, auch der deutschen Mentalität da, die durch die Wiedervereinigung noch verstärkt worden ist. Wir sind einfach viel stärker in die Weltgesellschaft hineingewachsen und natürlich auch von ihrer Mentalität mit berührt. Und es kommen eben auch Seiten des deutschen Charakters zum Vorschein, die man ihm früher nicht zugetraut hat. Und vielleicht sind wir auch ein bisschen zu sehr als immer ganz diszipliniert und zurückhaltend hingestellt worden. Das war schon in uns da. Ich finde es sehr schön, wenn jetzt mehr zum Vorschein kommt, wenn alle sehen: Die Deutschen sind nicht bloß reserviert und pünktlich und diszipliniert, sie sind auch spontan, fröhlich, gastfreundlich. Das ist etwas sehr Schönes. Und was soll ich wünschen: Dass diese Tugenden weiter entwickelt werden, und dass sie vom christlichen Glauben her noch weiter Schwung und Tragfähigkeit bekommen.

1989 wurde Ihnen in München der Karl Valentin-Orden überreicht. Welche Rolle spielen eigentlich Humor und die Leichtigkeit des Seins im Leben eines Papstes?

(Papst lacht) Ich bin nicht ein Mensch, dem dauernd viele Witze einfallen. Aber sozusagen das Lustige im Leben zu sehen, und die fröhliche Seite daran und alles nicht ganz so tragisch zu nehmen, das ist mir schon sehr wichtig, und ich würde sagen: für mein Amt auch notwendig. Irgendein Schriftsteller hatte gesagt, die Engel können fliegen, weil sie sich leicht nehmen. Und wir könnten auch ein bisschen mehr fliegen, sozusagen, wenn wir uns nicht ganz so schwergewichtig nehmen würden.

Wenn man ein solches Amt hat wie Sie, Heiliger Vater, wird man natürlich viel von außen beobachtet. Dritte sprechen über Sie. Und mir ist aufgefallen bei der Lektüre, dass viele Beobachter sagen, der Papst Benedikt ist im Vergleich zu Kardinal Ratzinger eine andere Persönlichkeit. Wie ist denn Ihre eigene Sicht auf Sie, wenn ich mir diese Frage erlauben darf?

Ich bin ja schon mehrmals zerteilt worden in den frühen Professor und den mittleren Professor – in den frühen Kardinal und in den späten. Jetzt kommt noch eine Teilung dazu. Natürlich prägen die Umstände und die Situation und auch die Menschen, weil man hier verschiedene Verantwortungen hat. Aber sagen wir: Mein Grundnaturell und auch meine Grundvision ist gewachsen, aber in allen wesentlichen Dingen doch identisch geblieben. Ich freue mich, wenn jetzt auch Seiten wahrgenommen werden, die vorher nicht so wahrgenommen worden sind.

Und darf man so sagen, Sie genießen Ihr Amt, es ist keine Last?

Das wäre ein bisschen zuviel, weil es doch mühsam ist. Aber ich versuche jedenfalls, die Freude daran zu finden.

Auch im Namen meiner Kollegen darf ich mich für dieses Gespräch, für diese Weltpremiere, sehr herzlich bedanken. Wir freuen uns auf Ihren Besuch in Deutschland, in Bayern. Auf Wiedersehen!

Danke Ihnen meinerseits ganz herzlich.