Wer schützt Somalia vor Gewalt und Terror?
30. Dezember 2021"Seit 2007 patrouillieren AMISOM-Soldaten durch Mogadischu. Ihre Erfolge sind indes sehr dürftig", sagt Nasro Ahmed, eine Vertreterin der somalischen Zivilgesellschaft, dem DW-Korrespondenten. "Seit 14 Jahren sind die ausländischen Soldaten hier, doch wir Somalier sind schon lange nicht mehr glücklich damit", so die junge Frau, die sich in mehreren Friedensinitiativen in der somalischen Hauptstadt engagiert. Die Menschen hätten den Glauben daran verloren, dass diese Truppen in der Lage seien, Frieden und Sicherheit in Somalia wiederherzustellen.
Die Militärmission der Afrikanischen Union ist vom UN-Sicherheitsrat autorisiert, finanziert wird sie zu großen Teilen von der Europäischen Union. Sie habe den Verdacht, dass die Soldaten wegen ihrer Gehälter in Somalia blieben, die durch Spenden aus dem Ausland bezahlt würden, sagt Nasro Ahmed. Mit ihrer Meinung steht sie nicht allein da. Sie ist mehrheitsfähig in ganz Somalia.
Kaum Erfolge für die AU-Mission
Neun afrikanische Länder stellen der Mission derzeit mehr als 22.000 Soldaten und Polizeikräfte zur Verfügung: Äthiopien, Kenia, Uganda, Dschibuti, Burundi, Ghana, Sambia, Nigeria und Sierra Leone. Doch die Bilanz der AMISOM ist ernüchternd: Weite Teile des somalischen Staatsgebiets sind weiterhin unter der Kontrolle der islamistischen Al-Shabaab-Miliz, die mit dem Extremistennetzwerk Al-Kaida verbündet ist. Diese kämpft gegen die international anerkannte Regierung in Mogadischu und verübt dort auch immer wieder Anschläge.
Die AU-Truppen verursachen zudem enorme Kosten, die vor allem von der Europäischen Union getragen werden. Nach Angaben der "International Crisis Group", einer Nichtregierungsorganisation, die Analysen und Lösungsvorschläge zu internationalen Konflikten liefert, hat die EU seit 2007 fast 2,3 Milliarden Euro an die Afrikanische Union zur Unterhaltung der AMISOM-Mission überwiesen. Dennoch ist die vom Westen unterstützte Regierung im Laufe der Jahre augenscheinlich nicht stabiler und handlungsfähiger geworden.
Im Gegenteil: Präsident Mohamed Abdullahi "Farmajo" und Ministerpräsident Mohamed Hussein Roble liefern sich seit Monaten schwere politische Gefechte, die in Gewaltausbrüchen zwischen beiden Lagern eskaliert sind. Beobachter sehen die Gefahr, dass die Al-Shaabab-Milizen als Nutznießer des Chaos weitere Gebietsgewinne verzeichnen könnten.
Verschobene Wahlen, fehlende Legitimation
Hintergrund des Konflikts ist die seit Monaten aufgeschobene Präsidentschaftswahl. Farmajo ist seit 2017 Präsident. Regulär endete seine Amtszeit bereits am 8. Februar dieses Jahres. Regierungschef Roble wirft dem Staatschef Sabotage des Wahlprozesses und Verfassungsbruch vor. Dieser verkündete Robles Suspendierung, denn der sei in "Korruption" verwickelt, hieß es in einer Mitteilung des Präsidialamtes.
Vorläufig beendet wurde die Verfassungskrise, nachdem Farmajo die Amtszeitverlängerung für rückgängig erklärte und Roble einen Zeitplan zur Abhaltung von Wahlen aushandelte. In den folgenden Monaten spitzte sich der Machtkampf zwischen den beiden Männern an der Staatsspitze jedoch erneut zu - die Wahlen wurden wieder verschoben.
Die aktuellen Vorgänge seien höchst besorgniserregend, erklärten die Afrikanische Union, die USA, die EU und die UNO in einer gemeinsamen Erklärung. Und auch Sicherheitsexperten, wie der kanadische Analyst und Gründer der Denkfabrik Sahan Research, Matt Bryden, warnen, dass die politische Krise in Somalia die massiven Sicherheitsprobleme im Land befeuern könnte. Die ausstehenden Wahlen müssten deshalb alsbald abgehalten und von AMISOM-Soldaten und somalischen Sicherheitskräften abgesichert werden.
"Die somalischen Sicherheitskräfte sind allein nicht in der Lage, für die Sicherheit, etwa während Wahlen, zu sorgen, denn sie sind nicht neutral", sagt Analyst Bryden im DW-Interview. In dieser kritischen Zeit würden die AMISOM-Soldaten und -Polizisten für glaubwürdige Wahlen und eine friedliche Machtübergabe dringend benötigt, so Bryden im DW-Gespräch.
Reformen dringend notwendig
Die Ansichten über eine Zukunft Somalias mit oder ohne AMISOM-Truppen gehen unter den wichtigsten Akteuren auseinander. Afrikanische Länder, die bislang Truppen stellen, und die Afrikanische Union bemühen sich um finanzielle Mittel, um die Mission am Laufen zu halten, aber sowohl die Geber, vor allem in Europa, als auch somalische Behörden sind der Meinung, dass der Sinn und der Wert der Mission neu bewertet werden sollten.
Die EU hat bereits angekündigt, ihre finanzielle Unterstützung für die Mission 2022 zu reduzieren, selbst wenn die Mission über März hinaus verlängert werden sollte. Die International Crisis Group, die regelmäßig auch Ansprechpartnerin für die EU ist, schlägt vor, die Afrikanische Union solle "versuchen, die Finanzierung ihrer Friedensmissionen zu diversifizieren, indem sie Lobbyarbeit in anderen Ländern wie China, den arabischen Golfstaaten und der Türkei betreibt", von denen keines ein Interesse am Rückzug der Mission habe. Die Studie vom Herbst 2021 räumt aber auch ein, dass bisherige Versuche dieser Art gescheitert seien.
Gleichzeitig müsse die AU "ernsthaft überlegen, welche finanzielle Unterstützung sie sich selbst durch ihren Friedensfonds geben" könne - ein Instrument, das bisher nicht zum Zuge gekommen ist. Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sollten demnach auch überlegen, wie sie Lücken kreativ füllen könnten, indem sie ihre Finanzierung für unterstützende UN-Operationen erhöhten.
Die UNO bevorzugt eine neu konfigurierte AMISOM, während die Afrikanische Union eine hybride UN/AU-Mission bevorzugt. Die somalische Bundesregierung lehnt beide Optionen ab und will, dass internationale Ressourcen umgeleitet werden, um eine eigene somalische Nationalarmee aufzubauen.
Sicherheitsexperte Matt Bryden fasst den Konfklikt zwischen den Haupt-Playern in Somalia so zusammen: "Die größte Herausforderung bei der Lösung dieses Problems ist eher eine politische als eine operative."
Mitarbeit: Mohamed Odowa (Mogadischu)