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Wer seine Frau liebt, baut ihr eine Toilette

Sophia Wagner
19. November 2018

Der Welt-Toiletten-Tag ist kein Witz. Keine Erfindung hat so viele Leben gerettet wie das WC. Aber noch immer müssen 4,5 Milliarden Menschen jeden Tag ohne ein funktionierendes Sanitärsystem auskommen.

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Indien hat große Pläne: Bis 2019 soll jeder eine Toilette haben
Eine öffentliche Toilette im Ort Mator in Indien - eigentlich nur ein Loch in der Erde. Bild: picture-alliance/dpa/S. Kumar

Es ist früher Morgen in Indien. Das erste Licht schleicht grade über den Horizont, man sieht im Dunst die Umrisse einer kleinen, ländlichen Stadt. Ein frisch verheiratetes Paar liegt noch schlafend im Bett als es an der Tür klopft. Draußen warten zwei Frauen mit Laternen, sie wollen die junge Braut abholen - um zusammen den morgendlichen Toilettengang zu erledigen, im Gebüsch außerhalb der Stadt. Die Braut ist fassungslos und flieht entsetzt aus dem Haus ihres Liebsten.

Die Szenen sind Teil eines indischen Bollywood Filmes vom August 2017 mit dem Titel "Toilette: Eine Liebesgeschichte". Er erzählt die wahre Geschichte eines Mannes, der für mehr Toiletten in seinem Dorf kämpfte, nachdem seine Frau ihn verlassen hatte, weil es keine gab.

Indien hat dem toilettenlosen Leben den Kampf angesagt und zwar nicht nur im Film, auch die Politik hat die Exkremente zur Chefsache gemacht. In keinem Land gibt es mehr Menschen ohne Toilette. Der Fachbegriff für das was daraus resultiert ist "öffentliche Defäkation", was so viel heißt wie "hinter den Busch gehen".

Toiletten alleine reichen nicht - Auf die Entsorgung kommt es an

"'Toiletten sind wichtiger als Tempel', hat Premier Modi gesagt. Sein Plan ist, dass bis 2019 alle Inder eine sichere, nachhaltige Toilette haben", sagt Arne Panesar. Er leitet den Bereich nachhaltige Sanitärversorgung bei der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und war schon öfter für Projekte in Indien und Bangladesch.

Es sei gut, dass die Politik die Dinge angehen will, meint er. Es käme aber auch stark darauf an, wie man dabei vorgehe: "Der Bürgermeister von Dhakar, der Hauptstadt von Bangladesch sagt, er habe es geschafft, dass von 16 Millionen Bewohnern nur noch 1 Prozent keine Toilette hat."

Schaut man sich aber an, wo die Abwässer dieser Toiletten landen, sieht es nicht so rosig aus: Von den 16 Millionen Menschen, haben nur 1 bis 2 Prozent eine "sicher gemanagte" Sanitärversorgung. Das heißt, die Abwässer landen in einem Auffangbecken, wo sie nichts verunreinigen können. Die restlichen 98 Prozent gehen irgendwo rechts oder links aus dem System raus. So landen dann viele der Abwässer trotzdem direkt um die Ecke, im eigenen Stadtteil, oder im Fluss vor dem Dorf. Das verbessert natürlich die Gesundheit der Bevölkerung nicht.

Nachhaltig mit Fäkalien umgehen

"Sechs von zehn Menschen weltweit haben keinen Zugang zu einem nachhaltig organisierten Sanitärsystem, das sind 4,5 Milliarden Menschen. Außerdem haben 2,1 Milliarden keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser," sagt Panesar. 

Fast 1000 Kinder sterben deshalb jeden Tag einen vermeidbaren Tod. Viele Parasiten und Krankheiten wie Cholera, Typhus und Polio breiten sich nur deshalb aus, weil es kein sicheres Abwassersystem gibt. Neben Indien haben vor allem auch viele afrikanische Länder Probleme mit der Sanitärversorgung.

Die WHO hat sich deshalb 2015 unter anderem das "nachhaltige Entwicklungziel" gesetzt, dass bis 2030 alle Menschen Zugang zu sauberem Wasser und eine funktionierendem Sanitärsystem haben sollen. Besonders betont die WHO dabei die Versorgung der Armen und die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen. Denn bei Toiletten geht es nicht nur um Gesundheit, es geht auch um Sicherheit und um Bildung für Frauen.

Indien Bau einer Toilette in Amethi
Das Ziel: Abgeschlossene Toiletten, wo Frauen Privatsphäre haben. Bild: CDO/Amethi

"Gerade für junge Frauen ist es während der Menstruation wichtig einen Raum zu haben, in den man sich zurückziehen kann. Wir haben deshalb viele Projekte an Schulen," sagt Stephan Simon, von der Welthungerhilfe. "Wenn es in der Schule keine sauberen, getrennten Toiletten gibt, dann gehen die Mädchen während der Periode nicht in die Schule. Sie verpassen den Unterricht. Das führt zu Bildungsausfällen und hat letztendlich auch eine Einfluss auf die Wirtschaftskraft eines Landes."

Kanalisation ist nicht überall die Lösung

Trotzdem geht es nicht darum jedem Land ein Abwassersystem nach europäischem Vorbild zu verpassen. "Das ist weder finanziell, noch baulich möglich. Auch wir in Deutschland könnten unser jetziges System nicht in zehn Jahren aus dem Boden stampfen. Außerdem gibt es in vielen Regionen dafür gar nicht genug Wasser. Wichtig ist, dass die Fäkalien nicht in die Umwelt gelangen und die Menschen eine saubere, würdige Toilette haben" sagt Arne Panesar von der GIZ. Bis 2015 galten aber noch anderer Entwicklungsziele. Es ging weniger um Nachhaltigkeit und mehr darum, die Menschen vom Feld zu holen. "Da wurden Toiletten gebaut, die dann aber in den Dorfteich abgeleitet wurden. Das ist natürlich nicht der Sinn der Sache. Als die neuen, nachhaltigen Ziele ausgeschrieben wurden, sind die Zahlen deshalb erst einmal wieder eingebrochen, weil jetzt viele gebaute Toiletten eben nicht mehr als sicher gelten," sagt Panesar.

Eine Lösung könnte zum Beispiel eine Kompost-Toilette sein. Da werden die Fäkalien aufgefangen und verrotten, ohne in die Umwelt zu gelangen. Auch eine sichere Sickergrube kann funktionieren, wenn sie weit genug von Brunnen oder dem Grundwasser entfernt ist.

Infografik Sanitärversorgung weltweit DEU

Richtig nutzen lernen

Ob die Umsetzung der Ziele bis 2030 klappt, kann heute noch keiner sagen. Damit es gelingt müssen nicht nur Toiletten gebaut werden, es geht auch um kulturelle Fragen und die richtige Vermittlung der Toilettenbenutzung an die Bevölkerung.

 "Nehmen wir zum Beispiel Äthiopien. Die Haushalte dort begrüßen es in der Regel eine Toilette zu bekommen. Aber schon nach kurzer Zeit werden die Toiletten nicht mehr so genutzt, wie sie genutzt werden sollen, sondern als Abstellraum oder als Vorratslager," sagt Stephan Simon. "Wenn man den Leuten nicht klar machen kann, dass man Fäkalien von Lebensmitteln trennen muss hat man hier nicht viel gewonnen. Sachliches Argumentieren bringt aber wenig. Es ist hilfreicher emotional zu argumentieren. Denn wer eine saubere Toilette und sauberes Wasser hat, fühlt sich besser und kann seinem Nachbarn ohne Scham die Hand geben."

Und genau diese Taktik verfolgt Indien mit seinem Toiletten-Liebesfilm. Das Thema wird enttabuisiert, es wird emotionalisiert, kulturelle und religiöse Bedenken werden angesprochen. Und das Fazit: Wer seine Frau liebt, der baut ihr einen Toilette.