Wer sind die "Reichsbürger"?
19. Oktober 2016Sie glauben, Deutschland sei nach wie vor lediglich ein von alliierten Westmächten besetztes Gebiet, ein reines Verwaltungskonstrukt. Für sie gelten immer noch die Grenzen des Deutschen Reiches von 1937. Die Rede ist von den sogenannten "Reichsbürgern", die deutsche Behörden mit Klagen überziehen und auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.
Es sind kleine Gruppen und einzelne Bürger - vorwiegend in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern. Die Bundesrepublik wird von ihnen als Rechtsnachfolgerin nicht akzeptiert und damit auch keine ihrer staatlichen Behörden. Sie lehnen Steuerzahlungen ab und gründen eigene kleine "Staatsgebiete", die sie "Zweites Deutsches Reich", "Freistaat Preußen" oder "Fürstentum Germania" nennen.
Sogar Pässe und Führerscheine lassen die Anhänger dieser Gruppierung für ihre vermeintlichen Staatsgebiete drucken. Selbst T-Shirts und Flaggen werden zu Werbezwecken produziert. Dass all dies illegal geschieht und auch von keiner deutschen Behörde anerkannt wird, ignorieren die "Reichsbürger". Auf ihren Internetseiten verkünden sie, den "Kampf gegen die Bundesrepublik" fortzuführen.
Nur Verrückte ?
Nach Erkenntnissen einiger Landesämter für Verfassungsschutz gibt es in Deutschland nur einige hundert "Reichsbürger". In Brandenburg wird ihre Zahl auf 150 bis 200 geschätzt. Sie sind meist männlich, im Durchschnitt älter als 50 Jahre und gehören eher den sozial schwächeren Gesellschaftsschichten an. Unter den Anhängern befinden sich viele Rechtspopulisten, Vertreter antisemitischer Einstellungen und Nazi-Ideologien. "Verschwörungstheoretiker" und "notorisch Unzufriedene" nannte sie ein Amtsrichter in Sachsen-Anhalt.
Problematisch ist die wachsende Radikalisierung dieser Personengruppe. Es beginnt meist damit, dass sie örtliche Behörden mit Anträgen und Widersprüchen gegen Anordnungen und Zahlungsbescheide überziehen. Unabhängig von den Inhalten sind die Ämter gesetzlich verpflichtet, jeden formal ordnungsgemäßen Antrag zu bearbeiten.
Bürgermeister etlicher Kommunen protestierten, weil sie neben viel unsinniger Arbeit zusätzlich von "Reichsbürgern" verbal angefeindet und auch körperlich angegriffen werden. Oft filmen Anhänger diese Attacken und stellen sie ins Internet.
In Bayern ist ein Fall aktenkundig, bei dem "Reichsbürger" einen Prozess stürmten und Akten vom Richtertisch mitnahmen. In Wittenburg (Mecklenburg Vorpommern) führten die Angriffe bereits dazu, dass Rathaus-Mitarbeiter Sicherheitsschulungen erhielten. Etliche spitze Gegenstände wurden von den Schreibtischen entfernt, und die Rathaustüren sind nicht mehr einfach zu öffnen. In Brandenburg wurden Notrufsysteme für Finanzämter getestet. Das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung hat inzwischen für hilfesuchende Verwaltungen einen umfangreichen Ratgeber erarbeitet. Ein Rat darin lautet: Keine Therapie versuchen!
Extreme Gewaltakte
"Reichsbürger" sind in letzter Zeit häufig als gewalttätig aufgefallen. Im Frühjahr wurde ein Gerichtsvollzieher mit einem Messer bedroht. Bei einer Zwangsräumung im Herbst in Sachsen-Anhalt musste die Polizei ausrücken, um einen Waffeneinsatz zu verhindern. In Reuden (Burgenlandkreis) schoss ein "Reichsbürger" in "seinem Staat Ur " auf Sicherheitskräfte eines Spezialkommandos.
Bei mehreren Hausdurchsuchungen fanden Polizeikräfte große Mengen Waffen und Munition. Anhänger der "Reichsbürger" bewaffnen sich weiter. In Höxter (Nordrhein-Westfalen) hatte eine Gruppe des "Freistaat Preußen" versucht, sich mit Waffen aus dem Ausland eine eigene Sicherheitstruppe aufzubauen.
Die Idee einer eigenen Schutzmacht verfolgte auch das zur Gedankenwelt der "Reichsbürger" zählende "Deutsche Polizei Hilfswerk" in Meißen (Sachsen). Polizeibeamte und Gerichtsvollzieher wurden Opfer dieser Truppe. Auf die festgestellten Straftatbestände Erpressung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung reagierte das zuständige Amtsgericht mit Gefängnisstrafen bis zu zweieinhalb Jahren für die Täter. Nach dem jüngsten Vorfall in Bayern hat Innenminister Joachim Hermann angekündigt, die "Reichsbürger" in Zukunft genauer beobachten zu lassen.