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Politik

Streit um Abtreibungen

Anja Köhler
27. Juni 2018

Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ist in Deutschland verboten. Ärzte, die solche Eingriffe auf ihren Internetseiten anbieten, werden immer wieder angezeigt. Jetzt dringen sie auf eine Neuregelung.

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Deutschland Gießen Prozess gegen Ärztin Kristina Hänel
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Kristina Hänel ist jetzt vorbestraft. Die 61-jährige Ärztin hat es nie in die Öffentlichkeit gedrängt, doch plötzlich ist sie bundesweit bekannt als Vorkämpferin für Frauenrechte.

"Wenn man mit 61 Jahren plötzlich in dieser Situation ist, wenn man sein Leben lang versucht hat, alles richtig zu machen, sich engagiert hat – dann ist das schon extrem", sagt die Ärztin im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Die Ärztin ist die einzige niedergelassene Medizinerin im Großraum Gießen, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. In nüchternen Worten bietet sie auf ihrer Internetseite an, Informationen zu diesem Thema per Mail zu verschicken. Im vergangenen November ist sie deswegen zu 6.000 € Geldstrafe verurteilt worden. Denn Abtreibungen sind in Deutschland offiziell verboten. In einer gewissen Frist und nach einer verpflichtenden Beratung sind sie lediglich straffrei. Doch strenggenommen ist jeder Schwangerschaftsabbruch noch immer eine Straftat, und deshalb ist auch Werbung für Abtreibungen in Deutschland verboten.

Das will Kristina Hänel so nicht mehr hinnehmen. Notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht will sie ziehen, sagt sie. Denn Hänel ist sich sicher, dass das Gesetz so nicht bestehen bleiben kann.

"Völlig abwegig"

§ 219a des Strafgesetzbuches regelt, dass Schwangerschaftsabbrüche öffentlich nicht angeboten werden dürfen. "Werbeverbot" nennt sich das, und genau das befürchten die Konservativen im Parlament: Werbung. Elisabeth Winkelmann-Becker von der CDU meint, wenn der Paragraf gestrichen werde, müsse man in Zukunft mit Werbung für Abtreibungen sogar im Fernsehen oder in Zeitungen rechnen. "Völlig abwegig" findet die Linken-Politikerin Cornelia Möhring diese Vorstellung. Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagt die Politikerin: "Ärzte sind verpflichtet, Frauen zu helfen. Außerdem besteht für Ärztinnen und Ärzte überhaupt kein Vorteil darin, denn mit Abtreibungen lässt sich kein Geld verdienen."

Demonstration gegen Paragraf 219a
Demonstrantinnen fordern die Abschaffung des Paragrafen 219aBild: picture-alliance/dpa/B.Roessler

Anhörung von Sachverständigen

Im Rechtsausschuss des Bundestages sollen neun Sachverständige ihre Sicht der Dinge erläutern. Die Gynäkologin Christiane Tennhardt ist eine von ihnen. Sie hält den §219a für nicht mehr zeitgemäß: Informationen im Internet zu suchen sei heutzutage normal. "Man redet immer von der informierten Patientin, das hat damit nichts zu tun! Man verkompliziert einen Akt, der rechtlich erlaubt ist."

Ein straffreier Schwangerschaftsabbruch soll nach dem Willen der Union die Ausnahme bleiben, für sie steht der Schutz des ungeborenen Lebens im Vordergrund. Frauen müssten Zeit haben, unbeeinflusst abzuwägen, erklärt der familienpolitische Sprecher von CDU/CSU, Marcus Weinberg. "Der Abwägungsprozess ist oft ein existenzieller, der den meisten Frauen nicht leicht fällt. Gerade in dieser Zeit sollten Versuche der Beeinflussung - etwa durch Werbemaßnahmen - unterbleiben."

Dass die Konservativen durch die Anhörung ihre Meinung ändern, glaubt die Linken-Politikerin Möhring nicht. Aber es gebe eine parlamentarische Mehrheit für die Streichung des umstrittenen Paragrafen. Das sei nur eine Frage der Zeit, glaubt auch Kristina Hänel. Sie hofft, dass durch die Experten mehr Sachverstand in die Debatte kommt. Sie weiß, dass es beim Thema Abtreibung um ideologische Grabenkämpfe geht. Die 61jährige bekommt Hassmails, wird bedroht. Auch Todesdrohungen sind darunter.

Manche Abtreibungsgegner listen auf ihren Internetseiten die Namen von Ärztinnen und Ärzten auf, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Von solchen radikalen sogenannten "Lebensschützern" kommen meistens auch die Anzeigen gegen Mediziner. Das kennt auch Christiane Tennhardt. "Der Paragraf bringt uns in eine Situation, wo wir ständig das Gefühl haben, man muss aufpassen."

Verändertes gesellschaftliches Klima

Seit Jahren werden immer wieder Ärzte wegen eines Verstoßes gegen §219a angezeigt. Auch bei Kristina Hänel war das vor zehn Jahren wegen des Textes auf ihrer Internetseite so. Dass die Anzeigen jetzt aber zu Gerichtsverfahren und zu Verurteilungen führen, erklärt sie sich mit einem veränderten gesellschaftlichen Klima. "Das hat mit dem Erstarken der Rechten zu tun, dass Abtreibungsgegner jetzt sehr massiv sind." Die Einschätzung teilt die Linken-Politikerin Möhring: "Das sieht man europaweit, in Zeiten eines politischen Rechtsrucks gibt es immer Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen."

Eine Frage der Zeit

Ohne Kristina Hänel wäre das Thema wohl nicht so bald auf die Tagesordnung im Bundestag gekommen. Sie hatte das Gefühl, sich nicht mehr verstecken zu können, sich nicht mehr verstecken zu wollen. Für sie ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Paragraf verschwindet: "Das Frauenwahlrecht haben wir schließlich auch irgendwann bekommen."