Transkript: 48. Werkstätten: Wertschätzung, besseren Lohn
23. Juni 2022Jingle: DW. "Echt behindert!"
Moderator Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus.
"WfbM" - dahinter verbirgt sich der Begriff "Werkstatt für behinderte Menschen". Früher hieß das auch mal "Beschützende Werkstätten". Die WfbM sind etwas, das es in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern gibt. Aber in Deutschland ist der Anteil von behinderten Menschen, die hier arbeiten, besonders hoch. Sie sollen hier eine Arbeit finden, die nicht dem Leistungsdruck und der freien Wirtschaft des ersten Arbeitsmarktes unterliegt, und gleichzeitig sollen sie hier fit gemacht werden, um eine Arbeit auf eben jenem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Das System ist umstritten, zumal die Menschen, die dort arbeiten, fast keinen Lohn erhalten, eher ein Taschengeld. Heute zu Gast in "Echt behindert!" ist Laura Loscheider. Sie stammt aus Köln und sie arbeitet in einer solchen Werkstatt. Außerdem war sie Kandidatin für den NRW Landtag. Über Politik sprechen wir also später auch noch. Schönen guten Abend, Frau Loscheider.
Laura Loscheider: Guten Abend.
Matthias Klaus: Können Sie vielleicht zunächst einmal erzählen, wo Sie arbeiten?
Laura Loscheider: Ich arbeite bei den Sozial-Betrieben Köln-Bickendorf, bei der Werkstatt, auf einem ausgelagerten Arbeitsplatz. Ich bin zwar Angestellte der Werkstatt, aber ich arbeite in einem Betrieb außerhalb, auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Matthias Klaus: Wie sind Sie in eine Werkstatt gekommen? Waren Sie vorher in einer Förderschule?
Laura Loscheider: Ich war vorher in einer Förderschule, und Förderschule ist meistens, in der Regel, gleich "Werkstatt für Menschen mit Behinderung".
Matthias Klaus: Gibt es denn da auch andere Möglichkeiten? Hätten Sie eine normale Ausbildung bekommen können oder war es von vornherein klar, dass es eine Werkstatt
Laura Loscheider: Ich habe vorher so eine Berufsvorbereitungsmaßnahme gemacht, auch hier in Köln, aber nur einen Monat, und dann wurde ich hier abgemeldet, weil die nicht mit meiner Epilepsie klarkamen und ich dort noch mehr Anfälle hatte als jetzt.
Matthias Klaus: Erzählen Sie mir, welche Art von Behinderung haben Sie neben Epilepsie?
Laura Loscheider: Ich habe eine Lernbehinderung. Also, mir fällt es halt schwer, Neues zu lernen. Neues lerne ich halt langsamer. Was Rechnen angeht, das fällt mir auch sehr schwer, und ich brauche halt auch länger, um so etwas auch zu verstehen.
Matthias Klaus: Wenn man so in eine Werkstatt kommt - jetzt nach der Schule - da gibt es ja dieses Eingangsverfahren. Das haben Sie abgebrochen. Hätte das eigentlich länger gehen sollen oder wie war das?
Laura Loscheider: Zuerst habe ich diese Vorbereitungsmaßnahme gemacht, also auf dem normalen Arbeitsmarkt. In Bielefeld habe ich noch mal so was gemacht, weil dort das Berufsförderungswerk auf Epilepsie und so spezialisiert ist, und elf Monate habe ich das gemacht. Es gab verschiedene Arbeitsbereiche, und da war ich unter anderem in der Küche, in Hauswirtschaft und im Hotel. Aus der Küche bin ich relativ schnell raus, weil es wegen meinen Anfällen nicht ging. Dann habe ich noch Hotel gemacht und Gartenlandschaftsbau hatte ich auch, aber da es Winter war, war es dort relativ langweilig und am Ende hat sich, meinten sie, herausgestellt, dass ich nicht ausbildungsfähig war. Obwohl ich in der Zeit wirklich sehr viele epileptische Anfälle hatte, habe ich immer versucht, auch dort in der Berufsschule, die da angeschlossen ist. Da habe ich das erste Mal Noten bekommen.
Matthias Klaus: Das heißt, das war eigentlich eine normale Ausbildung, oder war das auch schon eine Werkstattausbildung?
Laura Loscheider: Das wäre über den Weg eine normale Ausbildung gewesen und es war eigentlich nur eine Berufsvorbereitungsmaßnahme. Und danach ging es direkt in so eine Werkstatt, wo die Berufsbildung in der Werkstatt war, weil ich das eine ja nicht geschafft habe.
Matthias Klaus: War das dann auch in Bielefeld?
Laura Loscheider: Ja, dann habe ich drei Jahre noch in Bielefeld gewohnt, auch in einer speziellen Einrichtung für junge Erwachsene mit Epilepsie. Die gibt es halt nur in Bielefeld. Dann habe ich das dort mit der Werkstatt gemacht und dann bin ich nach drei Jahren wieder zurück nach Köln gezogen. Familie, Freunde und so habe ich sehr vermisst und wollte direkt nach der Zeit wieder nach Köln ziehen. Das habe ich geschafft.
Matthias Klaus: Was für eine Arbeit hatten Sie in Bielefeld in diesen drei Jahren?
Laura Loscheider: Das war auch diese Werkstatt in so einem Bildungszentrum, das ist halt eigentlich auch eine Werkstatt, und da habe ich was in der Montage und Verpackung oder was das war [gemacht], also so Kleinmontage, das war echt langweilig. Und dann hatte ich da auch so einen ausgelagerten Arbeitsplatz, nachdem ich die Berufsausbildung fertig gemacht habe, in so einer Schulcafeteria, und danach bin ich halt wieder zurück nach Köln gezogen.
Matthias Klaus: Dann waren Sie in Bielefeld und haben sich entschlossen, nach Köln zu gehen. Wie geht man so was an? Also, sagt man dann zu seiner Werkstattleitung oder seiner Berufsbildungswerk-Leitung: Ich möchte hier weg, ich will umziehen, helft mir bitte dabei oder wie funktioniert das?
Laura Loscheider: Ich komme ja auch ursprünglich aus Köln. Ich bin ja hier geboren und aufgewachsen in Köln und ich bin nur auf Drängen meiner Eltern dorthin. Und für diese Einrichtung ist die Mindestdauer, wo man da wohnen kann, drei Jahre. Und meine Bedingung war, als ich dahin gegangen bin, dass ich nach diesen drei Jahren wieder zurück nach Köln ziehen kann.
Matthias Klaus: Wird man dann entlassen? Wie findet man dann in Köln eine neue Arbeit?
Laura Loscheider: Das haben da die Bezugsmitarbeiter in der Einrichtung vorher mit meiner Mutter gemacht, aber halt direkt auch Werkstattanmeldung, also auch in so einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, ohne irgendwas anderes. Sie meinten, das wäre das Beste für mich. Ich wäre auch fast in so einem Behindertenwohnheim gewesen, wo ich zum Beispiel nicht alleine raus durfte oder auch einkaufen und so. Aber dann habe ich von so einem Wohnprojekt der Lebenshilfe gehört, und jetzt wohne ich halt alleine in einer eigenen Wohnung und kriege zweimal die Woche ambulante Betreuung durch die Lebenshilfe, die mir mit der Alltagskultur helfen, die ich halt noch brauche, was mir noch schwerfällt.
Matthias Klaus: Was machen die dann mit Ihnen?
Laura Loscheider: Meine Tabletten stellen, halt so aufräumen, also Ordnung schaffen, so in der Wohnung, und mit mir genau durchsprechen, wie ich das alles am besten so halten kann.
Matthias Klaus: Welche Arbeit war es dann? Was haben Sie in Köln denn dann gemacht?
Laura Loscheider: Anfangs war ich auch wirklich in der Werkstatt, in der Küche. Da ging es eigentlich nur darum, morgens Brötchen zu schmieren, mittags Essen auszuteilen und halt später dann spülen und halt saubermachen.
Matthias Klaus: Aber da sind Sie heute nicht mehr. Wo sind Sie denn heute?
Laura Loscheider: Heute bin ich bei Ikea in Köln am Butzweiler Hof. Aber ich habe davor andere Sachen gemacht. Bevor ich bei Ikea war, war ich in der Küche, beim Arbeitsamt, hab da auch nur gespült, nur ein paar Mal Essensausgabe gemacht.
Matthias Klaus: Das war aber praktisch alles nicht erfüllend. Das heißt, Sie haben immer gesagt, ich möchte eigentlich noch was anderes machen, das möchte ich nicht den Rest meines Lebens machen.
Laura Loscheider: Ja, genau. Das mit der Küche wollte ich nicht, weil die Chefin da sehr gemein zu mir war. Sie war anscheinend nie zufrieden. Ich habe halt schon mal manche Dinge vergessen oder mein Arbeitstempo war nicht schnell genug. Dann hat sie mir Druck gemacht. Dann wurde das auch nicht besser. Und dann habe ich gesagt, ich halte es nicht mehr aus, ich will hier weg. Dann haben die mich da erst mal runtergenommen, wieder in die Werkstatt, bevor ich zu Ikea gegangen bin. Und da bin ich jetzt auch schon fast zwei Jahre.
Matthias Klaus: Wie funktioniert das bei Ikea? Kommen Sie da gut klar?
Laura Loscheider: Da komme ich gut klar, mit meinen Kollegen, mit meinem Chef und Kundenkontakt. Und das gefällt mir sehr viel besser als das andere.
Matthias Klaus: Können Sie ein bisschen beschreiben, was Sie da genau arbeiten?
Laura Loscheider: Ich bin da in der Glas-Porzellan-Abteilung und räume dort die Ware zurück, die liegen geblieben ist, die räume ich wieder in die Regale zurück, weil Kunden legen [sie] ja überall ab. Dann werden die halt eingesammelt. Wir haben halt Wagen, wo die Abteilungen draufstehen, dann wird rein sortiert. Dann holt sich jede Abteilung ihren Wagen, und dann wird die Ware wieder zurück geräumt, und ich räume wieder Neuware in die Regale, und ich berate dann aber auch Kunden.
Matthias Klaus: Also, wenn ich da jetzt durch die Regale laufen würde und frage: Wo sind denn jetzt hier die Böden vom Billy-Regal? dann würden Sie mir sagen: Regal 28, dritte Etage oben oder so etwas.
Laura Loscheider: Ja, genau, das Regal und Fach. Ich habe auch so ein Gerät zum Nachgucken, wo das dann ist. Und dann kann ich das sagen, wo man dann was findet.
Matthias Klaus: Ist das denn jetzt eine Arbeit, die Ihnen gefällt?
Laura Loscheider: Ja, das gefällt mir schon gut. Ja.
Matthias Klaus: Das ist ja ein ausgelagerte Arbeitsplatz. Angestellt sind Sie bei der Werkstatt nach wie vor. Stimmt das so?
Laura Loscheider: Ja.
Matthias Klaus: Wie funktioniert das? Ikea geht zur Werkstatt und sagt: Wir hätten gerne Arbeitskräfte, geben Sie uns Arbeitskräfte oder wie geht das? Wissen Sie das?
Laura Loscheider: Die haben meistens so Betriebe, mit denen die Werkstatt kooperiert, und Ikea ist halt eine davon. Erst mal habe ich ein Praktikum gemacht, um zu sehen, wie es ist, hatte meinen Praktikumsvertrag, dann gibt es diesen Kooperationsvertrag zwischen IKEA und der Werkstatt, was IKEA halt an die Werkstatt für mich zahlt, dass ich dort eingesetzt bin, und dadurch bekomme ich halt auch etwas mehr Geld als wenn ich in der Werkstatt arbeiten würde.
Laura Loscheider: Ich bekomme 348 [Euro] und 70 Cent.
Matthias Klaus: Das kriegen Sie von der Werkstatt dann bezahlt. Und dazu gibt es Grundsicherung. Sie müssen ja von etwas leben. Das reicht ja nicht.
Laura Loscheider: Ja, Grundsicherung,
Matthias Klaus: Die Frage ist ja immer: Ist das richtig so? Finden Sie das, auch als jemand, der politisch engagiert ist, finden Sie das richtig, dass man doch sehr wenig Geld bekommt? Oder sagen Sie: Das ist angemessen, weil Sie ja auch vielleicht langsamer arbeiten oder auch mal ausfallen?
Laura Loscheider: Ich finde, wir müssten auch mehr Geld kriegen, aber vor allen Dingen mehr Wertschätzung. Weil in den Werkstätten kriegen wir nicht die Wertschätzung für unsere Arbeit, und wir verpacken ja auch Schrauben oder halt auch Teile wie zum Beispiel von Ford oder anderen bekannten großen Herstellern oder Firmen. Und ich finde, wir verdienen mehr Wertschätzung und Anerkennung und dadurch halt auch was mehr Lohn.
Matthias Klaus: Woran merken Sie, dass Sie nicht genug Wertschätzung bekommen? Werden Sie schlecht behandelt oder erzählt man Ihnen, Sie können sowieso nichts. Wie ist das für Sie?
Laura Loscheider: Geht man auf die Leute zu und möchte was von denen, dann gucken die erstmal verwundert. Dann versuchen die einen klein zu halten, bevor man erst mit Hilfe von Außenstehenden […], die dann doch ein Einsehen haben. Aber dazu sage ich gleich noch was.
Matthias Klaus: Würden Sie von sich sagen, dass die Werkstatt der richtige Ort für Sie ist oder wären Sie lieber eigentlich auf dem ersten Arbeitsmarkt?
Laura Loscheider: Ich wäre lieber auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Matthias Klaus: Jetzt mal nicht nur wegen dem Geld. Meinen Sie denn auch, dass Sie das schaffen würden?
Laura Loscheider: Ich würde es auf jeden Fall gerne ausprobieren, wenn ich die Chance dazu hätte. Und nach meinem jetzigen Stand denke ich, dass ich das schon schaffen werde, auch mit Früh- und Spätdienst. Jetzt habe ich ja eine Arbeitszeit von 10 bis 17 Uhr, aber ich würde auch mit Früh- und Spätdienst klarkommen, wie im Supermarkt auch, als ich dort weniger Stunden hatte.
Matthias Klaus: Wie soll es denn jetzt weitergehen? Sie möchten gerne im ersten Arbeitsmarkt arbeiten. Haben Sie eine Chance? Es heißt ja immer, in den Werkstätten würden nur 1 bis 2 Prozent der Menschen, die dort arbeiten, überhaupt fit gemacht für den ersten Arbeitsmarkt. Aber Sie scheinen ja schon dazu zu gehören und dass Sie das auch möchten. Wie würde das denn jetzt weitergehen, um das zu erreichen? Was müssten Sie da machen?
Laura Loscheider: Dieser Schritt ist eigentlich ziemlich kompliziert. Da muss die Bereitschaft natürlich vom Betrieb sein, das ist jetzt bei mir ja Ikea. Dann werden die Gespräche geführt, der soziale Dienst der Werkstatt ist halt mit drin. Dann dieser Fachbereich für Außenarbeitsplätze und dann noch der Integrationsfachdienst. Und dann gibt es […], keine Ahnung, wie das dann läuft mit den Gesprächen. Beim ersten war ich gar nicht mit dabei, wo es darum ging, dass ich Interesse habe, da fest anzufangen.
Matthias Klaus: Aber das haben Sie schon bekundet. Also das hat schon[…] sozusagen, das läuft jetzt schon.
Laura Loscheider: Ja, so ist es. Ich höre zumindest nix Neues, und das ist schon ein Jahr her, und mein Vertrag dort läuft jetzt nur noch so ein halbes Jahr.
Matthias Klaus: Hm. Und was können Sie da jetzt als Nächstes machen? Wie kriegen Sie die dazu, dass sie noch weiterhin Interesse haben und dass Sie sagen: Ich möchte aber und ich möchte endlich mehr Geld verdienen, endlich einen ernst genommenen Arbeitsplatz haben. Was können Sie in den nächsten Monaten da jetzt noch tun?
Laura Loscheider: Denen beweisen, dass ich nicht überfordert bin und dass ich halt auch im Schichtdienst arbeiten kann. Also, dass ich auch Früh- und Spätdienst machen kann.
Matthias Klaus: Das machen Sie im Moment aber noch nicht.
Laura Loscheider: Nee, im Moment noch nicht. Das wäre […] zumindest wurde es mir so vorgeschlagen, ob ich es nicht machen will, um zu zeigen, dass ich das kann, weil die Angst haben, mich zu überfordern. Obwohl das ja eigentlich in dem Sinne jetzt nicht so viel Unterschied macht bei der hohen Stundenanzahl.
Jingle:
Matthias Klaus: Kleiner Einschub zwischendurch: Die Frage nach der Entlohnung von Werkstattmitarbeitenden wird derzeit im Netz diskutiert, und zwar unter dem Hashtag "Ihr beutet uns aus". Es geht um Mindestlohn und um die Frage, wie und ob Firmen von billig eingekaufter Arbeitskraft aus Werkstätten für behinderte Menschen profitieren.
Jingle:
Matthias Klaus: Sie hören "Echt behindert! ", den Podcast für Barrierefreiheit und Inklusion der Deutschen Welle. Bei mir zu Gast ist Laura Claire Loscheider aus Köln. Frau Loscheider, wie kamen Sie dazu, in die Politik gehen zu wollen?
Laura Loscheider: Ein Hauptgrund war eigentlich, dass mich halt vieles stört, wie halt Inklusion. Die kommt wenig voran. Menschen mit Behinderung sind immer noch leider so eine Randgruppe. Wir werden halt nicht richtig wahrgenommen, und das sehe ich auch an meinen Freunden. Und sonst wäre das ja auch einfacher, aus der Werkstatt herauszukommen, wenn wir bereiter wären, auch wirklich für Inklusion so zu leben und alle anderen Dinge - so ist die Erfahrung, die ich gemacht habe. Wie ich dann gesehen habe, die anderen, die das nicht machen mussten, finde ich vieles echt ungerecht. Und dann kam der Augenblick, wo ich gesagt habe: Jetzt muss ich was tun, und ich engagiere mich politisch.
Matthias Klaus: Wann war das?
Laura Loscheider: Vor einem Jahr.
Matthias Klaus: Wie ging es dann weiter? Sich politisch engagieren ist ja eine Sache, aber dann muss man ja überlegen, wo macht man das? Welche Partei sucht man sich aus? Wie sind Sie darauf gekommen - Sie waren für [die Partei] "Volt" auf der Kandidatenliste für den Landtag - dass Sie sich dort engagieren und nicht, was weiß ich, bei der CDU, SPD, den Grünen oder sonst wo.
Laura Loscheider: Das Gute ist, sie [Volt] ist noch eine junge Kleinpartei. Es gibt sie erst seit fünf Jahren, und wir sind halt europaweit. Das Besondere an Volt ist, man kann halt auch direkt mitarbeiten, ohne Mitglied zu sein. Sie sind ja unter anderem auch in Köln im Stadtrat. Und dann gibt es zu den Ausschüssen Arbeitskreise, und da kann man sich dann halt auch schon direkt einbringen und mitmachen. Die anderen sind sehr nett, also sind nett und haben mich auch wirklich ernst genommen und schätzen mich und finden meine Ideen und Erfahrungen, die ich mitbringe, toll. Und die sagen dann zum Beispiel, sie haben durch mich eine ganz andere Sicht bekommen.
Matthias Klaus: Wie war das bei den Menschen in der Partei? Haben die gesagt: Weiß nicht, ob das was wird? Oder waren die wirklich direkt so offen, dass sie gesagt haben: Na klar, bring dich ein.
Laura Loscheider: Die haben direkt gesagt: Ja klar, bring dich ein und haben mich auch ermutigt zu kandidieren, wo ich mir recht unsicher war, ob ich das kann, ob ich das machen soll. Und da haben die gesagt: Ja, auf jeden Fall. Die haben mich darin sehr bestärkt und haben mir dann ja auch geholfen, all die Hürden zu überwinden.
Matthias Klaus: Welche Hürden gab es denn?
Laura Loscheider: Die größte war eigentlich die Freistellung. Man hat, wenn man kandidiert, für ein Parlament einen rechtlichen Anspruch. Das heißt "Wahlvorbereitungsurlaub", bis zu acht Wochen vor der Wahl zum Wahltag. Und ich habe halt sechs Wochen genommen, denn ich war ja auf Listenplatz sieben und ich war ja nicht Spitzenkandidatin. Wäre ich noch weiter oben gewesen, hätte ich vielleicht auch länger diese Freistellung gemacht. Und die ist halt unentgeltlich. Also, man kriegt natürlich dafür kein Geld, aber man kann freigestellt werden und das steht einem rechtlich zu. Und das kannten die halt von der Werkstatt nicht. Ich habe es extra auch schon Monate im Voraus gesagt, als die Liste feststand, damit sie sich informieren können. Das haben sie aber nicht gemacht. Zuerst haben sie gesagt, ich solle doch dafür meinen ganzen Jahresurlaub nehmen oder halt dafür noch diese fünf Tage im Jahr, die hat man noch zusätzlich in der Werkstatt für Fortbildungsurlaub. Aber das ist ja nicht richtig so, weil ich hatte ja Anspruch auf diese Freistellung wie alle anderen auch. Das haben wir beim Landschaftsverband extra nachgefragt. Die haben zu der Zeit irgendwie auch auf mir rumgehackt – da war ich auf einem Seminar. Und dann habe ich gesagt, dass das nicht stimmt, da haben die mich nicht wirklich ernst genommen. Dann wollten die Nachweise über meine Mitgliedschaft und dass ich Kandidatin bin. Und die anderen Kandidaten von uns, die mussten das nicht nachweisen, dass sie Mitglied oder Kandidaten sind, das musste nur ich erbringen und die anderen konnten das auch überhaupt nicht verstehen. Und dann hat einer unserer Kölner Volt-Vorsitzenden dann Mails dahin geschrieben und das noch bestätigt. Aber da kam aber auch zuerst nichts zurück. Und dann hat unser Landesvorstand auch noch ein offizielles Schreiben gemacht, und dann hatten die so langsam ein Einsehen. Dann hat meine Parteikollegin mir noch mitgeholfen. Als sie dann zu so einem Gespräch mitkam, da hat es auf einmal funktioniert. Aber habe ich alles angesprochen und versucht, mich zu erkundigen, dann wurde ich abgewiesen. Es müssen immer Außenstehende anscheinend mitkommen und bestätigen, dass es wirklich so ist.
Matthias Klaus: Nun ist ja die Landtagswahl vorbei, und die Partei Volt hat keine Sitze dort geholt in Köln. Aber wahrscheinlich sind Sie jetzt nicht mit der Politik fertig. Ich nehme an, Sie werden weitermachen. Was ist denn das, was Sie im Moment dort am meisten bewegt? Was wollen Sie auch innerhalb dieser Partei jetzt weiter voranbringen?
Laura Loscheider: Als nächstes erkundige ich mich hier bei der Behindertenbeauftragten der Stadt Köln zum Beispiel über Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen. Es gibt ja auch welche, aber die sind zum Beispiel nicht alle barrierefrei und gerade auch was dann zum Beispiel so Sachen wie Gewalt angeht, gibt es wenige Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen. Und dann sind die Räumlichkeiten noch nicht mal barrierefrei. Und ich möchte da einbringen, dass wir hier in Köln so einen Fördertopf haben für barrierefreie Beratungsangebote.
Matthias Klaus: Mal jetzt politisch gesprochen: Wir haben ja vorhin viel über Werkstätten geredet und Ihre Karriere dort. Würden Sie politisch sagen: Sind Werkstätten so, wie sie im Moment sind, sinnvoll oder gehören sie abgeschafft oder sollte man sie einfach ändern?
Laura Loscheider: Man sollte sie auf jeden Fall so ändern, dass der Übergang von der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt leichter ist. Im Moment sind ja so viele beteiligt und eigentlich würde ich mir auch wünschen, dass das System durchlässiger ist und dass das einen nicht so blockiert.
Matthias Klaus: Was halten Sie von der Forderung, alle Werkstattmitarbeitenden sollten Mindestlohn bekommen?
Laura Loscheider: Ich finde selber die Forderung gut, aber schwierig umzusetzen, weil das System echt kompliziert ist, denn es sind ja nur arbeitnehmerähnliche Verhältnisse und deswegen bekommt man ja auch keinen Anspruch auf Mindestlohn und deswegen gibt es auch keine Gewerkschaft, die das für uns einfordert, weil wir ja keine richtigen Arbeitnehmer sind. Also, man müsste das völlig umstrukturieren, um da überhaupt etwas ändern zu können. Und solange das halt so belassen wird wie das ist, wird sich ja auch in Sachen Lohn nix ändern.
Matthias Klaus: Was muss in Deutschland geschehen, damit das Leben für behinderte Menschen besser wird? Haben Sie so ein paar Forderungen, die Sie auch in Ihrer Partei einbringen, was sich unbedingt ändern muss?
Laura Loscheider: Das fängt an mit dem Schulsystem. Das ist auch sehr undurchlässig wie die Werkstätten. Da wird man schon so aussortiert, keine Ahnung, wie das läuft. Es gibt ja auch so einen IQ Test oder so und dann wird man ja auch so praktisch so eingestuft und wenn man ja halt unter dem Durchschnitt ist, dann ist es meistens eine Förderschule und keine normale Schule oder halt, wenn man mehr Unterstützung oder Pflege braucht, dann sind es auch meistens Förderschulen, weil es auf allgemeinen Schulen das nicht gibt. Für ein inklusives Schulsystem bräuchte man halt auch Sozialarbeiter, das wäre ja für alle gut. Das müssten dann wie an Förderschulen auch das Fachpersonal sein, diese Therapien, die da sind, müssten dann dort auch gehen. Dann natürlich die barrierefreien Räumlichkeiten und Rückzugsmöglichkeiten und natürlich die Lehrer in Sachen Inklusion. Dann halt auch Schulen oder halt, dass die Sonderpädagogen mit den anderen Lehrern von den Regelschulen mehr zusammenarbeiten, um das Beides zusammen zu fördern, denn davon profitieren ja alle. Und wenn wir alle auf eine Schule gehen könnten, ist der soziale Umgang auch ein ganz anderer, und wir hätten da auch mehr Chancen, uns gegenseitig zu entfalten. Dann würden vielleicht auch nicht alle, so viele, die fitter sind, eigentlich so in den Werkstätten landen, nehme ich mal an.
Matthias Klaus: Das ist die Meinung von Laura Loscheider. Sie ist lokalpolitisch und landespolitisch aktiv, und sie arbeitet auf einem Außenarbeitsplatz in einer Behindertenwerkstatt in Köln. Das war "Echt behindert" für heute. Vielen Dank, Frau Loscheider, dass Sie Zeit für uns hatten und erklärt haben, wie zum einen das Leben in der Werkstatt ist und für was Sie sich politisch engagieren.
Laura Loscheider: Danke. Gerne.
Matthias Klaus: Das war "Echt behindert!" für heute. Mein Name ist Matthias Klaus.
Sprecher: Mehr folgen unter dw.com/echtbehindert.
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Lesenswert auch dazu die Debatte auf Twitter unter dem Hashtag
#Ihrbeutetunsaus
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