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Extremwetter: Nur eine Laune der Natur?

Hannah Fuchs22. Oktober 2015

Wenn das Wetter verrückt spielt, muss dann unbedingt der Klimawandel schuld sein? Oder können das auch ganz normale Launen der Natur sein? Wir haben die Zahlen.

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Gewitter und Tornado (Foto: Fotolia/Daniel Loretto).
Bild: Fotolia/Daniel Loretto

2014 war ein ruhiges Jahr - zumindest, wenn es um die Auswirkungen von Naturkatastrophen geht. Beim Verfolgen der Nachrichtenlage mag man vielleicht einen anderen Eindruck gewinnen, aber die Zahlen beweisen es: 7700 Menschen kamen 2014 durch diverse Naturgewalten ums Leben. Der Durchschnittswert der letzten zehn Jahre liegt bei 97.000, der der letzten 30 Jahre bei 56.000.

"Dass die Naturkatastrophen im vergangenen Jahr weniger Menschenleben gekostet haben, ist - bei aller Tragik im Einzelfall - eine gute Nachricht", findet Torsten Jeworrek, Mitglied des Vorstands von Munich Re.

Die Münchener Rückversicherung, Munich Re, führt seit den 1970er Jahren Statistiken über Extremwetterschäden durch Überschwemmungen, Dürren, Hagel, Kälte oder Wirbelstürme. Aber auch über geophysikalische Ereignisse - also Erdbeben, Tsunami und vulkanische Aktivitäten. Schadensereignis heißen solche Naturkatastrophen im Versicherungsdeutsch.

Todesopfer durch Naturkatastrophen (Grafik: DW).
Kein Extremwetter, aber eine verheerende Katastrophe: 2010 starben beim Erdbeben in Haiti über 200.000 Menschen

Sicherheitssysteme zahlen sich aus

Diese positive Entwicklung ist jedoch keine zufällige Entwicklung, denn vielerorts funktionieren schlichtweg die Frühwarnsysteme besser als noch vor einigen Jahren. "Behörden brachten Menschen bei heraufziehenden Wetterkatastrophen konsequent in Sicherheit, so vor dem Auftreffen des Zyklons Hudhud auf die Ostküste Indiens und des Taifuns Hagupit auf die Küste der Philippinen", ergänzt Jeworrek.

2014: Weniger Opfer, mehr Katastrophen

Mit Blick auf die untenstehende Grafik lässt sich aber auch noch eine andere Entwicklung bei der Anzahl der Naturkatastrophen feststellen: Sie steigen seit 1980 an. Nicht konsequent, aber peu à peu. 2014 toppt sogar den bisherigen Highscore mit 980 schadenrelevanten Ereignissen. Deutlich mehr als im Vergleich zum Zehn-Jahres-Durchschnitt (830) oder im Bezug auf die letzten 30 Jahre (640).

Schadensereignisse weltweit 1980 - 2014 (Grafik: DW).

"Das liegt zum einen sicherlich am Klimawandel, zum anderen aber auch daran, dass solche Ereignisse heute leichter zu beobachten und zu erfassen sind", erklärt Stefan Straub, Pressesprecher zum Thema Klimawandel und Erneuerbare Energien bei Munich Re im DW-Gespräch.

"Einzelereignisse ordnen wir jedoch nicht ausdrücklich dem Klimawandel zu, da jedes Ereignis für sich auch ohne Klimawandel möglich wäre", so Straub weiter, "allerdings mag es Ereignisse geben, die durch den Klimawandel verschärft werden - zum Beispiel eine Sturmflut, die durch erhöhte Meeresspiegel verschlimmert wird." Letztlich führten die Wettereignisse in der Summe zu einer Klimabeobachtung, und darin seien dann wieder Trends und mögliche Ursachen erkennbar.

Weniger Geologie, mehr Wetter

2014 entfielen mehr als neun von zehn (92 Prozent) der schadenrelevanten Naturkatastrophen auf Extremwetterereignisse, heißt es in der Jahresbilanz. Erdbeben, Tsunami und vulkanische Aktivitäten spielten damit im letzen Jahr nur eine untergeordnete Rolle.

Auch die vergleichsweise harmlose Hurrikan-Saison im Nordatlantik sei auffällig gewesen, die tropische Wirbelsturmsaison im Ostpazifik dagegen von weit überdurchschnittlich vielen Stürmen geprägt. Die aber trafen meist nicht auf Land. Anders im Nordwestpazifik. Dort kamen vergleichsweise viele Taifune an der japanischen Küste an, der Schaden blieb aber wegen der dort hohen Bau- und Infrastrukturstandards gering.

Wolkenforschung: Das Geheimnis der Aerosole

El Niño grüßt

"Die beobachteten Muster passen gut zu dem, was in einer entstehenden El-Niño-Phase erwartet werden kann", sagte Peter Höppe, Leiter der GeoRisikoForschung von Munich Re. Genauso wie im letzten Dezember die Stürme und Starkniederschläge in Kalifornien nach langer Dürre ein Zeichen für das Klimaphänomen waren.

Die Ruhe vor dem Sturm?

Die Halbjahresbilanz für 2015 sieht dagegen schon anders aus. Innerhalb der ersten sechs Monate kamen über 16.000 Menschen ums Leben. Fast 9000 davon starben allein beim verheerenden Erdbeben in Nepal. Ausgerechnet die Naturgewalt, auf die 2014 nur ein verschwindend geringer Anteil in der Gesamtbilanz zurückzuführen war, schien beweisen zu wollen, wie katastrophal die Auswirkungen eines Bebens der Stärke 7,8 sein können. "Oft ist die Anzahl der Extremwetterereignisse und der Naturkatastrophen zufallsgetrieben", sagt Stefan Straub auf die Frage nach dem Wieso und Weshalb.

Danach folgte die schlimme Hitzewelle in Indien und Pakistan im Juni, bei der rund 3600 Menschen starben. Zwar sind Hitzewellen in diesen Regionen vor Beginn der Monsunzeit normal, aber Temperaturen mit 47 Grad Celsius sind selbst dort außergewöhnlich hoch. Wenig Wind und eine gleichzeitig hohe Luftfeuchtigkeit sorgten für eine noch extremere Wirkung.

Auch wenn diese Zahlen im Vergleich zu 2014 erschreckend sind - wirft man einen Blick auf den Zehn-Jahres-Durchschnitt mit 46.000 Todesopfern im ersten Halbjahr, wird klar, wie unberechenbar die Natur mit all ihren Katastrophen und Wetterextremen war - und noch immer ist. Statistiken, Frühwarnsysteme und Vorhersagen hin oder her.

Prognose: El Niño gefolgt von kleiner Schwester

Und trotzdem werden immer wieder Prognosen gewagt. Von El Niño "wird erwartet", so in der Halbjahresbilanz von Munich Re nachzulesen, dass sich seine Phase bis in den Herbst weiter verstärkt und zu Beginn des Jahres 2016 abklingt. Auf einen starken El Niño folgt in der Regel eine La-Niña-Phase.

Das heißt: Die typischen Klimaverhältnisse einer Gegend werden noch verstärkt. Unter Klimaforschern gilt La Niña als kleine Schwester von El Niño.

"Schwer berechenbar"

Eine langfristige Vorhersage der beiden Wetterphänomene hält der Deutsche Wetterdienst (DWD) allerdings für schwierig. "Eine Zeit lang war vielleicht eine Rhythmik dabei, die scheint sich aber verwässert zu haben", sagte Gerhard Lux zur DW. Die Ereignisse seien von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig, "und zudem sind so noch dazu viele Überraschungen möglich, dass Vorhersagen eher eine kurzfristige Angelegenheit von fünf bis zehn Tagen sind." Konkrete Warnungen seien demnach etwa eine Woche im Voraus möglich.

Und was ist nun mit dem Klimawandel?

Florian Imbery, von der Abteilung für Klimaanalyse beim DWD glaubt ebenfalls nicht, dass sich einmalige Rekordereignisse - darunter auch Stürme, Orkane oder Fluten - eindeutig dem Klimawandel zuordnen lassen. In einem früheren Gespräch zur Hitzewelle in Deutschland erklärte er, "wir müssen uns so etwas langfristig ansehen". Denn in der Klimaforschung beschäftige man sich mit viel längeren Zeiträumen, über 30 Jahre etwa. "Zwei Punkte sind dann besonders wichtig: Wie oft, oder wann tritt ein Ereignis auf? Wie intensiv war es?"

Infografik Hitzeperioden Deutschland 1950-2013 (Grafik: DW).

Und hier lässt sich, so der Klimaexperte, im Rückblick deutlich ablesen, dass seit den 1990er Jahren zum Beispiel die Hitzeperioden in den deutschen Städten deutlich zugenommen haben. "Das ist wiederum etwas, was sich klar auf die Erderwärmung zurückführen lässt", so Imbery.

Erderwärmung begünstigt Extremwetter

Dies betonte auch Paul Becker, Vizepräsident des DWD, bei der Klimapressekonferenz des Deutschen Wetterdienstes im vergangenen März. Insbesondere die Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Wärmeperioden gelte als praktisch sicher."Es ist deshalb notwendig, sich schon frühzeitig lokal und regional auf die Klimaerwärmung und deren Folgen für unsere Gesellschaft einzustellen", forderte er weiter.

Das ist auch der Apell der Münchener Rückversicherung nach der ersten Bilanz aus 2015. "Die Naturkatastrophen des ersten Halbjahres lehren uns erneut, dass die Anfälligkeit gegenüber Naturkatastrophen insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern verringert werden muss", sagt Torsten Jeworrek. Daher sei es wichtig, Wissen aus der Forschung mit den Trends in der Statistik zusammenzuführen.