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"White Balls on Walls": Wie divers sind Museen?

Paula Onusseit
26. Mai 2023

Moderne Kunst ist weiß, männlich, europäisch. Das zumindest ist das Bild, das manche Museen noch immer vermitteln. Die Dokumentation "White Balls on Walls" beleuchtet die Debatte um Diversität im Museum.

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Filmstill aus "White Balls on Walls": Stedelijk-Direktor Rein Wolfs blickt aus einem Fenster des Museums
Filmstill aus "White Balls on Walls": Stedelijk-Direktor Rein Wolfs blickt aus einem Fenster des MuseumsBild: White Balls on Walls/Zeppers Film/NTR

Knapp drei Jahre lang hat die Regisseurin Sarah Vos das Amsterdamer Stedelijk Museum bei einer Diskussion begleitet, die in der Kunstwelt immer mehr um sich greift. In ihrer Dokumentation "White Balls on Walls" geht es um die Frage nach Diversität im Museum. Um das Vorhaben, Sammlung, Ausstellungskonzeption und Team diverser aufzustellen und den Umgang mit Kunst neu zu hinterfragen.

Im Dezember 2019 übernahm Rein Wolfs, der langjährige Direktor der Bundeskunsthalle in Bonn, die Leitung des renommierten Stedelijk. Ein wichtiger Bestandteil seines Konzepts: Das Stedelijk sollte vielfältiger werden. Gemeinsam mit den Mitarbeitenden des Museums für Kunst und Design evaluierte Wolfs das Sammlungs- und Ausstellungskonzept. Das ernüchternde Fazit: Weniger als jedes zehnte Gemälde in der Sammlung stammte von Frauen. Kunstwerke von Black, Indigenous and People of Color (BIPOC) kamen eher am Rande vor.

Rein Wolfs, Direktor des Stedelijk Museums in Amsterdam
Seit Dezember 2019 leitet Rein Wolfs das Stedelijk Museum in AmsterdamBild: Sander Koning/ANP/picture alliance

Kultureinrichtungen hätten in der Vergangenheit "zu wenig über den Tellerrand geschaut", sagt der Museumsdirektor im Gespräch mit der DW. Das Stedelijk wolle nun globaler denken und sein Konzept beispielsweise auch an der Bevölkerungsstruktur Amsterdams ausrichten. "Wir möchten, dass jeder die Möglichkeit hat, auch seine eigene Geschichte und eigene Identifikationsmomente zu finden."

Die Diskussion um ein neues Konzept wirft Fragen auf: Kann, soll man Diversität in Worte oder Quoten fassen? Sollten Herkunft und Geschlecht von Künstlerinnen und Künstlern bei der Einordnung von Kunst eine Rolle spielen? Wie können Museen und Ausstellungen wirklich diverser werden?

Quote als Lösung?

Im Stedelijk hat sich das Team auf eine Quote geeinigt: Von 2021 bis 2024 soll mindestens die Hälfte des Ankaufsetats für Werke von BIPOC-Künstlerinnen und -Künstlern ausgegeben werden. Feste Quoten für Werke von Frauen soll es zwar nicht geben, doch will man diesen Aspekt bei der Auswahl immer mitdenken. 

Jedes Jahr gebe es außerdem mindestens eine große Ausstellung mit BIPOC-Künstlerinnen und -Künstlern oder eine Gruppenausstellung, die Diversität thematisiere. Trotzdem bleibe weiterhin Platz für die Werke weißer Kunstschaffender und für die altbekannten Highlights des Hauses.

Ausschnitt aus der Ausstellung "Kirchner und Nolde" im Stedelijk Museum
Eine Ausstellung über Kirchner und Nolde im Stedelijk stellte 2021 Expressionismus und Kolonialismus nebeneinanderBild: Ramon van Flymen/ANP/picture alliance

So vielstimmig wie das Leben

In ethnologischen Museen, in denen Gebrauchs- und Kunstgegenstände aus aller Welt gesammelt und ausgestellt werden, spielt Diversität von Haus aus eine Rolle. So auch im Frankfurter Weltkulturen Museum, das zusätzlich zeitgenössische Kunst aus nicht-europäischen Ländern sammelt.

Ihr Haus lege den Fokus dabei auf die Kunst Indigener, die in ihren Heimatländern selbst in der Minderheit seien, sagt Museumsdirektorin Eva Raabe der DW. Außerdem sammele das Museum Werke von Frauen, Männern, Kindern und queeren Personen.

Auch hier geht es nicht vorrangig um spezifische Quoten. Wichtiger sei die Aussage, die Künstlerinnen und Künstler mit ihren Werken treffen wollten, so Eva Raabe. "Über ihre Kunst, die ein Ausdruck ihrer Meinungen, ihrer Bedürfnisse, ihres Lebens ist, erzählen sie uns von ihrer Lebensrealität." Durch den Einbezug verschiedenster Perspektiven falle die Auswahl des Museums automatisch sehr divers aus.

Außenaufnahme des KINDL - Zentrum für zeitgenössische Kunst in Berlin
Das KINDL - Zentrum für zeitgenössische Kunst in BerlinBild: Bildagentur-online/Joko/picture alliance

Auch im KINDL, Zentrum für Zeitgenössische Kunst in Berlin, bemühen sich die Kuratoren um ein diversifiziertes Ausstellungsprogramm, wie die Direktorin Kathrin Becker versichert. Im Gespräch mit der DW erklärt sie: "Ich habe da auch ganz persönlich eine Mission, die ich mit vielen Kolleginnen und Kollegen in Berlin und anderswo teile, und zwar, bei der Präsentation von zeitgenössischer Kunst eine Vielstimmigkeit zu erreichen."

Von Bedeutung seien dabei die geschlechtliche Identität sowie die ethnische und sozio-ökonomische Herkunft der Kunstschaffenden. Kunst, so Becker, biete die Möglichkeit, über die Welt und über das Sein zu kommunizieren. 

Mancher Künstler bleibt skeptisch

Und wie reagieren die Künstlerinnen und Künstler auf die Diversitäts-Debatte in Kunst und Museum? Wem helfen mögliche Quoten? "Ich würde es fast als Beleidigung empfinden, wenn das Stedelijk eine Ausstellung mit meinen Arbeiten machen würde, nur weil sie nach BIPOC-Künstlern suchen", drückt es der surinamisch-niederländische Künstler Remy Jungerman in Sarah Vos' Film "White Balls on Walls" aus.

Dass Kunstschaffende aufgrund der Quoten nicht im Stedelijk ausstellen wollen, nimmt Wolfs gleichwohl nicht wahr: "Ich sehe eher die andere Seite, wo Menschen sich fragen - Künstler, Künstlerinnen - Ja, werden wir dann überhaupt auch noch berücksichtigt?"

Kritik an der Neuausrichtung des Stedelijk überrascht den Museumsdirektor nicht. Immer häufiger höre er mittlerweile den Vorwurf, das Museum würde der Kunst eine politische Agenda in den Weg stellen. "Wir gelten als woke, und das ist ein Schimpfwort heutzutage. Wir kriegen viel Lob, aber wir kriegen auch viel Kritik. Das gehört aber auch ein bisschen zu diesem Haus. Wir sind ein Museum, das immer sehr stark an der Frontlinie steht, und über das viele Menschen immer schnell eine Meinung haben." Provokationen und mutige Entscheidungen seien Aspekte der zeitgenössischen Kunst, die Wolfs weiterhin bewahren will.

Ausschnitt aus der Ausstellung "Grey is the new pink" im Weltkulturen Museum Frankfurt
Das Weltkulturen Museum in Frankfurt stellt Vielfalt mit multiperspektivischen Ausstellungen sicherBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

"Man kann immer noch mehr tun"

Der Museumschef sieht einen Wandel hin zu mehr Diversität fast überall - in der Kulturpolitik, in Museen, in der Gesellschaft. Ähnliches hat die Berlinerin Kathrin Becker beobachtet: "Mitunter begegnen Museumsdirektorinnen und -direktoren der Tatsache, dass ihre Sammlungen sehr oft über weite Strecken sehr westlich, eurozentristisch sind, mit neuen Ideen - indem sie zum Beispiel ihre Sammlungen präsentieren und die fehlenden Bereiche durch Ausstellungen thematisieren und dazu Künstlerinnen und Künstler einladen, die nicht die Westkunst repräsentieren."

Wie also können Museen diverser werden? Ob dabei Quoten helfen, der Dialog mit Kunstschaffenden oder auch multiperspektivische Ausstellungen - schon das Bewusstsein für das Thema macht, wie es scheint, den Unterschied. Eva Raabe vom Frankfurter Weltkulturenmuseum sagt: "Man kann eigentlich immer noch mehr tun, um auch kleineren Gruppen eine Stimme zu verschaffen."