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WHO in der Kritik

Andreas Zumach21. Mai 2012

194 Gesundheitsminister der Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation kommen nach Genf zur Generalversammlung. Wegen der Abhängigkeit von der Pharmaindustrie gibt es Kritik.

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ARCHIV - ILLUSTRATION - Tabletten liegen auf dem Tisch einer Apotheke im brandenburgischen Briesen (Oder-Spree), aufgenommen am 16.03.2010. Die Versorgung älterer Menschen mit Arzneimitteln wird für Apotheker immer mehr zu einem wichtigen Thema. Foto: Patrick Pleul dpa/lbn (zu lbn vom 07.02.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++
ArzneimittelBild: picture-alliance/dpa

Mit über 8000 Mitarbeitern ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die weltweit größte Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Zentraler Auftrag ist die Bekämpfung von Krankheiten und die Förderung der bestmöglichen Gesundheit für alle Menschen auf der Erde. Erfolgreich bekämpfte sie Infektionskrankheiten und reduzierte den weltweiten Tabakkonsum. Diese Erfolge können allerdings die schwere Krise nicht verdecken, in der sich die WHO inzwischen befindet.

Das "Peoples Health Movement", ein Netzwerk gesundheitspolitischer
Nichtregierungsorganisationen aus über 70 Ländern kritisiert den wachsenden Einfluss der Pharmaindustrie auf die WHO sowie ihre zunehmende Abhängigkeit von privaten Geldgebern. Ursprünglich wurde die 1948 gegründete WHO ausschließlich von den jährlichen Pflichtbeiträgen ihrer inzwischen 194 Mitgliedsländer finanziert. Doch die Zuwendungen für den WHO-Haushalt für 2011/2012 in Höhe von 4,9 Milliarden US-Dollar kamen bereits zu fast 30 Prozent von privaten Geldgebern oder waren freiwillige Regierungszuschüsse. Vor allem aus den Ländern, in denen auch die weltgrößten Pharmakonzerne sitzen.

Einfluss auf Strategien und ZieleDas Problem: "Es sind zweckgebundene Zuwendungen, mit denen die jeweiligen Geber direkt Einfluss auf die Arbeit der WHO nehmen können", kritisiert Thomas Gebauer, Geschäftsführer von der sozial-medizinischen Hilfsorganisation "medico international" - Mitglied im Netzwerk "Peoples Health Movement". Das habe Konsequenzen - weit über den Verlust demokratischer Entscheidungsprozesse hinaus. Nach Beobachtung der im "Peoples Health Movement" engagierten Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt hat der zunehmende Einfluss kommerzieller Akteure die Ziele und Strategien der WHO verändert, wie das Beispiel der Bill Gates Stiftung zeige. Mit Zuwendungen in Höhe von 220 Millionen US-Dollar war diese Stiftung der zweitgrößte Geldgeber für den aktuellen WHO-Haushalt - nach den USA und vor Großbritannien auf dem dritten Platz. Die Gates-Unternehmensstiftung erwirtschaftet ihre Erträge vornehmlich aus Anlagevermögen. "Der Großteil jener 25 Milliarden Dollar, die Gates in den zurückliegenden zehn Jahren in Gesundheitsprogramme in aller Welt investieren konnte, entstammt den Renditen von einschlägig bekannten Unternehmen der Chemie-, Pharma- und Nahrungsmittelbranche, deren Geschäftspraktiken allzu oft dem Bemühen um globale Gesundheit zuwiderlaufen", kritisiert Gebauer.

Melinda Gates, Vizepräsidentin der Bill Gates Stiftung (Foto: ap)
Zweitgrößter Geldgeber der WHO: Melinda Gates, Vizepräsidentin der Bill Gates StiftungBild: AP

Teure ImpfprogrammeAußerdem mache Gates mit der Verteidigung geistiger Eigentumsrechte ein Vermögen. Nun setze seine Stiftung auf patentierte Medizin und Impfstoffe, statt generische, frei zugängliche und damit preiswertere Produkte zu fördern: "Wenn Gates die WHO nun für solche patentierten Impfprogramme auf Kurs bringt, profitieren davon auch die Impfstoffhersteller und deren Shareholder, die Gates-Stiftung", so das Fazit von medico international. Zu Lasten der ärmeren Bevölkerung in den Ländern des Südens, weil sich die Staaten die teureren Impfprogramme oftmals nicht leisten könnten.

Wie groß der Einfluss der Pharmaindustrie und von ihr gespeister Stiftungen bereits ist, zeigte sich im Falle der sogenannten "Schweinegrippe". Im Juni 2009 rief die WHO auf Anraten ihrer ständigen Impfkommission die höchste Alarmstufe für die H1N1-Pandemie aus. Unter den Mitgliedern und Beratern der Impfkommission waren Wissenschaftler, die Verträge mit den Herstellerfirmen von Tamiflu und anderen "Anti-Grippemitteln" hatten. Die weltweite Impfaktion, die die WHO mit
ihrer Pandemie-Warnung in Gang setzte, wurde für diese Firmen zu einem
Milliardengeschäft .

Ein Kind in Afrika erhält eine Impfung. (Foto: ap)
Was macht Gates mit den Impfungen?Bild: AP

Um eine "stinknormale Grippe", so der Europarat in einer Untersuchung, zu einer gefährlichen Pandemie erklären zu können, hatte die WHO, bevor die ersten H1N1-Fälle bekannt wurden, die Kriterien für Pandemie-Warnungen herabgesenkt. Ebenfalls vorab waren Gesundheitsbehörden in aller Welt vertragliche Abnahmegarantien mit Impfstoffherstellern eingegangen.

Weniger demokratische Kontrolle

Verschärfend komme hinzu, dass zentrale Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspolitik und ihre Finanzierung seit Ende der 90er Jahre ganz aus der WHO ausgegliedert und damit der demokratischen Kontrolle durch die Mitgliedsstaaten de facto entzogen wurden, kritisiert Alison Katz, 18 Jahre lang Mitarbeiterin in der Genfer WHO-Zentrale. "Zum Beispiel der Globale Fonds, der eingerichtet wurde zur Bekämpfung der drei größten Killerkrankheiten in der dritten Welt: AIDS, Tuberkulose und Malaria – da ist die WHO, die zuständig für die Bevölkerungen ihrer Mitgliedsländer ist, nicht vertreten."

Der Fonds setze auf die Behandlung dieser Krankheiten mit pharmazeutischen Produkten und medizinischen Geräten statt auf Präventionsmaßnahmen, kritisiert die Insiderin. Die Absicht sei deutlich: "Präventionsmaßnahmen bringen privaten Unternehmen keinen Profit." Gemeinsam mit anderen ehemaligen Mitarbeitern der WHO sowie Ärzten und Gesundheitsexperten hat Katz die "Initiative für eine unabhängige Weltgesundheitsorganisation" gegründet, die für dieses Ziel regelmäßig vor der Genfer Zentrale der WHO demonstriert.

Kosmetische ReformvorschlägeAuf eine Kurskorrektur drängen auch die armen Entwicklungsländer unter den 194 WHO-Mitgliedern. Denn diese Länder sind bei nationalen Präventionsmaßnahmen und bei der Stärkung ihrer nationalen Gesundheitssysteme dringend auf die Unterstützung der WHO angewiesen.

Indische Aktivisten halten am Welt-Aids-Tag in Bangalore im Süden von Indien die Rote Schleife in den Händen (Foto: dpa)
Kampagnen gegen Aids in IndienBild: picture-alliance/dpa

Doch zu dieser Kurskorrektur wird es nach Einschätzung der Kritiker zumindest vorläufig nicht kommen. Denn die Refomvorschläge, die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan der Generalversammlung vorgelegt hat, sind nach Analyse des "Peoples Health Movement" "reine Kosmetik". Sie würden die "problematischen Abhängigkeit der WHO von privaten Geldgebern und der Pharmaindustrie nicht verringern.