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Wichtige Medikamente fehlen in Deutschland

20. Juli 2022

40 Grad Fieber ist bei Corona keine Seltenheit - auch bei Kindern. Doch für sie gibt es in Deutschland immer weniger fiebersenkende Medikamente zu kaufen. Woran liegt das?

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Deutschland | Medikamente und Apotheken | Fiebersaft
Bettruhe und Tee können auch derzeit helfen, aber einige Medikamente sind häufiger vergriffen (Symbolbild)Bild: Frank May/picture alliance

In der Arcaden-Apotheke in einem Einkaufszentrum in Berlin herrscht normaler Betrieb. Kunden kommen und gehen. Immer wieder sind es auch Eltern, die für ihre Kinder Arzneimittel gegen Fieber und Schmerzen brauchen. Weil die Jüngsten noch keine Tabletten schlucken können, gibt es für sie einen süß schmeckenden Saft, der den Wirkstoff Paracetamol oder Ibuprofen enthält. Mehr als zehn Millionen Packungen werden in Deutschland jährlich verkauft. Doch jetzt leeren sich die Regale.

"Der Paracetamol-Saft wurde schon Anfang des Jahres knapp", erzählt die Apothekerin, die nicht namentlich zitiert werden möchte. "Mittlerweile ist auch Ibuprofen-Saft nicht mehr lieferbar, Schnupfenspray von einer großen Firma auch nicht mehr und bei Fieberzäpfchen wird es eng."

Deutschland Medikamente
Arcaden-Apotheke in BerlinBild: Sabine Kinkartz/DW

Besserung sei nicht in Sicht, berichtet sie. "Bei der Winterbevorratung, für die schon im Sommer mit den Herstellern die Lieferungen terminiert werden, sind uns alle Aufträge für Kinder-Schmerz- und Fiebermittel komplett gestrichen worden."

Rohstoffmangel, hohe Nachfrage und kein Papier

Die Berliner Apotheke ist kein Einzelfall, die Lieferengpässe betreffen ganz Deutschland. In den sozialen Medien melden sich immer mehr verzweifelte Eltern zu Wort. Wenn kalte Wadenwickel das Fieber nicht senken, vielleicht sogar ein Fieberkrampf kommt, dann bleibt oft nur noch die Fahrt ins Krankenhaus.

"Wir haben bei den Firmen natürlich nachfragt, warum sie nicht liefern können", berichtet die Berliner Apothekerin. Als Gründe seien eine erhöhte Nachfrage und Rohstoffmangel angegeben worden. "Zwischendurch hieß es von einer Firma auch mal, dass es Papiermangel gebe und deswegen keine Verpackungen zu bekommen seien."

Die Corona-Pandemie hat alles verschärft

Nachfrage beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller. Vom Papiermangel abgesehen, werden ähnliche Gründe genannt. Nach dem Wegfall von Corona-Maßnahmen wie der Maskenpflicht habe es im Frühjahr viele Kinder mit fiebrigen Atemwegserkrankungen gegeben. Außerdem habe es Vorratskäufe aufgrund der "Medienberichterstattung über Lieferengpässe" gegeben, aber auch "Lieferverzögerungen verschiedener Wirkstoffhersteller".

Deutschland | Medikamente und Apotheken | Fiebersaft
Der Fiebersaft wird in eine Spritze aufgezogen und kann den Kindern so einfach verabreicht werdenBild: Frank May/picture alliance

Generell sei die Lage auch in der Pharmaindustrie angespannt, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. "Globale Lieferketten-Problematiken, der anhaltende Fachkräfte-Mangel sowie coronabedingte Personalausfälle" würden auch die Situation der Arzneimittel-Hersteller zusätzlich erschweren.

Es geht ums Geld

Der wohl wichtigste Grund aber ist ein finanzieller. Für die Pharmaindustrie lohnt sich die Herstellung von Schmerzmitteln für Kinder schlicht nicht. Die Krankenkassen zahlen den Unternehmen 1,36 Euro für eine Flasche Paracetamol-Saft. Dieser Betrag ist seit zehn Jahren nicht erhöht worden. "Rasant steigende Wirkstoff- und Produktionspreise bei eingefrorenen Preisen machen die Produktion von Arzneimitteln wie Paracetamol-Säften zum Verlustgeschäft", klagt Andreas Burkhardt, Generalmanager beim Pharmakonzern Teva. "Kein Unternehmen hält das auf Dauer durch."

Produktion von Corona-Arzneien
Produziert wird, was lukrativ ist: Produktion der Corona-Arznei PaxlovidBild: Pfizer/dpa/picture alliance

Teva ist mit seiner Arzneimittelmarke ratiopharm der letzte große Anbieter von Paracetamol-Saft in Deutschland. Vor zwölf Jahren gab es noch elf Anbieter. Nachdem im Mai ein weiterer Hersteller seine Produktion eingestellt hat, muss ratiopharm 90 Prozent des Bedarfs abdecken. Doch das ist absehbar nicht zu schaffen. Ratiopharm ist der Hersteller, der die Aufträge für die Winterbevorratung gestrichen hat. Begründung: Der "unerwartet und stark erhöhte Bedarf im Markt" und die "verstärkten Lieferverzögerungen unserer Wirkstoffhersteller".

Marktverengung und die Folgen

Wohin es führt, wenn wichtige Arzneimittel nicht mehr verfügbar sind, zeigte sich Anfang des Jahres beim Brustkrebsmittel Tamoxifen. Ein Medikament, für das es keinen Ersatz gibt und das für schwer kranke Patientinnen dringend gebraucht wird. Auch hier gab es einen akuten Versorgungsengpass, weil sich Hersteller unter Verweis auf den Kostendruck aus der Produktion verabschiedet hatten.

Im Februar schaltete sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein und ordnete an, dass wegen der Notlage nun auch tamoxifenhaltige Arzneimittel aus dem Ausland ohne deutsche Zulassung importiert und verwendet werden dürfen. Behoben ist der Versorgungsengpass damit nicht, im zweiten Halbjahr 2022 wird sogar eine erneute Verknappung erwartet.

Apotheken mixen wieder selbst

Insgesamt listet das BfArM derzeit mehr als 260 nicht lieferbare Arzneimittel in Deutschland. Darunter sind gängige Antibiotika, Schilddrüsenpräparate, Blutdrucksenker und auch Präparate, die in Krankenhäusern dringend gebraucht werden. In manchen Fällen können die Apotheken die Versorgung sichern, indem sie die Medikamente selbst herstellen. Doch dafür braucht man die entsprechenden Rohstoffe.

Schmerzmittel Paracetamol
Para C: In dieser Schublade lagern in der Apotheke die Medikamente mit Paracetamol - wenn sie verfügbar sindBild: Daniel Reinhardt/dpa/picture-alliance

"Grundstoffe werden global gehandelt und oft gibt es nur wenige Produzenten eines einzigen Wirkstoffs, meistens in Asien. Wenn es dann beispielsweise ein Problem in einer Fabrik in China gibt, oder ein Land einen Exportstopp verhängt, dann sind im Nachgang viele Hersteller betroffen", erklärt Ursula Sellering von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände.

Zeitaufwendig und personalintensiv

Auch Paracetamol sei derzeit auf dem freien Markt nur schwer zu bekommen. "Wenn eine Apotheke allerdings noch Vorräte hat, dann kann sie auch Fiebersaft selbst herstellen", sagt Sellering. Apotheken stellen heute jährlich zwischen zwölf und 14 Millionen Rezepturen selbst her. "Das ist im Vergleich zu den 1,3 Milliarden Packungen, die 2021 verkauft wurden, ein überschaubarer Anteil."

Dabei werde es auch bleiben, vermutet Sellering. "Die Herstellung von Rezepturen ist zeitaufwendig und es gibt in den Apotheken einen Personalmangel wie in anderen Bereichen auch." Dazu kommen die Kosten. Aus Apotheken, die Fiebersaft wieder selbst mixen, heißt es, wenn man Rohstoffe, Personalkosten und Aufwand in Rechnung stellen würde, müsste für eine Flasche 20 Euro verlangt werden.

Die Pharmaindustrie will mehr Geld

Teva-Generalmanager Burkhardt sieht die Politik in der Pflicht. Der "systematische Kostendruck" müsse gelockert werden, "vor allem bei kritischen Arzneimitteln, die nur noch von wenigen Herstellern produziert werden". Die Verträge, nach denen Krankenkassen nur Festbeträge zahlen, müssten so lange ausgesetzt werden, bis wieder mehr Unternehmen in die Versorgung einsteigen würden. Das ist nach den derzeitigen Vorstellungen des Bundesgesundheitsministeriums allerdings nicht in Sicht. Geplant ist eine Verlängerung des Status quo - bis 2026.