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Politik

Das Merkel-Erbe

6. Dezember 2018

18 Jahre lang stand Angela Merkel an der Spitze der CDU. Jetzt tritt sie als Parteichefin ab. Wie hat sie die Christdemokraten verändert? Bleibt die CDU auf Merkels Kurs oder steuert sie um?

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Deutschland | Wahlwerbung CDU
Bild: picture-alliance/dpa

Die CDU Anfang 2000: eine männerdominierte, gemäßigt konservative Volkspartei, etwas langweilig, aber auch staatstragend und mit klaren Grundsätzen. Die liberale Wirtschaftspolitik steht ganz oben und ein konservatives, christliches Menschenbild prägen die Partei - so beschreibt es der Politologe Oskar Niedermayer.

Die selbstbewusste CDU ist damals in der Krise. Sie hat eine schwere Wahlniederlage gegen die SPD erlitten. Helmut Kohl hatte die junge Ostdeutsche Angela Merkel in sein Kabinett geholt, sie wird "Kohls Mädchen" genannt. Aber sie emanzipiert sich schnell. Mehr als das: Mitten in der Partei-Spendenaffäre der CDU distanziert sich Merkel von ihrem politischen Ziehvater in einem offenen Brief. Wenige Monate später ist sie selbst Parteichefin. Als ostdeutsche, protestantische, geschiedene Naturwissenschaftlerin wirkt sie damals wie ein Fremdkörper in der Kohl-CDU. 

Helmut Kohl und Angela Merkel
Merkel distanzierte sich von Kohl - und löste damit seinen Sturz ausBild: picture-alliance/dpa/A. Altwein

Einer, der ihre Kandidatur schon damals kritisch sah, war Friedrich Merz - heute ein aussichtsreicher Anwärter für Merkels Nachfolge an der Parteispitze. Er gehört zu einer ganzen Reihe von männlichen Rivalen, die sich selbst für die besseren Parteichefs gehalten haben, darunter Wolfgang Schäuble. Doch Merkel drängt sie alle an den Rand. Als sie 2005 als Kanzlerkandidatin antritt, kann ihr keiner mehr gefährlich werden. Bei Machtfragen zeigt sie Härte. Nach außen tritt sie nüchtern und verbindlich auf.

Kohl führte die CDU 25 Jahre, Merkel über 18 Jahre. Niedermayer spricht von einer "Ära" Merkel, "nicht nur wegen der Länge des Zeitraums, sondern auch, weil sie die Partei stark geprägt, nämlich wirtschafts- und gesellschaftspolitisch nach links verschoben hat". 

Eine "Wende"-Parteichefin

Viele Veränderungen unter Merkel wären bei Kohl kaum vorstellbar gewesen. Dabei galt sie anfangs nicht als die große Gestalterin. Oft wurde ihr vorgeworfen, zu lange zu taktieren und zu zögern statt zu entscheiden. Dann wurde klar: Merkel entscheidet gerade in wichtigen Fragen oft leise und ohne die Partei darüber diskutieren zu lassen. Bei mehreren Themen überrascht sie:

-     2010: Merkel gilt als sparsame "schwäbische Hausfrau". Mitten in der Finanzkrise schließt sie Finanzhilfen für das überschuldete Griechenland aus. Doch bald stimmt sie dem ersten Hilfspaket für Athen zu, zwei weitere folgen. Der Euro und der Zusammenhalt Europas wird zu einem ihrer großen Themen.

-     2011: Merkel gilt als Befürworterin der Kernkraft. Nach dem verheerenden Atomunfall in Fukushima schaltet sie von einem Tag auf den anderen um; die Koalition beschließt den Atomausstieg.

-     2013 spricht sie sich auch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aus, die die rot-grüne Regierung zuvor eingeführt hat. 2017 verteidigt sie den "Doppelpass" gegen den Beschluss der eigenen Partei.

-     2015: Noch 2004 hält Merkel die multikulturelle Gesellschaft für "gescheitert". In der Flüchtlingskrise 2015 sagt sie: "Wir schaffen das." Das Offenhalten der Grenzen für Flüchtlinge spaltet die CDU bis heute.

-     2017: Merkel war lange gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Kurz vor der Bundestagswahl 2017 gibt sie den Weg für eine Abstimmung ohne Fraktionszwang im Bundestag frei. Die sogenannte Ehe für alle wird angenommen.

Neue Themen und Positionen

Merkel als Parteichefin schob die CDU in die politische Mitte, und teilweise konnte sie damit auch punkten. Dafür sorgten mehrere Themen, die traditionell bei der SPD oder den Grünen lagen und die Merkel unerwartet für die CDU reklamierte. Ein Beispiel: Familienpolitik. Unter Merkel wurde das Elterngeld und das Recht auf Kita-Plätze durchgesetzt. Damit bekam die Union bei Bundestagswahlen 2013 über 40 Prozent - heute ein ferner Traum. Auch mit umweltpolitischen und gesellschaftlichen Themen konnte Merkel bei konservativen Wählern punkten.

Erst in der Migrations- und Asylpolitik kam es zur heftigen Spaltung unter den Christdemokraten. Während viele eine Obergrenze für Asylsuchende und Bürgerkriegsflüchtlinge forderten, war Merkel dagegen. "Hier hatte sie einen Standpunkt für sich gefunden und ihn gegen alle Widrigkeiten und sehr starke Kritik durchgehalten", sagt Oskar Niedermayer.

Diese Haltung kostete die CDU bei der Bundestagswahl 2017 viele Wählerstimmen. Auch der vorzeitige Verzicht Merkels auf den Parteivorsitz geht letztlich auf die umstrittene Migrationspolitik zurück. Heute grenzen sich alle Bewerber um Merkels Nachfolge von ihr ab.

"Unterm Strich war es für die CDU eine sehr erfolgreiche Zeit", so der Politologe Werner Patzelt, der selbst CDU-Mitglied ist. Sie werde aber "dadurch verdunkelt, dass Merkel am Ende zu halsstarrig, zu uneinsichtig war, um die größte Gefahr für die CDU zu erkennen: das Hochkommen einer Partei rechts von ihr", der AfD.

Offene Parteikultur

An der Kür des Nachfolgers ist vielleicht am besten der Wandel der CDU in der Zeit unter Merkel ablesbar: Drei Hauptbewerber treten öffentlich gegeneinander an. Weitere wagen sich aus der Deckung und greifen die bisherige Chefin an. Bei den Christdemokraten ist das ein Novum. Helmut Kohl hatte sich für die Bundestagswahl 1998 sogar noch selbst zum Kanzlerkandidaten erklärt.

Thüringen Hessen - CDU-Regionalkonferenz
Kein Rückfall in die Kohl-Zeit: Mögliche Nachfolger (v.l.) Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn Bild: picture-alliance/dpa/arifoto UG/M. Reichel

Die CDU heute ist offener und vielfältiger. Sie spiegelt eine immer mehr heterogene Gesellschaft wider. Zwar gibt es derzeit in der CDU eine verbreitete Sehnsucht nach wieder klaren, konservativen Positionen. Doch "die Zeit wird nicht zurückgedreht, egal wer Merkels Nachfolger wird", meint Oskar Niedermayer. Der Politologe hält das für "gar nicht möglich" und meint: "Das will auch niemand." Die Frage sei höchstens, "ob es ein völliges Weiter-so oder eine moderate Kurskorrektur gibt". Einer Zeit wie unter dem Patriarchen Helmut Kohl scheint eine Mehrheit in der Partei jedenfalls nicht nachzutrauern.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik