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Gesellschaft

Her mit der Lust!

Nadine Wojcik
25. Oktober 2019

Beate Uhse eröffnete den ersten Sexshop der Welt und ermutigte zu mehr Lust und Leidenschaft. Kritik kam von allen Seiten: von Moralaposteln und Feministinnen.

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Beate Uhse steht neben einem Aufsteller, der eine Frau in Dessous und Schild mit Aufschrift "Expansion in Skandinavien" zeigt (Foto: picture-alliance/dpa/S. Hesse).
Filialen europaweit: Beate Uhse vor einem ihrer Erotikgeschäfte (2000)Bild: picture-alliance/dpa/S. Hesse

Vielen Deutschen trieb schon allein der Name Beate Uhse über viele Jahrzehnte Schamesröte ins Gesicht. Hatte diese selbstbewusste, wortgewandte Frau doch den Sex - und vor allem alle möglichen Utensilien, die man dazu gebrauchen könnte - aus den dunklen Schlafzimmern ins grelle Schaufenster gebracht. Und das zu einer Zeit, in der man weder offen über Sexualität sprach noch ein Bewusstsein dafür hatte, dass diese auch mit Lust und Spaß verbunden sein könnte.

Vor 100 Jahren, am 25. Oktober 1919, wird Beate Uhse in Ostpreußen, was heute zu Russland gehört, geboren. Die Eltern ziehen das Mädchen liberal und weltoffen auf. Der Vater, ein Landwirt, zeigt ihr anschaulich im Kuhstall, wie sich Tiere fortpflanzen. Die Mutter, damals eine der ersten Ärztinnen in Deutschland, klärt sie auf und vermittelt ihr sogar Verhütungsmethoden. Beate lernt, dass sie als Mädchen ebenso wertvoll und talentiert ist wie ein Junge. Selbstbewusst entscheidet sie sich 1937, Pilotin in Berlin zu werden, überzeugt bald auch als Kunst- und Sportfliegerin.

Beate Uhse steht vor einem Jet, eine Hand ruht auf einem Propeller (Foto: imago).
Pilotin aus Leidenschaft: die erfolgreiche Erotikunternehmerin mit ihrem Privatjet (1999)Bild: imago

1939 heiratet sie ihren Fluglehrer Hans-Jürgen Uhse, mit dem sie 1943 einen Sohn bekommt. Ein Jahr später verunglückt ihr Mann bei einer Flugzeugkollision - Beate Uhse fliegt weiter. Ab 1944 auch für die deutsche Wehrmacht: Als Hauptmann für sogenannte Überführungsflüge bringt sie Flieger an die Front. Welche Rolle sie in dieser Zeit genau spielte, darüber sprach sie nicht und war sich zeitlebens keiner Schuld bewusst.

Sex ist keine Männersache mehr

Bei Kriegsende gelingt es ihr, mit ihrem Sohn mit einer der letzten Maschinen aus Berlin zu fliehen. Es verschlägt sie ins norddeutsche Flensburg, später auch Sitz ihres Sex-Unternehmens. Es sind schwere Zeiten für alleinerziehende Mütter. In Gesprächen mit anderen Frauen, deren Männer nun zurückkehren, erfährt sie von den großen Ängsten, in dieser bitterarmen Nachkriegszeit schwanger zu werden.

Beate Uhse erinnert sich an Verhütungsmethoden, die ihre Mutter ihr beigebracht hatte, und schreibt eine davon auf: die Knaus-Ogino-Rechenmethode - eine natürliche Verhütung, bei der im Kalender die furchtbaren und unfruchtbaren Tage notiert werden. "Das war zwar nicht sicher, aber besser als nichts", erinnerte sie sich 1975 an ihre Anfänge. "Schrift X" heißt die Broschüre, die Beate Uhse mit Geschäftssinn vertreibt: Unaufgefordert schickt sie tausende Bestellscheine an deutsche Haushalte. "Schrift X" verkauft sich für einen damals recht üppigen Preis 32.000 Mal und wird zum Startkapital für das spätere Uhse-Imperium.

Porträtfoto von Beate Uhse vor ihrem "Versandhaus Beate Uhse" - 1969 (Foto: picture-alliance/dpa).
Selbstbewusst, wortgewandt, emanzipiert: Beate Uhse vor ihrem Flensburger Firmensitz (1969) Bild: picture-alliance/dpa

Es ist aber auch der Start von später rund 2000 Gerichtsverfahren, die gegen Beate Uhse geführt werden. Meist geht es um den Vorwurf, dass die unverlangt eingeschickten Bestellscheine zu "unzüchtigem" Verhalten oder aber Unverheiratete zu Sex verleiten. Ebenso groß wie die Empörung ist auch die Bewunderung: Sex ist keine Männersache mehr, Beate Uhse befreit Frauen, indem sie ihnen ein Recht auf selbstbestimmte Sexualität gibt. Sie selbst sieht ihre Geschäftsidee pragmatisch, wie sie 1997 der Landesrundfunkanstalt Südwestfunk sagte: "Da hat man nicht so viele Sentimente über das, was man tut. Sondern man muss sehen, dass man überlebt und mit seinem Kind zurecht kommt."

Schluss mit Ehehygiene! Her mit der Lust!

1951 geht sie den nächsten Schritt: Mit vier Angestellten gründet sie das "Versandhaus Beate Uhse", verkauft Kondome und Publikationen zum Thema "Ehehygiene", wie die partnerschaftliche Sexualität damals noch genannt wird. Ihr Geschäftsmodell besteht zum einen aus jenen "verruchten" Dingen, die jeder braucht, aber über die keiner spricht. Zum anderen aus der persönlichen Ansprache: So tragen das Unternehmen und ihre Publikationen ihren Namen, in Produktbeschreibungen spricht sie ihre Kunden direkt an.

Eingang in einen Laden, darüber die Schrift "Beate Uhse International", davor schiebt ein Mann einen Buggy mit Kleinkind (Foto: imago).
Heute längst kein Aufreger mehr: Sexshop in Berlin (2002)Bild: imago

Das Konzept geht auf, ihr Unternehmen erfährt einen rasanten Zuwachs: Keine zehn Jahre später beschäftigt sie 200 Mitarbeiter und eröffnet 1962 in Flensburg gar den ersten Sexshop der Welt: "Fachgeschäft für Ehehygiene". Es folgt ein erneuter Sturm der Empörung. Bürger versuchen polizeilich gegen einige Artikel vorzugehen, die "der unnatürlichen, gegen Zucht und Sitte verstoßenden Aufpeitschung und Befriedigung geschlechtlicher Reize" dienen. "Wegen sittlicher Bedenken" verweigert auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ihrem Verlag die Mitgliedschaft, und der lokale Tennisclub will sie ebenfalls nicht. Daraufhin soll sich Beate Uhse einen eigenen Tennisplatz gebaut haben.

Geschäft mit Pornos - Verrat an Frauen?

"Ich denke, ich habe es sehr viel leichter gehabt. Einem Mann werden sehr viel leichter negative Gedanken und schweinische Vorstellungen unterstellt als einer Frau, die selber verheiratet ist und Kinder hat und der so eigentlich alles im Leben, was auf diesem Sektor so passiert, nicht fremd ist. Der glaubt man das eher", erklärte sie ihren Erfolg 1997 in einem Interview mit dem Südwestfunk.

kleine Peitschen aus Latex
Sex-Spielzeug: kleine Peitschen aus Latex aus dem Hause Beate Uhse Bild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

Weiteren Aufwind bekommt das Versandhaus in den 1970er Jahren, als sich die Sittengesetze deutlich lockern und nunmehr nicht Ehehygiene, sondern Lust im Vordergrund steht. Neben Kondomen, Salben und Zeitschriften sind unter anderem längst auch diverse Sex-Spielzeuge, Dessous und Potenzmittel hinzugekommen. Als 1975 Pornografie in Deutschland legalisiert wird, kommt der Bereich Filmverleih und VHS-Kassetten hinzu. Spätestens hier vollzieht sich für viele Feministinnen ein eklatanter Bruch: Wieso vertreibt Uhse Filme, in denen Frauen zu Objekten gemacht werden? Kritiker lasten ihr bis heute an, dass es ihr nie um die Gleichberechtigung der Frau gegangen sei, sondern immer nur um Profit.

Das Familienunternehmen scheitert

Mittlerweile sind ihre Söhne in die Firma eingestiegen. Bereits 1949 hatte Beate Uhse den Kaufmann Ernst-Walter Rotermund geheiratet, der genau wie sie einen Sohn in die Ehe mitbrachte, gemeinsam bekommen sie noch einen weiteren Sohn. Damals änderte sie auch ihren Namen zu Beate Rotermund, für ihre Produkte nutzt sie aber stets den Namen ihres ersten Mannes. Das Familienunternehmen sitzt mit mehreren hundert Mitarbeitern im "Sex-Eck", einem großen Bürokomplex in einem Flensburger Industriegebiet. Doch während das Geschäft mit Sex brummt, zerstreiten sich die Söhne. Die Firma wird 1981 aufgeteilt, "Beate Uhse" bleibt bei der Firmengründerin und ihrem Sohn Ulrich, "Orion Versand" wird fortan von den zwei anderen Söhnen betrieben.

Beate Uhse mit ihren drei Söhnen (Foto: picture-alliance/dpa).
Glückliche Zeiten: Beate Uhse 1969 mit ihren Söhnen in Flensburg Bild: picture-alliance/dpa

Stillstand ist und bleibt für die Unternehmerin undenkbar. 1996 eröffnet sie in Berlin das Beate-Uhse-Erotik-Museum. Zwei Jahre vor ihrem Tod bringt sie 1999 ihren Teil der Firma gemeinsam mit ihrem Sohn an die Börse, die Aktie schnellt in wenigen Tagen durch die Decke - und fällt fortan kontinuierlich. Das Unternehmen hat stark zu kämpfen, die Umsatzzahlen schrumpfen, Filialen müssen geschlossen werden, die Konkurrenz im Internet ist zu groß. Die stetig drohende Insolvenz, die letztlich 2017 eingereicht wurde, erlebte die Firmengründerin nicht mehr mit.

Späte Ehre und Anerkennung

Beate Uhse soll unter der Firmenteilung und dem Streit unter den Söhnen sehr gelitten haben. Ihr zweiter Mann erweist sich als keine gute Partie. Er soll sich schnell aus der Firma zurückgezogen und stattdessen anderen Frauen zugewandt haben. Beate Uhse lässt sich nach 20 Jahren scheiden, findet eine neue Liebe mit einem 25 Jahre jüngeren US-Amerikaner.

Während die Umsatzzahlen zum Ende ihres Lebens schwanken, wird die Sex-Pionierin gesellschaftlich aus der Schmuddelecke geholt. Galt sie in Flensburg lange als persona non grata, darf sie sich schließlich zu ihrem 80. Geburtstag doch in das Goldene Buch der Stadt eintragen - die Ehrenbürgerwürde erhält sie damit allerdings nicht. Bereits zehn Jahre zuvor wird ihr 1989 das Bundesverdienstkreuz verliehen.

"Influencerin der ersten Stunde"

War Beate Uhse nun wegweisend für die Emanzipation der Frau - oder ging es ihr eigentlich nur ums Geschäft? Unumstritten war sie eine sehr emanzipierte Frau, die sich in vielen Männerwelten - ob als Pilotin oder als Firmengründerin - behaupten konnte. Unumstritten ist ihr zu verdanken, dass sie Tabuthemen in die öffentliche Diskussion brachte und weder bei Drohungen, Klagen oder gesellschaftlicher Ausgrenzung klein bei gab. Fraglich bleibt die spätere Firmengeschichte und die Umsatzsteigerung mit frauenverachtender Pornografie. "An der Emanzipation der Frauen lag ihr nicht sonderlich viel", meinte Biografin Katrin Rönicke im öffentlich-rechtlichen Radiosender "Deutschlandfunk". Sie sieht in Beate Uhse eher eine "Influencerin der ersten Stunde" - eine Person, die mithilfe der Vermarktung der eigenen Persönlichkeit Produkte verkaufte.

Beate Uhse starb 2001 im Alter von 81 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Am 25. Oktober 2019 jährt sich ihr Geburtstag zum 100. Mal.