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Politik

Ukrainisches Geflügel als EU-Produkt

Iurii Sheiko mo
9. Juni 2019

Die Export-Methoden des ukrainischen Geflügelproduzenten MHP sind umstritten. Daher ändert die EU ihre Quoten für die zollfreie Einfuhr von Hähnchenfleisch aus der Ukraine. Es drohen aber noch weitere Konsequenzen.

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Symbolbild - Hähnchenfleisch - Fleischkonsum
Bild: picture-alliance/R. Märzinger

In seinem Heimatland ist Myronivsky Hliboproduct (MHP) bereits Marktführer. Und der ukrainische Hühnerfleischproduzent expandiert weiter - durch Exporte in die Europäische Union, die mithilfe eines Tricks in die Höhe geschraubt wurden. Der MHP-Konzern, der dem ukrainischen Geflügelfleisch-Baron Jurij Kosjuk gehört, hat Wege gefunden, seine Ausfuhren in die EU erheblich zu steigern. Laut eigenen Angaben lieferte allein MHP im vergangenen Jahr rund 100.000 Tonnen Hühnerfleisch aus der Ukraine in die EU.

Die Freihandelszone, die das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine vorsieht, ermöglicht es ukrainischen Unternehmen, nahezu alle Kategorien von Geflügelfleisch ohne Zölle in die EU auszuführen, allerdings nur im Rahmen geltender Quoten. Im laufenden Jahr 2019 sind 18.400 Tonnen erlaubt. Die Menge sollte bis 2021 auf 20.000 Tonnen steigen und dann so bleiben. Zusätzliche 20.000 Tonnen sind für gefrorenes Geflügel vorgesehen.

Fleisch mit und ohne Knochen

Die österreichische Zeitung "Kurier" wirft MHP vor, seit Jahren die Beschränkungen für Importe mit einem Trick zu umgehen. Der EU-Import von Hähnchenbrust - dem teuersten Stück vom Huhn - ist bei der Quote begrenzt. Daher bleibe beim Zerlegen der Tiere in der Ukraine ein Knochen an dem Fleisch. Die damit als minderwertig klassifizierten Teile könnten so unbegrenzt importiert werden.

MHP besitze Betriebe in der Slowakei und in den Niederlanden, wo der Knochen dann entfernt werde. Damit würde das Fleisch als EU-Produkt gelten und könnte als solches nicht nur in der EU verkauft, sondern auch zollfrei in Drittmärkte exportiert werden. Laut der Brüsseler Zeitschrift "Politico", beschweren sich europäische Landwirte darüber, dass der MHP-Konzern eine "geniale und völlig legale Umgehung" der geltenden Regeln gefunden habe.

Die MHP-Pressestelle bestätigte der DW, Geflügelfleisch mit Kochen zur anschließenden Weiterverarbeitung in die EU zu exportieren. Doch das entspreche geltendem EU-Recht. "MHP hat entgegen Berichten keine Lücke ausgenutzt, sondern zu jeder Zeit die Vorschriften der EU voll eingehalten. Europäische Institutionen haben ukrainischen Exporteuren von Geflügelfleisch, die unter die verschiedenen Quotenregelungen fallen, bestätigt, dass ihr Vorgehen legal ist", so Anastasia Sobotjuk vom MHP-Konzern.

Neue Quoten für Importe

In der Tat konnte die Ukraine den Export von Geflügel in die EU deutlich steigern. Im Jahr 2016, als das Freihandelsabkommen in Kraft trat, waren es weniger als 50.000 Tonnen pro Jahr. Zwei Jahre später waren es laut Eurostat schon mehr als 123.000 Tonnen. Der Anstieg ging hauptsächlich auf Geflügelteile zurück, die unter die Kategorien "anderes" fallen. Ob frisch oder gefroren - für diese Kategorien von Geflügelfleisch gelten seitens der EU für die Ukraine nämlich weder Quoten noch Zölle.

Juri Kosjuk
MHP-Besitzer Kosjuk: Ukrainischen Geflügelfleisch-BaronBild: picture-alliance/AA/V. Shtanko

Da die Behörden mehrerer EU-Länder keine Verstöße seitens der ukrainischen Exporteure feststellen konnten, griff die EU-Kommission zu einer außerordentlichen Maßnahme, um eine derart rasante Expansion der ukrainischen Exporte in die EU zu stoppen. Sie nahm Gespräche auf, um die Quoten für Geflügel zu ändern.

Wie die DW aus Quellen auf beiden Seiten erfuhr, erzielten Brüssel und Kiew bereits eine Einigung. Demnach sollen die Quoten auf die Kategorien von Geflügelfleisch ausgedehnt werden, auf die es bisher keine Beschränkungen gab. Gleichzeitig soll die Gesamtquote zur Ausfuhr von Geflügelfleisch um 50.000 Tonnen auf 70.000 Tonnen erhöht werden, teilte der DW eine Quelle mit, die mit den Verhandlungen vertraut ist.

"Ukraine macht Zugeständnisse"

Auf ukrainischer Seite wird die Einigung allerdings nicht als Sieg betrachtet. "In Wirklichkeit machen wir Zugeständnisse. Ohne diese Vereinbarung könnten die ukrainischen Geflügelfleisch-Exporteure weiterhin gemäß den Bestimmungen des Assoziierungsabkommens bestimmte Kategorien von Geflügelfleisch ohne jegliche Quoten in die EU importieren", sagt Nasar Bobyzkyj von der Vertretung der Ukraine bei der EU. Derzeit bereiten die Seiten die Unterzeichnung der neuen Vereinbarung vor, die dann noch vom Parlament der Ukraine und dem Europa-Parlament ratifiziert werden muss.

Trotz des im vergangenen Jahr gewachsenen Handels liegt die Ukraine bei der Einfuhr von Geflügelfleisch in die EU nach wie vor auf dem dritten Platz. Mehr als doppelt so viel liefern jeweils Thailand und Brasilien. Übrigens exportiert die EU in die Ukraine deutlich mehr Geflügelfleisch, als sie aus der Ukraine importiert, nämlich fast 180.000 Tonnen.

Produktkennzeichnung in der EU

Das Vorgehen des MHP-Konzerns kann noch weitere Konsequenzen nach sich ziehen, die dann für die gesamte EU von Bedeutung sein werden. So ist der österreichischen Regierung ein Dorn im Auge, dass die nicht entbeinten Hähnchenbrüste, die MHP in die Europäische Union liefert, nach der Weiterverarbeitung in der Slowakei und in den Niederlanden nicht mehr als aus der Ukraine stammend gekennzeichnet werden müssen - also plötzlich EU-Produkte sind.

Darüber sprach im April die damalige österreichische Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus Elisabeth Köstinger auch mit ihren EU-Amtskollegen. Sie möchte, dass die nächste EU-Kommission, die nun nach der Wahl zum Europa-Parlament gebildet werden muss, Änderungen bei der Kennzeichnung von Produkten in der EU vorlegt. Es müsse sichergestellt werden, dass alle Konsumenten in der EU sehen, woher das Fleisch komme, hieß es aus diplomatischen Kreisen.