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Der Kampf um die Stille

Klaus Esterluss
27. April 2018

Stille ist wertvoll und zu selten, finde ich. Also frage ich nach, wie man den Lärm, den wir selbst verursachen, verhindern kann. Eins ist klar: ohne Kompromisse geht es nicht.

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Sprudelnder Bach in Deutschland
Bild: Imago/Busse

Ich stehe auf einem Hügel in Thüringen. Um mich erstreckt sich eine Wiese, rechts und links davon stehen erst licht, später dichter Laubbäume, an denen noch keine Blätter wachsen. Der Frühling hat gerade erst begonnen, er wird vielstimmig von Vögeln begrüßt, die in den Ästen sitzen. Den Hügel hinab, aus dem Wald heraus, plätschert ein Bach.

Auch wenn die letzten Häuser des Dorfes nur wenige Meter entfernt stehen, höre ich nichts außer Natur: lärmende Vögel, säuselnden Wind und den Bach.

Doch dann erhebt sich ein Dröhnen. Dumpf und irritierend schiebt es sich den Hügel entlang. Ich sehe mich um und entdecke schließlich am Himmel ein Flugzeug. Ich will mich ärgern, frage mich aber gleichzeitig, warum.

Foto eines startenden Flugzeugs
Unsere Wahrnehmung von Lärm ist sehr kontextabhängig. In der Natur empfinden wir ein Flugzeug oft als nervend, in der Stadt würden wir es vielleicht gar nicht bemerkenBild: Getty Images/AFP/P. de Melo Moreira

In Berlin würde mir so ein Flugzeug nicht einmal auffallen. Es würde untergehen in der Kakophonie der Großstadt. Dort würde ich wahrscheinlich einen Kopfhörer aufsetzen und den Lärm des Flugzeugs einfach ausblenden. Aber hier in der Natur ist die Entscheidung eine andere. Würde ich Kopfhörer aufsetzen, dann würde ich auch die Vögel ausblenden, das Plätschern und Rauschen. Ich entscheide mich also, für das Tönen der Vögel, das Dröhnen des Fliegers in Kauf zu nehmen.

Muss man mit dem Krach leben?

In den vergangenen Wochen habe ich einiges über Lärm gelernt. Ich habe mit einem Forscher gesprochen, der jeden Tag erleben darf, was ich in Thüringen für ein paar Minuten erlebt habe: echte Naturgeräusche ohne menschlichen Lärm.  Ich habe gelernt, dass Lärm an Land und unter Wasser etwas ganz anderes ist.  Und vor allem auch, dass Lärm sowohl für Tiere als auch Menschen  problematisch sein kann.

Zurück in Berlin beginne ich zu fragen, ob man in der heutigen Zeit damit leben muss, dass es so laut ist? Welche Mittel gibt es, für etwas mehr Ruhe zu sorgen, Menschen und Tiere zu schützen - an Land und im Wasser.

Gute Planung macht Städte leiser

"Die maßgebliche Lärmquelle in Städten ist sicherlich der Straßenverkehr", sagt Thomas Preuß. Der diplomierte Ingenieur beschäftigt sich am Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU) mit der Frage, wie vom Menschen verursachter Krach vermieden werden kann. Ganz pragmatisch durch Baumaßnahmen und clevere Stadtplanung. Denn neben den Autos lärmen ja auch Schienenverkehr, Gewerbe, Gaststätten und Sportstätten, von Bauarbeiten ganz zu schweigen.

Foto einer geschäftigen Straßenkreuzung an der Karl-Marx-Straße in Berlin
Mehr Fahrräder und weniger Autos in der Stadt: ohne Kompromisse lässt sich der Lärm nicht bekämpfenBild: DW/A.S. Brändlin

Man kann prinzipiell zwischen zeitlich begrenztem Lärm, wie meinem Flugzeug in Thüringen, und Dauerlärm unterscheiden. Gegen letzteren hilft "aktive Lärmminderung", sagt der Stadtforscher.

"Dabei versucht man, den Verkehr von der Menge her zu reduzieren, also weniger Autos in die Stadt zu lassen oder das Tempo der Fahrzeuge zu reduzieren", so Preuß. Die große Kunst der Stadtentwicklung bestehe darin, die Straße als Aufenthaltsraum für alle Beteiligten ein Stück weit zurückzugewinnen.

Das geht nicht ohne Kompromisse, sagt er. "Will man zum Beispiel den Fahrradverkehr fördern, dann muss man zwangsläufig den Autoverkehr zurückdrängen. Man kann nicht das eine wollen, ohne das andere zu begrenzen."

Verkehrsberuhigte Unterwasserzone

Das lässt sich auch auf das Leben unter Wasser übertragen. Ein wichtiger Unterschied ist allerdings, dass sich Schall unter Wasser schneller ausbreitet, als an Land. Hört man eine Baustelle an Land nur in der Nähe, würde man sie unter Wasser viele Kilometer weit hören, erklärt Alexander Liebschner vom Bundesamt für Naturschutz.

Hier sind diejenigen gefragt, die den Lärm verursachen. Beispielsweise also die Industrie, die Offshore-Windkraftanlagen vor Küsten baut und dafür mit viel Lärm massive Fundamente im Meeresboden verankert.

Foto eines Rettungsboots vor Offshore-Windpark
Der Bau von Offshore-Windanlagen und Bootsverkehr gehören zu den großen Lärmquellen im MeerBild: Imago/Newscast

Regeln und Grenzwerte müssten her, die allgemein gültig sind und eingehalten werden. In Deutschland gibt es so etwas schon für Schweinswale in der Nordsee, sagt Liebschner. Hierbei haben Ministerium, Offshore-Windindustrie, Naturschutzverbände und betroffene Bundesländer zusammengearbeitet. Eine Kooperation, die Vorbildfunktion hat.

Die Industrie entwickelt auch innovative Technologien, um die Schallausbreitung bei Bauarbeiten unter Wasser einzudämmen, sagt er.

Zusammenarbeit führt zum Ziel

Eine andere Quelle von Unterwasserlärm sind Motorboote. Deren Auswirkungen auf das Ökosystem des Great Barrier Reefs erforscht Andy Radford von der Universität in Bristol.

Ein Verbot von Booten im gesamten Meeresschutzgebiet hält er nicht für realistisch. "Aber es ist absolut möglich, die Motoren von Motorbooten so umzugestalten, dass sie leiser werden." Es scheint tatsächlich etwas zu bringen, statt auf Zweitakt-Motoren auf Viertakt-Motoren zu setzen, sagt er. Das legten jedenfalls erste Studienergebnisse nahe, die aktuell veröffentlicht würden.

Er hält es auch für sinnvoll, besonders sensible Bereiche wie Laichgebiete zu gewissen Zeiten besonders zu schützen und so die Lärmbelastung zu reduzieren, so Radford.

Es gibt kein Echo, das für Jahrzehnte nachhallt

Aus den Gesprächen nehme ich mit, dass ein Erfolg in diesem Gebiet sehr viel mit Kompromissen zu tun hat und sicher nicht über Nacht Einigkeit erzielt werden kann. Studien müssen durchgeführt und ausgewertet werden, Regeln müssen geschaffen, umgesetzt und überwacht werden, regional wie international, im kleinen, wie im großen Rahmen.

Die gute Nachricht ist: Sollte es in Zukunft tatsächlich einmal so sein, dass sich alle einig sind, dann verschwände der Lärm ziemlich schnell.

"Wenn man chemische Verschmutzungen betrachtet, dann bleiben die Chemikalien für eine sehr lange Zeit im Wasser nachweisbar. Das gilt auch dann, wenn man die Quelle der Verschmutzung schon abgeschaltet hat", sagt Andy Radford. Bei Lärm ist das anders "Es gibt kein Echo, das für Wochen oder Monate oder Jahrzehnte nachhallt."

Das gilt so natürlich auch für Berlin und auch auf meinem Hügel in Thüringen. Nach ein paar Minuten ist das Flugzeug verschwunden und mit ihm sein Lärm. Was bleibt sind singende Vögel, das Rauschen der Bäume und das Plätschern eines Bächleins.